Ein Kind läuft durch eine dystopische Naturlandschaft, Illustration im Comic-Stil
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MDR KLIMA-UPDATE | 28. April 2023 Wie sagen wir's den Kindern?

Ausgabe #86 vom Freitag, 28. April 2023

28. April 2023, 17:02 Uhr

Leipzig liest – und das in diesem Jahr auch dezidiert zu Klimathemen. Aber wen erreichen wir eigentlich mit Büchern zum Klimawandel und wie sieht ein gutes Kinder- und Jugendbuch zum Thema aus?

Eine Frau guckt in die Kamera
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Hallo liebe Lesende,

in Leipzig greift dieses Wochenende das Buchmesse-Fieber um sich – nachdem die Veranstaltung die vergangenen drei Jahre abgesagt wurde. Und in diesem Jahr gibt es dabei ein Novum: die Klimabuchmesse. Eigentlich ein gutes Signal, aber man könnte kritisieren: Im Wesentlichen sammeln sich dort auch nur wieder diejenigen, die ohnehin schon am Klimathema interessiert sind um diejenigen, die ohnehin schon an Öffentlichkeit interessiert sind (sorry, Herr von Hirschhausen). 

Preaching to the choir könnte man das nennen, denn das Publikum dürfte die vertretenen Meinungen bereits weitgehend teilen. Unser Klimanewsletter muss sich diesen Vorwurf womöglich auch gefallen lassen, aber wie steht es eigentlich um diejenigen, die vielleicht noch nicht alle Facts über den Klimawandel kennen? Wie erklären wir Kindern, was auf sie zukommt, ohne sie direkt zu traumatisieren? Vielleicht ja dann doch wieder mit einem Buch. Die beiden Autorinnen Annette Mierswa und Isabel Abedi haben Kinder- und Jugendbücher über den Klimawandel geschrieben. "Viele junge Menschen haben eine Wahnsinns-Angst", sagt Mierswa. Andererseits erlebe sie bei Ihren Lesungen an Schulen auch viele Jugendliche, die sich gar nicht mit dem Thema beschäftigen. Einmal habe sie beispielsweise ein Schüler gefragt, ob die beschriebenen Klimafolgen auch auf Mallorca eintreten würden. 

Aus dem Gespräch der beiden Autorinnen auf der Klimabuchmesse haben wir vier Ideen für eine bessere Vermittlung von Klimathemen an Kinder und Jugendliche abgeleitet (von denen die meisten vermutlich auch für Erwachsene gelten). Zunächst hier aber unsere


Zahl der Woche:

101.877

… Menschen haben bis zum Ende der Mitzeichnungsfrist gestern Nacht die aktuelle Bundestagspetition zur Vereinfachung von Solar-Balkonkraftwerken für Privatpersonen unterschrieben. Damit hat die Petition ungefähr doppelt so viele Unterschriften erreicht, wie nötig – was zeigt, wie sehr das Thema vielen Menschen aktuell unter den Nägeln brennt.

Die Forderungen der Petition sind dabei gar nicht mehr so neu: Die Einspeisung von Strom ins Netz via privater Solaranlage soll einfacher und ertragreicher werden. Maximal durften diese Anlagen bislang 600 Watt ins Stromnetz einspeisen, die Petition fordert nun 800 Watt (viele aktuelle Anlagen sind darauf bereits ausgelegt). Außerdem soll die Anmeldung eines Balkonkraftwerkes einfacher werden, rückwärtslaufende Zähler sollen möglich sein und die Petition fordert eine Veränderung im Gesetz, mit der es für Mietende einfacher wird, ein Balkonkraftwerk bei ihren Vermieterinnen und Vermietern durchzusetzen.

Im nächsten Schritt wird das Thema nun im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages besprochen. Ein sehr informatives Video haben übrigens unsere Kolleginnen und Kollegen von WAS KOSTET produziert. 

Wollen Kinder und Jugendliche das überhaupt lesen? 

