MPI für Menschheitsgeschichte Jena Eierschalen-Perlen enthüllen bislang ältestes soziales Netzwerk der Welt

20. Dezember 2021, 17:27 Uhr

Aus Straußeneierschalen gefertigte Perlen zeigen Forschenden ein soziales und kulturelles Netzwerk auf 3.000 Kilometer Länge zwischen Ost-und Südafrika. Eine riesige Perlen-Datenbank ermöglicht eine Rekonstruktion des sozialen Austausches in einem Land vor unserer Zeit vor 55.000 Jahren. Forschende aus Jena finden dabei kulturellen Aufbruch – doch auch ein abruptes Ende der Verbindungen, vermutlich durch klimatische Veränderungen.

Aufnahmen von Perlen aus Straußeneierschalen unter dem digitalen Mikroskop.
Sie weisen den Weg in die Geschichte: Perlen aus Straußeneierschalen, hier unter dem digitalen Mikroskop, zeugen von sozialen und kulturellen Netzen. Bildrechte: Jennifer Miller, Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte Jena/Thüringen

Wer denkt, soziale Netzwerke seien nur ein Phänomen der Digitalisierung und des 21. Jahrhundert, hat sich kräftig geirrt. Schon immer vernetzten sich die Menschen auch über ihre eigenen Familien- und Kulturkreise hinaus. Doch wie sah das genau aus? Wie war ein Kontakt und ein Austausch über tausende Kilometer ohne moderne Verkehrsmittel und Kommunikationsgeräte möglich? Diese Details bleiben oft eine Vermutung. Doch eine spektakuläre Entdeckung gelang Forschenden des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena. Kleine Perlen aus Straußeneierschalen wiesen ihnen dabei den Weg.

Es ist, als würde man einer Spur von Brotkrumen folgen. Die Perlen sind Hinweise, die über Zeit und Raum verstreut sind und nur darauf warten, entdeckt zu werden.

Jennifer M. Miller Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte Jena in Thüringen

Bisher größte Datenbank mit Perlen von Straußeneiern

Für ihre Studie stellten die Forscherinnen Jennifer M. Miller und Yiming V. Wang mit anderen Wissenschaftlern die bisher größte Datenbank mit Perlen von Straußeneiern zusammen. Sie enthält Daten von mehr als 1.500 einzelnen Perlen von 31 Orten im südlichen und östlichen Afrika. Sie sind bis zu 50.000 Jahre alt. "Das Sammeln dieser Daten war ein mühsamer und langsamer Prozess, der mehr als ein Jahrzehnt dauerte", erklären die Forscherinnen.

Steinzeitliche Bohrtechniken

3.000 Kilometer langes soziales Netz

Als Miller und Wang die Merkmale der Perlen, wie zum Beispiel Durchmesser und Schalendicke verglichen, stießen sie auf ein erstaunliches Ergebnis: Scheinbar verwendeten die Menschen im östlichen und südlichen Afrika vor 33.000 bis 50.000 Jahren nahezu identische Perlen eines Stils.

Das weist darauf hin, dass die Menschen in den beiden Regionen einst über ein mehr als 3.000 km langes soziales Netz miteinander verbunden waren.

Yiming V. Wang Forscherin am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte Jena in Thüringen

Das Ergebnis sei überraschend, aber das Muster klar. "In den 50.000 Jahren, die wir untersucht haben, ist dies der einzige Zeitraum, in dem die Merkmale der Perlen gleich sind", erklärte Wang. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Zeitschrift Nature veröffentlicht.

Älteste jemals identifiziertes soziales Netzwerk

Diese Ost-Süd-Verbindung vor 50-33.000 Jahren ist den Wissenschaftlerinnen zufolge das älteste jemals identifizierte soziale Netzwerk. Es fällt mit einer besonders feuchten Periode im östlichen Afrika zusammen.

Ließen Klimaveränderungen die Kontakte abbrechen?

Allerdings: Die Anzeichen des regionalen Netzwerkes verschwinden vor 33.000 Jahren plötzlich wieder. "Wahrscheinlich führten große Veränderung des globalen Klimas zu geographischen Barrieren und damit zu einem Abbruch der sozialen Beziehungen", vermuten die Wissenschaftlerinnen. Als die Verbindungen abbrachen, habe das östliche Afrika einen dramatischen Rückgang der Niederschläge erlebt, in dessen Folge sich der tropische Regengürtel nach Süden verlagerte. Dadurch sei es im Einzugsgebiet des Sambesi, welches das östliche mit dem südlichen Afrika verbindet, zu vermehrten Regenfällen gekommen, die regelmäßig die Flussufer überschwemmten und möglicherweise eine geografische Barriere schufen, die die regionalen sozialen Netzwerke unterbrach.

Der Sambesi stürzt mehr als 100 Meter über die Viktoria-Fälle in die Tiefe.
Der Sambesi ist heute ein riesiger Fluss und könnte damals natürliche Barriere geworden sein. An den Viktoria-Fällen stürzt er 100 Meter in die Tiefe. Bildrechte: MDR/ORF

Durch diese Kombination von paläoökologischen Proxies (Kommunikationsschnittstellen Anm.d.R.), Klimamodellen und archäologischen Daten können wir den Zusammenhang zwischen Klimawandel und kulturellem Verhalten erkennen.

Yiming V. Wang

Perlen aus Straußeneierschalen: ein Fenster in die Vergangenheit

Doch warum eigentlich Perlen aus Straußeneierschalen? "Sie sind die ältesten vollständig hergestellten Ornamente der Welt", erklären die Forschenden. Die Menschen hätten die Schalen vollständig umgeformt und stilistisch geprägt, um die Perlen herzustellen. "Da verschiedene Kulturen Perlen in unterschiedlichen Stilen herstellten, bieten die prähistorischen Accessoires den Forschern die Möglichkeit, kulturelle Verbindungen nachzuvollziehen", erklären Miller und Wang. Sie seien ideale Artefakte für das Verständnis alter sozialer Beziehungen.

Eine Geschichte mit Perlen weben

Die Ergebnisse der Studie präsentieren laut den Forschenden eine 50.000 Jahre lange Geschichte über menschliche Verbindungen und die dramatischen Klimaveränderungen, die die Menschen auseinandertrieben. "Die Daten geben sogar neue Einblicke in die unterschiedlichen sozialen Strategien zwischen dem östlichen und dem südlichen Afrika, da sie unterschiedliche Verläufe bei der Verwendung von Perlen im Laufe der Zeit dokumentieren", heiß es. Diese regionalen Reaktionen zeigten die Verschiedenheit des menschlichen Verhaltens, lange vor unserer Zeit.

Diese winzigen Perlen haben die Macht, große Geschichten über unsere Vergangenheit zu erzählen. Wir ermutigen andere Forscher, auf dieser Datenbank aufzubauen und weiterhin Beweise für kulturelle Verbindungen in neuen Regionen zu erforschen.

Jennifer M. Miller

Bislang sei wenig bekannt darüber, warum und wie sich verschiedene Populationen und Kulturkreise in der Vergangenheit zusammengeschlossen haben. "Die Beantwortung dieser Fragen ist entscheidend für die Interpretation der biologischen und kulturellen Vielfalt, die wir heute in Populationen beobachten", sagte Miller. Zwar sei die DNA ein leistungsfähiges Instrument zur Untersuchung genetischer Interaktionen, sie könne jedoch nichts über den kulturellen Austausch aussagen.

(kt)