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Ernährung Gesundheitsbündnis und Ernährungsindustrie streiten über Zucker, Salz und Fett im Essen

25. November 2023, 16:01 Uhr

Das geplante Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz (KLWG) möchte Kinder vor Werbung für Lebensmittel mit einem zu hohen Zucker-, Fett- und Salzgehalt schützen. Das gefällt Lebensmittelverbänden gar nicht. Eine entsprechende Gegenkampagne kritisiert das Medizin- und Wissenschaftsbündnis "Dank" scharf. Die Branchenverbände arbeiten mit fachlich falschen Informationen, kritisieren die Gesundheitsschützer.

Übergewicht und Fettleibigkeit (Adipositas) gehören zu den großen gesundheitlichen Herausforderungen in allen Industrie- und mittlerweile auch in vielen Schwellenländern. Während ein Teil der Welt mit Reis und Bohnen hungert, ist der andere Teil unserer Welt mit Pizza und Eiscreme übersättigt, schreiben Forscher des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PiK) in ihrer Studie "Die derzeitige Ernährung konterkariert die Ziele der Ernährungssicherheit, der öffentlichen Gesundheit und des Umweltschutzes". Die Kluft werde sich weiter vergrößern. Bereits 2050 könnte fast die Hälfte der Weltbevölkerung übergewichtig sein, knapp ein Viertel fettleibig.

Über die Hälfte der Männer in Deutschland übergewichtig

Das Problem ist auch in Deutschland riesig. Nach Angaben der Deutschen Adipositas-Gesellschaft sind hier rund zwei Drittel der Männer (67 Prozent) und die Hälfte der Frauen (53 Prozent) übergewichtig. Knapp ein Viertel aller Erwachsenen ist sogar fettleibig. Die Lebensmittel in der Kindheit spielen bei der Ausprägung von Ernährungsgewohnheiten eine riesige Rolle. Deswegen will das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) mit dem geplanten Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz (KLWG) jetzt Werbung für sehr zucker-, salz- und fetthaltige Lebensmittel verbieten. Das Vorhaben ist im Koalitionsvertrag verankert. Erste Entwürfe für das Gesetz liegen vor.

Werbung wirkt auf Ernährungsverhalten von Kindern und Jugendlichen

"Lebensmittelwerbung hat einen nachhaltigen Einfluss auf das Ernährungsverhalten bei Kindern unter 14 Jahren. Sie sind besonders empfänglich für Werbung. Eltern haben kaum die Möglichkeit, ihre Kinder vor Werbung zu schützen" heißt es aus dem Ministerium. Kinder und Jugendliche würden durchschnittlich täglich mit 15 Werbespots vor allem für Fast Food, Snacks und Süßigkeiten konfrontiert. Knapp zwei Millionen Kinder sind laut BMEL schon bis in das junge Alter von sieben Jahren übergewichtig. Zudem würden Kinder und Jugendliche "doppelt so viele Süßwaren und Snacks und nur halb so viel Gemüse und Obst wie empfohlen" konsumieren. Die gesundheitlichen Kosten schätzt das Ministerium auf 63 Milliarden Euro.

Ernährungsindustrie kritisiert geplantes Zuckerwerbeverbot

Der Ernährungsindustrie gefällt das Gesetzesvorhaben zum Kinder-Werbeverbot für Lebensmittel mit viel Zucker, Fett und Satz allerdings überhaupt nicht. Mit einer großen Kampagne aus Anzeigen in Tageszeitungen, einem Brief an Bundesernährungsminister Cem Özdemir von gleich 30 Branchenverbänden, diversen Fachveranstaltungen und Pressemitteilungen agitieren die Verbände den Gesetzesentwurf. Sie monieren einen mangelnden Nachweis, dass Werbung und Übergewicht bei Kindern zusammenhängen.

Zudem beruft sich der Lebensmittelverband darauf, dass der Entwurf verfassungswidrig sei. Diese Einschätzung teilt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages nicht. Dort heißt es kurz formuliert: Informationsrechte gehören zu den Grundrechten. Sie können zum Schutz der Jugend jedoch eingeschränkt werden, wenn sie einen Zweck verfolgen und verhältnismäßig sind. "Der Zweck besteht im Gesundheitsschutz von Kindern, "welches einen legitimen, mit der Verfassung im Einklang stehenden Zweck darstellt".