Fragen sich die beiden Autorinnen Isabel Abedi und Annette Mierswa auf der Leipziger Buchmesse. Beide haben Bücher zu Klimathemen veröffentlicht – allerdings beide auch erst einmal, weil ihnen das persönlich wichtig war. Mittlerweile sind sie häufig an Schulen und sprechen mit Kindern und Jugendlichen über ihre Werke. 

Sie sind beide der Ansicht, dass diese Gespräche wichtig sind. Einerseits haben junge Menschen, beispielsweise bei Fridays for Future, erst den Anstoß zu umfassenderen Debatten über den Klimawandel gegeben, andererseits seien viele Kinder und Jugendliche voller Angst, wenn es um ihre Zukunft geht. "Diese Klimaangst lässt einen erstarren wie die Maus vor der Schlange", sagt Mierswa. Ein Mittel gegen die Angst könne durchaus die Literatur sein, beispielsweise indem ein Buch Möglichkeiten aufzeige, wie man im Rahmen der eigenen Möglichkeiten aktiv werden könne. Um junge Menschen zu erreichen, setzen die beiden Autorinnen (in unterschiedlichem Ausmaß) auf diese vier Komponenten: 

📈 Die Fakten benennen

Die Niederschlagsmenge ist in Deutschland seit 1965 um 10 Prozent gestiegen, 200 Millionen Menschen werden in 70 Jahren ihre Heimat verlieren, weil der Meeresspiegel steigt. Sollten solche Fakten in Kinderbüchern auftauchen – oder machen sie nicht doch eher Angst? Annette Mierswa hat in ihrem Klimawandel-Jugendbuch "Wir sind die Flut" viele derartige Fakten verarbeitet und ist der Meinung: "Kinder merken dann, dass die Aussagen fundiert sind." Deshalb stellt sie ihren Büchern meist eine sehr ausführliche Faktenrecherche voran und arbeitet dann Informationen ein, wo es passt. 

Isabel Abedi sagt, sie hätte als Jugendliche vermutlich selbst kein Sachbuch zum Thema Klimawandel gelesen – und auch heute falle ihr das noch schwer: "Mich erreichen Fakten nur, wenn sie über Emotionen vermittelt werden." Deshalb sei es besonders wichtig, dass wir Kinder und Jugendliche beim Thema Klimawandel auch ...

😨 Emotional abholen

Bei Kindern erlebe sie oft eine sehr ausgeprägte Empathie, sagt Abedi. Das könne man nutzen. "Mit starken Hauptfiguren können sich Kinder oft besonders gut identifizieren", sagt sie. Kinder folgen einer Figur und ihrer Gefühlswelt und reagieren selbst emotional darauf – in diesem Augenblick gibt es eine große Chance, dass das Interesse für ein Thema geweckt wird, findet die Autorin. 

Der emotionale Bezug zum Thema Klimawandel lässt sich für Kinder oft gut herstellen, weil sie Tiere und Natur lieben, findet Abedi. Und das Thema Klima sei ohnehin mit allem verbunden, das müsse man Kindern auf empathische Weise vermitteln. 

Kinder stehen in einer endzeitlichen Orange-Welt
Diese potenzielle Kinderbuch-Illustration zum Thema Klimawandel hat ein KI-Programm für uns geschaffen. Hoffen wir, dass unsere Kinder eines Tages nicht wirklich durch die Dystopie in Orange taumeln. Bildrechte: MDR Wissen

👸 Authentische Figuren 

"Fridays for Future, das sind immerhin Grundschulkinder, die teilweise mit auf Streiks gehen", betont Isabel Abedi. Natürlich merke man daran, dass die jungen Menschen für den Klimaaktivismus brennen und das ziehe andere mit. Beispiele von Menschen, die etwas bewegt haben, fände sie immer besonders empowernd, so die Autorin. Analog funktioniert dieses Prinzip auch in der Literatur: In dem Moment, wo eine (Haupt-)Figur in ihren Ängsten und Sorgen glaubwürdig ist – und dann auch Lösungen findet, reagieren Kinder und Jugendliche wirklich stark, sagt Isabel Abedi: "Ich lese eine Geschichte immer, weil mich eine Figur interessiert." 

