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Eine junge Frau mit schulterlangen Haaren vor pinkfarbenem Hintergrund, daneben ein Megafon, aus dem weiße Blitze schießen. Darunter der Schriftzug: Besser streiten. 23 min
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MDR Fr 18.10.2024 12:00Uhr 22:32 min

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Brandmauern Müssen wir wirklich mit jedem streiten?

25. Oktober 2024, 17:16 Uhr

Streiten ist wichtig: für uns persönlich, für unsere sozialen Beziehungen, für unser gesellschaftliches Zusammenleben. Aber was, wenn es wirklich unschön wird? Wenn wir uns beispielsweise Hass und Hetze oder Verschwörungsmythen gegenübersehen? Ab wann ist es okay, eine Art Streit-Brandmauer hochzuziehen – oder sollten wir uns wirklich in jeden Konflikt hineinwerfen?

Zu viel Streit macht uns krank

Eins ist klar: Streiten ist anstrengend, und zu viel destruktiver Streit kann uns sogar krank machen. Forschende der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, Pennsylvania/USA, haben zum Beispiel herausgefunden: Wer mit seinen Mitmenschen immer wieder in Konflikte gerät, hat ein höheres Herzinfarkt-Risiko. Gezielt auszuwählen, welchen Konflikt wir austragen und welchen wir uns sparen, könnte man also getrost als Strategie zugunsten der eigenen Gesundheit verbuchen.

Unversöhnlichkeit wieder positiver sehen

Für Svenja Flaßpöhler klingt das jedoch alles andere als verlockend. Sie ist Philosophin, Buchautorin, Chefredakteurin des Philosophie-Magazins – und sagt von sich selbst, dass sie richtig gerne streitet: "Im Streit tariert sich Nähe und Distanz aus. Er hält auch soziale Ordnungen dynamisch und beweglich. Jede Form von zu großer Einigkeit führt zur Erstarrung."

Genau diese Art von Erstarrung befürchtet Flaßpöhler mit Blick auf die aktuelle Lage: Die Gesellschaft sei "pazifiziert", so Flaßpöhler im Interview mit MDR WISSEN. Stets käme es darauf an, einander zu verstehen und sich einig zu werden – doch das klappe in Zeiten diverser Großkrisen nunmal nicht. "Wir müssen wegkommen von dieser Idee eines Konsenses, in dem sich alle treffen müssen. Ein Weg wäre, die Unversöhnlichkeit und das Nicht-Übereinkommen wieder viel positiver zu bewerten", so Flaßpöhler.

Das Foto zeigt eine Frau mit blonden kurzen Haaren. Dabei handelt es sich um die Philosophin und Autorin Svenja Flaßpöhler
Philosophin Svenja Flaßpöhler fordert mehr Mut zur Uneinigkeit. Bildrechte: Johanna Rübel

"Wir erleben gerade, wie Freundschaften scheitern an politischen Fragen, siehe Gaza, siehe Ukraine, siehe auch Corona. Und ich glaube, ein Grund dafür ist eben, dass man denkt: Wenn wir keinen Konsens haben in diesen Fragen, dann können wir nicht mehr befreundet sein und keine politische Gemeinschaft mehr bilden. Das ist, glaube ich, ein Irrtum."

Angst verschlechtert Streit

Das Problem: Die Angst, dass bei einem Konflikt gleich ganze Beziehungen auf dem Spiel stehen, macht uns zu schlechteren Streitenden. Das zeigen Untersuchungen der University of Waterloo aus dem Jahr 2019. Demnach werden wir schlechter darin, besonnen Argumente abzuwägen und andere Perspektiven einzunehmen, wenn wir fürchten, dass unser konträrer Standpunkt dazu führen könnte, dass wir ausgeschlossen werden oder Freunde verlieren.

Dieser Logik folgend, wären Streit-Brandmauern also ein kontraproduktives Instrument: Durch die Aussicht darauf, bestimmte Stimmen aus dem Diskurs zu werfen, erhöhe ich die Wahrscheinlichkeit, dass genau diese Stimmen diese Gefahr wittern und dadurch ein umso destruktiveres Streitverhalten an den Tag legen.

Wo verlaufen die Grenzen des Sagbaren?

Auch Philosophin Svenja Flaßpöhler plädiert dafür, den Rahmen des Sagbaren eher breit zu halten: "Wir müssen uns ganz viel zumuten, wenn wir die Demokratie lebendig halten wollen." Klar gebe es einen Punkt, ab dem man Grenzen ziehen müsse. "Mein Eindruck ist aber, dass wir gerade jetzt, in unserer Zeit und gerade auch in Deutschland, diese Grenze oft zu früh ziehen. Aber wenn wir zu schnell sagen: Das ist illiberal, das ist rassistisch, das ist sexistisch – dann verhindern wir, dass wir ein gemeinsames Bündnis bilden können gegen die wirklichen Feinde der Demokratie."

