Fotomontage: Junge Menschen im Büro zeigen auf Kalender mit Vier-Tage-Woche
Der Wunsch vieler Angestellter: Regelmäßige Vier-Tage-Wochen mit einem verlängerten Wochenende
(Fotomontage)
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Verlängertes Wochenende Pilotprojekte zur Vier-Tage-Woche

31. Oktober 2022, 08:00 Uhr

Eine Mehrheit der Deutschen wünscht sich, nur vier statt fünf Tage in der Woche zu arbeiten. Das kann funktionieren, zeigen verschiedene Pilotprojekte. Aber vielleicht nicht überall.

Das Vereinigte Königreich ist gerade mittendrin. Die Rede ist nicht von der Regierungsumbildung, sondern vom größten Pilotprojekt seiner Art, dem Test einer allgemein verbindlichen Vier-Tage-Woche bei der Arbeit. 73 Unternehmen ganz unterschiedlicher Größe und aus verschiedensten Branchen hatten sich für den sechsmonatigen Versuch angemeldet, der Anfang Juni begann.

Mehr als 3.300 britische Beschäftigte arbeiten deswegen gerade einen Tag weniger pro Woche, bei gleicher Bezahlung. Dass die Angestellten das gut finden, steht natürlich außer Frage. Auch in Deutschland fände eine große Mehrheit die Vier-Tage-Woche wünschenswert, bei gleicher Bezahlung sowieso, und jede(r) Siebte würde sogar auf Geld verzichten.

Aber wie geht es den britischen Unternehmen mit dem Pilotprojekt? Auch gut, größtenteils jedenfalls – das ist das Zwischenergebnis nach einer Befragung der Unternehmensleitungen zur Halbzeit, an der 41 der 73 Unternehmen teilnahmen. Fast schon überwältigende 88 Prozent gaben an, dass das Modell in dieser Phase des Versuchs für ihr Unternehmen "gut" funktionierte und dass sie "sehr wahrscheinlich" oder "wahrscheinlich" die Beibehaltung der Vier-Tage-Woche nach dem Versuchszeitraum in Betracht ziehen würden. 95 Prozent spürten keinerlei Produktivitätsrückgang, fast die Hälfte machte dagegen eine "leicht verbesserte" (34 Prozent) oder "erheblich verbesserte" (15 Prozent) Produktivität aus.

Island hat in den vergangenen Jahren bei zwei vergleichbaren Pilotprojekten zu verkürzter Arbeitszeit ähnliche Erfahrungen gemacht (englischsprachige Auswertung im PDF-Format hier). Die möglichen Gründe für den Erfolg solcher Projekte klingen plausibel. Zum einen haben viele Unternehmen den Versuch zum Anlass genommen, Arbeitsabläufe zu optimieren, verzichtbare "Zeitfresser" wie Meetings zu kürzen oder ganz zu streichen. Zum anderen ist die Belegschaft bei einem freien Tag mehr pro Woche erholter und zufriedener und hat dadurch mehr Freude an und bei der Arbeit.

Gegenargumente

Es gibt natürlich Branchen, in denen eine Vier-Tage-Woche schwierig erscheint, allen voran solche, wo die verbrachte Zeit ein Teil der Arbeit ist wie zum Beispiel in der Pflege, bei Gesundheitsberufen und beim Bau. Wenn dort bei gleicher Bezahlung einen Tag weniger gearbeitet wird, werden automatisch mehr Angestellte gebraucht, um das gleiche Pensum zu schaffen. Das wird sich kaum ein Unternehmen leisten wollen.
Auch Matthias Bianchi vom Deutschen Mittelstandsbund sagte gegenüber der Tagesschau, dass so ein Modell in kleinen und mittleren Unternehmen nicht für alle Branchen funktionieren könne. Überall dort, wo seriell gearbeitet oder produziert werde, würden solche Modelle schnell an ihre Grenzen stoßen.

Darüber hinaus gibt es auch noch keine großen Langzeitbeobachtungen, wie es verschiedenen Branchen oder der Wirtschaft eines ganzen Landes bei einer Vier-Tage-Woche ergeht. Vorstellbar wäre zum Beispiel, dass sich mit der Gewöhnung ans neue Modell die einstige Freude über den gewonnenen freien Tag abnutzt und die tägliche Produktivität aufs vorherige Niveau fällt (und man beginnt, über die Einführung der Drei-Tage-Woche nachzudenken, damit man wieder Spaß an der Arbeit hat).

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Bildrechte: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

Überhaupt, so Marcel Fratzscher, Professor für Makroökonomie und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, solle man sich nicht auf ein bestimmtes Modell festlegen. Das sagte er dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND) im vergangenen Jahr in Bezug auf die Island-Studie. Flexibilität bei Arbeitszeitmodellen findet Fratzscher besser. Für ihn sei es außerdem eine Illusion, in einer Vier-Tage-Woche das gleiche Geld zu verdienen wie zuvor. "Vielleicht arbeitet man produktiver, aber man schafft dennoch weniger als in einer Fünf-Tage-Woche."

Weltweite Pilotprojekte

Dass die Gesamtleistung eines Unternehmens nicht sinken darf, ist aber auch der Anspruch der Initiatoren des britischen Pilotprojekts. Die gemeinnützige Organisation "4 Day Week Global" spricht vom 100-80-100-Prinzip - das bedeutet 100 Prozent Bezahlung für 80 Prozent der Zeit, während 100 Prozent der Leistung erhalten bleiben.

Am 30. November geht das britische Projekt zu Ende. Man darf auf die Auswertung sehr gespannt sein. Unterdessen laufen ähnliche sechsmonatige Projekte auch in den USA, Kanada, Neuseeland und Australien. In Deutschland (noch) nicht. Hier sind es nur immer mal wieder einzelne Unternehmen, die das versuchen (teils mit wissenschaftlicher Begleitung) und dann meist Positives berichten.

(rr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 2 | 29. September 2022 | 14:00 Uhr