💪 Konstruktiv bleiben 

Spoiler Alert für alle, die eines der erwähnten Bücher noch lesen wollten. Annette Mierswa sagt: "Ich schreibe immer ein hoffnungsvolles Ende." Jugendliche und Kinder sollten kein Buch serviert bekommen, das im Chaos endet, findet sie. Mittlerweile habe sie in ihren Büchern zu Klimathemen sogar einen Info-Teil hinten angegliedert, mit Organisationen und Adressen, die den Kindern weiterhelfen, falls sie sich nach dem Lesen engagieren wollen. In Gemeinschaft sei es dann eben doch leichter, mit der Angst vor dem Klimawandel zurechtzukommen. 

Auch Isabel Abedi betont, sie setze in ihren Büchern ebenfalls stark auf Hoffnung und Empowerment. Die Geschichten, die Kinder selbst zu Klimathemen schreiben, beispielsweise in Workshops, seien allerdings dagegen oft auffallend dystopisch, fügt Annette Mierswa an. 


🗓 Klima-Termine

Freitag, 28. April – Leipzig

Mit Prof. Dr. Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Dr. Bernhard Kegel sowie Prof. Dr. Ralf Seppelt vom UFZ diskutieren drei Wissenschaftler und Mitautoren des Buches "3 Grad mehr" im Rahmen von Leipzig liest über die globalen Auswirkungen des Klimawandels und Möglichkeiten des Umsteuerns. Infos hier

Samstag, 29. April – Leipzig

Wie wir Visionen aus der Dystopie fürs Heute entwickeln, ist das Thema einer Diskussion der Science-Fiction-Profis Sarah Raich und Martin Schäuble mit Leolo von FFF Leipzig. Die Veranstaltung findet im Rahmen der Klimabuchmesse statt. Infos hier

Samstag, 29. April – Leipzig

Am Tag der Klimademokratie – ins Leben gerufen von drei gemeinnützigen Organisationen – sollen Bürgerinnen und Bürger mit politisch Verantwortlichen ins Gespräch kommen. Und zwar in kleinen Gruppen und via Videocall. Mehr Infos hier

Samstag, 29. April – Leipzig

Im Rahmen der Klimabuchmesse diskutieren Prof. Claudia Kemfert, Julia Ebner und Jonas Schaible mit Antonie Rietzschel von der Leipziger Volkszeitung. Es geht darum, wie sehr Energie- und Klimakrise unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung bedrohen. Klimaschutz sichert nicht nur unsere Lebensgrundlage, sondern auch unsere Demokratie. Mehr Infos hier.

Montag, 1. Mai – Jessen

Der Nabu startet heute um 8:30 Uhr seine Frühjahrexkursion auf der Streuobstwiese Oberberge Jessen und im Forstrevier Arnsdorf. Mehr Infos & Kontakt hier.

Samstag, 6. Mai — Überall

Let's race! Die Anmeldephase für das nächste Birdrace läuft bereits. Ziel ist es an diesem Tag, so viele Vogelarten wie möglich zu sehen oder zu hören. Ein- bis Fünfköpfige Teams können teilnehmen, organisiert wird das Birdwatching-Event vom Dachverband Deutscher Avifaunisten. Alles weitere hier. 

Diesen Sommer — Leipzig

Seit dem 20. April läuft die Aktion Leipzig gießt. Vielen Stadtbäumen fehlt aufgrund der klimawandelbedingten Dürre das Wasser und sie geraten in Trockenstress. Um die Situation in diesem Sommer abzumildern, hat die Stiftung Ecken Wecken eine Gieß-App erstellt, mit der jeder und jede helfen kann, Bäume zu versorgen. Mehr dazu hier.


