Klimaanpassung Heiß, heiß, Baby – wie können sich Städte an Hitze anpassen?

23. September 2022, 10:56 Uhr

Wenn die Heizung aufgedreht wird, erscheint Hitze wie eine Fata Morgana in weiter Ferne. Doch 38 Grad im Schatten werden in Zukunft keine Seltenheit sein, sind sich Forscher einig. Sie legen jetzt Strategien zur Anpassung an die Hitze in den Städten vor.

Wenn draußen der Herbstwind pfeift, wirkt nichts ferner als Sommerhitze mit Temperaturen bis 40 Grad. Doch Hitze ist lebensgefährlich. Über 8.000 Menschen starben im Jahr 2018 in Deutschland durch die Hitze. Für dieses Jahr kann bislang nur geschätzt werden. Klar ist jedoch: Im Juli 2022 sind mehr zwölf Prozent mehr Menschen gestorben als in den Julis der vergangenen vier Jahre. Besonders betroffen sind Senioren, Babys, Kleinkinder, Kranke und Pflegebedürftige sowie sozial benachteiligte Menschen.

Hitze ist längst nicht mehr allein ein Wetterphänomen. Hitze ist eine Lebensfeindlichkeit, die besonders die Bewohner in aufgeheizten Städten in die Knie zwingt. Millionen Menschen leben in Europa in Städten. Gelingt es nicht, diesen Lebensraum umzubauen, wird er langfristig unbewohnbar.

Umdenken in den Kommunen nötig

Doch wie können sich Städte an die Hitze anpassen? Das haben Wissenschaftler aus Mitteldeutschland in dem Projekt "HeatResilientCity" erforscht. Das Ergebnis: Sowohl im Freiraum als in den Baubeständen der Städte sind Anpassungsmaßnahmen dringend nötig, aber auch möglich. Allerdings erfordert es dafür Ressourcen und ein bewusstes Umdenken in den Kommunen. Schon kleine Änderungen können helfen. Die Wissenschaftler entwickelten eine Webanwendung zur Abschätzung der Hitzebelastung an einem Ort. Gleichzeitig sammelten sie Daten auf dessen Grundlage.

Hitzebelastung vor allem nachts höher

"Aufgeheizte Städte werden ein neues Durchschnittsphänomen, wenn Sie so wollen, Normalität. Gegenüber dem Land ist die Wärmebelastung vor allem nachts viel höher", erklärte Meteorologin Astrid Ziemann von "HeatResilientCity" im Interview. "Unser Projekt ermöglicht Anpassungen auf der Basis ganz konkreter Daten." Das sei ein Riesengewinn, weil man nun einen professionell entwickelten Werkzeugkasten habe.

Massive Belastung in Neubauten

Grundsätzlich entscheiden die ForscherInnen zwischen Maßnahmen zur Hitzeanpassung im Freiraum und an Gebäuden. "Oft haben wir in den Schlafräumen eine massive Belastungssituation", erklärt Professor Thomas Naumann von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden. Die Zahl der Stunden über 27 Grad (Übertemperaturgradstunden) sei enorm gestiegen. Von Hitze betroffen seien besonders Gebiete in Südwestdeutschland und Ostdeutschland vom Elbtal bis südlich von Berlin. Für das Forschungsprojekt in Dresden habe man die Temperatur in einem Neubaugebäude des Typs WBS 70 im Stadtteil Gorbitz in verschiedenen Reihen gemessen. Dabei sei ganz deutlich klargeworden, wie sehr die Hitzebelastung mit jedem Stockwerk steigt.

Schatten, Wärmespeicherung, Lüftung

Doch wie lässt sich in Gebäuden nun die Temperatur senken? "Eine sehr effiziente Strategie, um den Wärmeeintrag zu verhindern, ist die Verschattung", erklärt Naumann. Kurzum: Rollläden, Markisen, alles was Schatten bringe und verhindere, dass die Wärme in das Gebäude dringe, helfe. Wichtig sei auch ein optimierter Luftwechsel. "Zentrale Lüftungsanlage mit einer Nachtbelüftung ist sehr erfolgsversprechend", sagte Naumann. Relevant sei auch die Wärmespeicherfähigkeit der Gebäude. Eine Kühlung der Gebäude spiele wegen des hohen Energieaufwands und der schlechten Klimabilanz dagegen eine untergeordnete Rolle.

