Eine Hand mit Handschuh hält ein Blatt in einer Petrischale hoch.
Pflanzen als Vorbild für die Wasserstoffproduktion oder die organische Chemie: Forscher lassen sich von natürlichen Prozessen inspirieren. Bildrechte: Imago/Shotstop/MDR Wissen

Cleantech gegen Klimawandel Künstliche Pflanzen: natur-inspirierte Technik für saubere Energie und Chemie

08. Dezember 2022, 16:00 Uhr

Pflanzen benötigen nur Luft, Wasser und Licht, um alles Lebensnotwenige herzustellen. Forscher lassen sich davon inspirieren und entwickeln synthetische Blätter für klimafreundliche Energie und Chemie.

Autorenfoto von Clemens Haug
Bildrechte: Tobias Thiergen/MDR

Die Menschheit braucht Alternativen für fossile Brennstoffe, um die Erde nicht weiter aufzuheizen. Eine Möglichkeit ist Wasserstoff, der mit Sauerstoff einfach zu Wasser verbrennt. Eine andere sind eFuels, also Treibstoffe, die aus CO2 hergestellt werden und Teil eines Kreislaufs sind: Aus dem Treibstoff wird wieder Gas und das wieder zu Treibstoff.

Kostengünstig, schnell und klimaneutral: Forscher arbeiten an der Chemie der Zukunft

Sowohl die Herstellung von Wasserstoff (H2) und eFuels sind schon heute technisch möglich, aber meist sehr energieaufwändig und deshalb teuer. Pflanzen dagegen können sowohl Wasser spalten als auch CO2 zu Biomasse und damit zu Brennstoff verarbeiten. Für beide Prozesse benötigen sie nur Licht, Wasser und Luft. Zugleich sind Pflanzen aber sehr langsam und wenig effizient dabei. Nur etwa ein Prozent der Energie, die als Licht auf ihre Blätter fällt, wird am Ende zu verbrennbarer Biomasse.

Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass die Organismen in der Natur gar nicht das Ziel haben, in kürzester Zeit viel Brennstoff anzusammeln. Es würde sie mitunter nur attraktiver für Fressfeinde machen. Trotzdem ist der natürliche Prozess der Photosynthese eine große Inspiration für viele Forschende.

Mit der Natur als Vorbild versuchen mehrere Zusammenschlüsse verschiedener Institute und Einrichtungen in Deutschland die Photosynthese mit technischen Mitteln nachzubauen – und dabei schneller und effizienter zu werden. In zehn bis zwanzig Jahren könnten Brennstoffe und chemische Vorprodukte kostengünstig und klimaneutral hergestellt werden können.

Solarzellen: Eintreffendes Licht erzeugt Spannung

An der Technischen Universität Ilmenau setzen Thomas Hannappel und seine Mitarbeitenden auf Halbleiter. Das sind in diesem Fall Solarzellen, die ähnlich wie Pflanzen Wasser in Wasser- und Sauerstoff aufspalten können und nur Licht dafür benötigen. Hannappel und sein Team nennen ihre Entwicklung "künstliches Blatt". Hält man den Prototyp aus dem Labor in eine wässrige Lösung und bestrahlt die Zelle mit Licht, steigen zur einen Seite Bläschen mit Sauerstoff und zur anderen mit Wasserstoff auf.

Im Grunde funktioniert das künstliche Blatt ähnlich, wie ein Photovoltaikmodul. Eintreffendes Licht erzeugt eine Spannung in der Zelle, die als Strom entnommen werden könnte, in diesem Fall aber zur Spaltung von Wasser eingesetzt wird. Anders als bei der Stromproduktion werden hierfür aber höhere Spannungen benötigt, weshalb die Zelle aus mehreren Schichten aufgebaut ist, die jeweils unterschiedliche Teilspektren des Lichts absorbieren. Diese sogenannte Tandemzelle nutzt das eintreffende Licht also wesentlich besser aus, als bisher handelsübliche PV-Zellen.

Schematische Darstellung einer Tandem-Photoelektrode für die direkte Wasserspaltung (mit Grenzflächenfilmen und Elektrokatalysatoren modifiziert).
Schematische Darstellung einer Tandem-Photoelektrode für die direkte Wasserspaltung (mit Grenzflächenfilmen und Elektrokatalysatoren modifiziert). Bildrechte: TU Ilmenau/ Fachgebiet Grundlagen von Energiematerialien

Vorbild Photovoltaik: Enorme Effizienzsteigerungen möglich

Die direkte Umwandlung von Licht in Wasserstoff könnte die Produktion des Brennstoffs der Zukunft erheblich effizienter machen. Aktuell erreichen die Forscher einen Wirkungsgrad von 19,3 Prozent. Das bedeutet, durch die Verbrennung des von der Zelle produzierten Wasserstoffs können 19,3 Prozent der Energie hergestellt werden, die im auf die Zelle fallenden Licht enthalten war. Das ist bislang Rekord.