Medizin- und Wissenschaftsbündnis kritisiert Kampagne der Lebensmittelverbände scharf

Das Medizin- und Wissenschaftsbündnis Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (Dank) hat die aktuelle Initiative von Branchenverbänden der Lebensmittel- und Werbewirtschaft gegen das geplante Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz (KLWG) jetzt scharf kritisiert. "Die Gegenkampagne hält einer fachlichen Überprüfung nicht stand", sagte Oliver Huizinga von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG). "Anders als die Branchenverbände es darstellen, gibt es umfassende Nachweise, um Werbebeschränkungen zu begründen." Schreckensszenarien über negative Auswirkungen einer Werberegulierung seien aus der Luft gegriffen. Das Bündnis habe dafür einen Faktencheck erstellt.

Barbara Bitzer, Dank-Sprecherin und Chefin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) erklärte: "In der wissenschaftlichen Literatur herrscht Konsens, dass Beschränkungen der Lebensmittelwerbung wichtig zur Förderung gesunder Ernährung sind. Dass Werbe- und Lebensmittelbranche so vehement gegen die Pläne mobilisieren, zeigt vor allem eines: Die geplanten Regelungen könnten eine große Wirkung entfalten."

Jugendmediziner: Klare Verletzung von Kinder-Interessen

Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) sieht eine inakzeptable Verletzung der Interessen von Kindern und Jugendlichen durch die Ernährungsindustrie. "Es ist nicht nachvollziehbar, dass aus rein wirtschaftlichen Interessen das Wohl unserer Kinder nicht nur vernachlässigt, sondern eine klare Verletzung der Kinderinteressen bewusst in Kauf genommen wird", erklärte Rodeck.

Laut der Umweltschützer hat die WHO erst kürzlich zwei Analysen vorgelegt, in denen der Zusammenhang zwischen Werbung und Konsum bei Kindern nachgewiesen worden ist. In der britischen Studie eines Autorenteams um Emma Boyland heißt es: "Lebensmittelwerbung steht mit einer erhöhten Aufnahme, Auswahl, Vorliebe und Kaufanfragen bei Kindern und Jugendlichen in Verbindung." Begrenzte Werbung werde "der Kindergesundheit zugutekommen." Eine zweite Studie um das gleiche Forscherteam gibt "Hinweise darauf, dass Werbebegrenzungen dazu führen können, dass weniger ungesunde Lebensmittel gekauft werden". Dies könne sich unter Umständen positiv auf die öffentliche Gesundheit auswirken.

Aktuelle Studie schlägt sogar Steuer für zuckergesüßte Getränke vor

Viel weiter geht eine aktuelle Studie der TU München. Sie untersuchte, wie sich eine zuckergesüßte Getränke auf die Gesundheit und Ökonomie in Deutschland auswirken könnte. Das Ergebnis: Bei einer 20-Prozent-Besteuerung der Zucker-Getränke würden erwachsene Personen im Durchschnitt pro Tag einen Gramm Zucker weniger aufnehmen. Damit werden laut Studie über 132.000 Typ-2-Diabetes-Fälle verhindert und etwa 9,6 Milliarden Euro im Gesundheits- und Sozialwesen gespart werden.

Mit einer Staffelsteuer, die Unternehmen anhalten soll, den Zuckergehalt zu reduzieren, wären die Effekte sogar noch viel höher. Hier würden Erwachsene sogar 2,34 Gramm weniger Zucker pro Tag einnehmen. Dies bedeute 244.000 Typ-2-Diabetes-Fälle und circa 16 Milliarden Euro Einsparungen im Gesundheitswesen.

Michael Stolpe, Leiter des Projektbereichs Globale Gesundheitsökonomie, Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel erklärte: "Diese neue Studie zeigt für Deutschland so umfassend wie nie die Größenordnung der gesundheitlichen Gewinne für die Bevölkerung und der finanziellen Gewinne für die Volkswirtschaft aus einer verringerten Zahl von Schlaganfällen, Adipositas-, Herz- und Diabetes-Typ-2-Erkrankungen, die eine klug gestaltete Zuckersteuer herbeiführen könnte."

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