📰 Klimaforschung und Menschheit

Afghanistan, Papua-Neuguinea und Mittelamerika

Sind die Länder, die laut einer aktuellen Studie der Universität Bristol besonders stark unter den Folgen des Klimawandels leiden könnten. Der Grund: Hier werden "beispiellose Hitzeextreme" auf eine Bevölkerung treffen, die soziökonomisch verwundbar und kaum auf derartige Situationen vorbereitet ist. Peking und Mitteleuropa stehen ebenfalls auf der Liste der gefährdeten Regionen, weil diese Gebiete besonders dicht besiedelt sind. Gibt es hier eine Hitzewelle, sind direkt Millionen von Menschen betroffen. 

Studienautorin Dr. Vikki Thompson sagt dazu, ein paar Länder hätten bislang mitunter Glück gehabt, aber: "Einige dieser Regionen haben eine schnell wachsende Bevölkerung, einige sind Entwicklungsländer, einige sind bereits sehr heiß. Wir müssen uns fragen, ob die Hitzeaktionspläne für diese Gebiete ausreichen."

Insekten können den Klimawandel in Mischwäldern besser überleben

Das ist Ergebnis einer neuen Studie des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena, die jetzt im Fachjournal "Global Change Biology" veröffentlicht wurde. Bei der Beobachtung stellen die Forschenden fest, dass die Insekten in den durchmischten Umgebungen viel ruhiger agierten, als wenn die verschiedenen Laubsorten voneinander getrennt waren. "Wir gehen davon aus, dass das gemischte Laub nicht nur Schutz vor der Hitze bietet, sondern eben auch verschiedene Nahrungsquellen. Dadurch müssen sich die Insekten auf der Nahrungssuche weniger bewegen und können Energie sparen. Das hilft ihnen dabei, nicht zu überhitzen", erklärt Studienautorin Jördis Terlau. 

Wo noch Platz für Photovoltaik und Windenergie ist

Zeigt eine aktuelle Prognose des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE). In der Erhebung wurden mithilfe verschiedener Datenquellen zum einen vorhandene und geplante Anlagen verortet und zum anderen bereits bekannte Potenziale sowie in Analysen ermittelte Flächen anhand verschiedener Parameter wie Verfügbarkeit, Eignung, Bodengüte oder Konfliktträchtigkeit gewichtet. Während Windenergie in Schleswig-Holstein schon gut ausgebaut ist, gibt es in Sachsen und Thüringen noch Potenzial. Süddeutschland, das Rheinland und Westfalen könnten dafür eine größere Rolle beim Ausbau der Photovoltaik auf Hausdächern spielen. 


📻 Klima in MDR und ARD

👋 Zum Schluss

Lesen bildet. Das gilt wohl auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Alles weitere zur Buchmesse finden Sie übrigens bei MDR KULTUR. 

Und während wir hier noch darüber diskutieren, wie wir Kinder an den Klimawandel heranführen können, läuft es in echt vermutlich meist andersrum. Immerhin stellt eine Studie im Journal Nature climate change fest: Kinder können die Einstellung ihrer Eltern zum Klimawandel ganz entscheidend beeinflussen. Die Forschenden resümieren, dass generationenübergreifendes Lernen von Kind zu Eltern ein vielversprechender Weg im Kampf gegen die Klimakrise sein könnte. Und eine große Chance, wenn es darum geht, Menschen zu erreichen, die sich noch nicht mit dem Klimawandel auseinandergesetzt haben – somit hier das Gegenteil des erwähnten preaching to the choir. Die größten Effekte wurden in der Studie nämlich bei eher konservativen Eltern sowie bei Vätern erzielt. Die größte Überzeugungskraft hatten spannenderweise Töchter, weit mehr als Söhne.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!  

Inka Zimmermann 


Sie haben eine Frage oder Feedback?

Schreiben Sie uns an klima@mdr.de.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 28. April 2023 | 19:30 Uhr

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