"Es ist keine Utopie, dass es uns gelingen wird, sehr effiziente künstliche Blätter zu bauen, um grünen Wasserstoff zu erzeugen", sagt Hannappel und hat dabei die rasante Entwicklung der solaren Stromerzeugung vor Augen. "Wenn man die Photovoltaik anschaut und wie sie sich entwickelt hat, dann kann man geradezu euphorisch werden, weil das zeigt, wie weit man kommen kann." Der Wirkungsgrad-Weltrekord von PV-Zellen liegt inzwischen bei 46 Prozent. Aus 1.000 Watt eintreffendem Sonnenlicht werden 460 Watt elektrischer Strom.

Forschung an künstlichem Blatt liefern jede Menge wertvolle Erkenntnisse

Gegenwärtig ist das aber noch Zukunftsmusik. Auf der Skala der Technology Readiness befinden sich die Forscher zwischen dritter und vierter Stufe. Die Zelle funktioniert, aber noch müssen im Labor viele ihrer einzelnen Bestandteile weiter verstanden und verbessert werden. Das Lichtspektrum könnte noch optimaler ausgenutzt werden. Die Katalysatoren, die in der Zelle einzelne Atome und Atombestandteile behandeln, haben noch großes Entwicklungspotenzial. Offene Forschungsfragen gibt es auch zu den Prozessen an der Grenzfläche zwischen der umgebenden Flüssigkeit und der festen Zelle. Und zu guter Letzt müssen alle Komponenten des Systems vor Korrosion geschützt werden und gut miteinander harmonieren.

Die Technology Readiness (TR) Level geben an, wie weit eine Erfindung auf dem Weg zu einem marktfähigen Produkt vorangeschritten ist.
Die Technology Readiness Skala unterteilt den Prozess von der Erfindung einer neuen Technologie bis zu ihrer Marktreife in neun Stufen. Bildrechte: MDR Wissen

All diese Fragen können nur in einem großen Forschungsnetzwerk beantwortet werden, deshalb arbeiten die Ilmenauer eng zusammen mit international renommierten Kollegen, etwa vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme, dem Helmholtz-Zentrum Berlin, aber auch der Universität Tokyo und dem Caltech in den USA.

"Das Gute daran ist, dass wir die Erkenntnisse zu all diesen Fragen auch bei vielen anderen Entwicklungen brauchen", sagt Hannappel. Eine effizientere Lichtausnutzung durch Tandemzellen kann auch die Stromerzeugung aus Licht verbessern. Ein besseres Verständnis der Fest-Flüssig-Grenzfläche hilft auch bei der Verbesserung von Batterien. Und Katalysatoren werden sowieso fast überall benötigt. "Und so berührt man viele Punkte, die ohnehin von größer Wichtigkeit sind."

Verschiedene Ansätze für synthetische Photosynthese

Der Forscher schätzt, dass man in zehn bis fünfzehn Jahren Arbeit eine Anlage entwickeln könnte, die das Prinzip im großen Maßstab umsetzt, also einen Prototyp für eine industrielle Anwendung darstellt. Dafür muss nicht nur die Zelle selbst verbessert werden, sondern auch die Methoden, um sie in großer Menge herzustellen. Eine weitere Stufe könnten später Zellen werden, die auch CO2 spalten können. "Aber das ist noch ein gutes Stück anspruchsvoller", sagt Hannappel. Hierfür wären Solarzellen mit mindestens drei Schichten notwendig, weil die Spannung noch größer werden muss.

Einen anderen, aber ebenfalls aus der Natur inspirierten Ansatz zur Spaltung von CO2 haben Michael Richter und Tobias Erb gewählt. Die beiden Forscher vom Fraunhofer Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik Stuttgart und dem Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg haben chemische Prozesse in vielen verschiedenen Pflanzenzellen analysiert und beteiligte pflanzliche Moleküle isoliert. Dann haben sie diese Moleküle neu kombiniert, um schließlich eine synthetische Photosynthese zu erschaffen.

Wirkungsrad der synthetischen Photosynthese im Labor: 92 Prozent

Unter Einsatz von automatischer Labortechnik und maschinellem Lernen ist es den beteiligten Teams gelungen, eine CO2-Spaltung mit einem Wirkungsgrad von 92 Prozent zu erreichen. 92 Prozent der eingesetzten Energie findet sich am Ende in den Produkten der Spaltung. Eine zentrale Rolle spielen dabei Katalysatoren, also Moleküle, die die Reaktion antreiben. Sie lassen sich mit Strom "regenerieren" und halten den Prozess in Gang.

Doch das Verfahren sei noch ziemlich weit von einem möglichen Einsatz im großen Maßstab entfernt, schätzt Michael Richter. "Wenn man weiterhin viel Geld in die Erforschung der Grundlagen steckt, könnten wir in fünf bis zehn Jahren eine kleine Demonstrationsanlage entwickeln", schätzt der Chemiker. Immerhin: Für ihre Grundlagenarbeit haben die Forscher den dritten Platz beim Wettbewerb "Best CO2 Utilization Award" 2022 belegt. Die Ausgangslage für eine Weiterentwicklung ist also vielversprechend.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | FAKT | 06. Dezember 2022 | 23:35 Uhr

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