Gründächer für viele Neubauten zu schwer

Um das Stadtklima zu verbessern, empfehlen viele Wissenschaftler den Anteil der Pflanzen in allen denkbaren Bereichen zu erhöhen. Gründächer kommen allerdings für viele Neubauten nicht in Frage, erklärt Naumann. Dafür reiche die Statik nicht. "Gründächer können auf den WBS 70 nicht installiert werden", sagte der Forscher. Physiker Dr. Christoph Schünemann erklärt, grundsätzlich sei es wichtig, so wenig Fläche wie möglich zu versiegeln und so viel Grün wie möglich in den Stadtraum zu bringen. Das bedeute: Keine Parkplätze mit Asphalt, sondern mit Rasengittersteinen. Möglichst viele Wiesen, nach Möglichkeiten kein dunkler Belag auf Fahrbahnen und Dächern, stattdessen weiße Fassaden. Viele Bäume, Gründächer, Fassadenpflanzen, Regenrückhaltebecken, Regentonnen oder eigene Zisternen auch für Stadthäuser.

Photovoltaik an Fassaden heizt Häuser noch mehr auf

Photovoltaik-Module an Fassaden sind nach Ansicht der "HeatResilient" nicht zur Anpassung an Hitze geeignet. "PV hat den Nachteil, dass sie sehr warm wird, das ist für Gebäude nicht von Vorteil" hieß es auf der Konferenz. Hier sei Vorsicht geboten. Man habe sogar schon in Modellprojekten sehen können, dass sich die Temperatur durch PV an der Fassade noch weiter erhöhe.

Bäume, Bäume, Bäume

Abseits der Gebäude: Wie kann der Stadtraum umgestaltet werden? "Ich sage: Bäume, Bäume, Bäume", erklärt Meteorologin Ziemann im Interview. "Tagsüber brauchen wir schattige Bereiche -  das funktioniert am besten durch Bäume mit großen Kronen. Diese müssen wir unbedingt erhalten und auch anpflanzen." Sie müssten frosthart sowie hitze- und trockenresilient sein. Besonders eigneten sich Dreispitzahorn, Resista-Ulmen und die chinesische Birne. Ziemann zufolge ist es bei Neuplanungen relativ einfach, die Bäume mit einzuplanen. Doch auch im Bestand müsse trotz aller Schwierigkeiten durch Infrastruktur im Boden unbedingt nachgebessert werden.

Bäume wie Juwelen behandeln

Ziemann zufolge sei es wichtig, Baumfällungen genau unter die Lupe zu nehmen. "Bis ein großer Baum seine Wirksamkeit entfaltet, dauert es oft Jahrzehnte. Wir sollten unsere Bäume wie Juwelen behandeln, erklärte die Wissenschaftlerin. Es sei eigentlich nicht mehr zu verantworten, ausgewachsene Bäume zu fällen.

Gesundheitsfürsorge während der Hitze

Neben Anpassung an Gebäuden und im Stadtraum spielt den Wissenschaftlern zufolge auch die Gesundheitsfürsorge eine entscheidende Rolle für das Leben und Überleben mit sehr hohen Temperaturen. "Wenn Multiplikatoren - sprich Pflegedienste, Altenheime, Kitas, Schulen, Vereine oder Wohnungsunternehmen – über den Umgang mit Hitze aufklären, kann das sehr große Effekte haben", erklärt Marit Gronwald vom Gesundheitsamt Dresden. Für das Projekt habe man ein Hitzehandbuch zusammengestellt, das nach der Fertigstellung im nächsten Jahr auch von anderen Kommunen genutzt werden könne.

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Hitzetool misst Belastung

Damit jede Gemeinde, jeder Vermieter, aber auch jede Privatperson einfach messen kann, wie groß die Hitzebelastung ist und inwieweit diese verringert werden kann, haben die Wissenschaftler zudem ein Web-Tool entwickelt, das ab nächstem Jahr für alle kostenfrei zur Verfügung steht.

Links/ Studien

Die Ergebnisse der Arbeit für hitzeresiliente Städte können Sie hier nachlesen.

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