Aber wie wissen wir denn, wer sie sind, diese "wirklichen Feinde der Demokratie"? Ab wann geht das los, wo ist der Punkt erreicht, an dem wir Brandmauern hochziehen und uns dem Konflikt entziehen dürfen? Darauf können im MDR WISSEN-Podcast "Meine Challenge" weder Svenja Flaßpöhler noch andere Expertinnen und Experten eine klare Antwort geben. Denn genau das gehört ja zur Demokratie: Die Antwort müssen die Menschen gemeinsam herausfinden, sich einigen, ein Prozess, der vermutlich nie endet und stets vom aktuellen Zeitgeist geprägt ist.

Erste Hinweise liefert das Grundgesetz

Immerhin: Ein paar Leitplanken sind durchaus vorhanden, sagt der Journalist und Autor Hajo Schumacher. "Dafür gibt es ja diesen sogenannten Rechtsstaat. Unsere Gerichte entscheiden ja ganz häufig, was zum Beispiel diskriminierend ist oder wo Grundrechte beschnitten werden. Und ich finde: Unser Grundgesetz, das ist schon ganz schön alt, aber da stehen wahnsinnig viele kluge Sachen drin."

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Ist das nun die Antwort? Streit-Brandmauern sollen und dürfen wir da hochziehen, wo es justitiabel wird, also etwa bei Hetze, Hassreden, Verleumdung? Das klingt ja nach einem verlässlichen Rahmen: Wer Hass und Lügen sät, wird bestraft. Nur: Wie gut lässt sich dieser Rahmen im Alltagsleben umsetzen, etwa, wenn der eigene Onkel antisemitische Verschwörungsmythen erzählt oder die Kollegin hinter vorgehaltener Hand gegen Migranten hetzt?

Mehr Neugier wagen!

Matthias Jaudas findet: Erstmal mit allen reden ist eigentlich immer eine gute Idee. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie der Universität der Bundeswehr München – und einer der Köpfe hinter dem Projekt "Streitkultour". Die Idee: Erkenntnisse aus der Konfliktforschung in den Alltag der Menschen bringen. Dafür fährt das "Streitkultour"-Team mit einem Media-Truck durch Deutschland und lädt verschiedenste Menschen ein, über ihre Konflikte zu sprechen oder sich ganz konkret zu aktuellen Streitthemen zu äußern, etwa Gendern oder Migration. Daraus entstehen kleine Videos, in denen Expertinnen und Experten den Inhalt analysieren und Tipps geben.

Sozial- und Konfliktpsychologe Mathias Jaudas
Sozialpsychologe Mathias Jaudas ist Teil des Projekts "Streitkultour" – ein Mix aus Wissenschaft und Selbstanalyse. Mit Hilfe eines Video-Trucks werden deutschlandweit Interviews geführt und Tipps für gutes Streiten gegeben. Bildrechte: Mathias Jaudas

Bisher hätten sie noch nie jemanden abgelehnt, erzählt Matthias Jaudas. "Wir wollen prinzipiell zuhören und verstehen, warum jemand eine Position vertritt – erstmal ganz gleich, wie sie aussieht." Denn: "Ich habe beobachtet, dass uns dieses offene Interesse, diese Neugier an anderen Personen zunehmend abhandenkommt. Dann kommt eine Meinung, und die Person wird gleich abgewertet, je nachdem welche Meinung sie hat." So blieben wir zunehmend in unseren Meinungs-Blasen, statt uns mit anderen Menschen und Meinungen auseinanderzusetzen, erklärt Jaudas.

Das Eisberg-Modell

Tatsächlich zeigt eine dänische Studie aus dem Jahr 2015: Junge Menschen vermeiden Debatten mit Familienmitgliedern oder Freunden, wenn diese andere politische Meinungen vertreten.

Matthias Jaudas würde sich statt dieses Rückzugs in die eigene Bubble wieder mehr "Forschungsdrang" von den Menschen wünschen, andere Perspektiven besser zu verstehen. Denn, erklärt Jaudas: Wir Menschen funktionieren bei Konflikten oft wie Eisberge – vieles verbirgt sich unter der Wasseroberfläche. "Da liegen dann so Dinge wie subjektive Bedürfnisse, Gefühle, Erlebnisse der einzelnen Person. Wenn wir all das verstehen, schaffen wir eine Basis, um Lösungen zu finden. Rechthaberei stoppen, Verständnis schaffen!"

Wer nicht streitet, kann nicht verstehen

Aber auch hier: Gibt es nicht eine Grenze, ab der Meinungen nicht mehr okay sind? Personen, mit denen wir nicht streiten müssen oder sollten, sondern die wir hinter einer Brandmauer verschwinden lassen dürfen? Matthias Jaudas will sich auf diesen Gedanken nicht so richtig einlassen: "Nehmen wir mal Verschwörungstheorien. Wir haben irgendwie ein gesellschaftliches Agreement, dass es völlig okay ist, da gar nicht hinzuhören." Inhaltlich sei das ja auch völlig richtig, so Jaudas.

Es gehe nicht darum, sich auf einer Sachebene auf krude Lügen-Erzählungen einzulassen. Aber man solle im Austausch bleiben: "Was haben diese Leute für Erlebnisse gemacht, dass sie darin einen Nutzen sehen, sich so einer Meinung anzuschließen? Vielleicht ist es eine Gruppenidentität, die sie an anderer Stelle nicht erfahren. Das ist wiederum eine empirische Frage."

Sind "differenzierte" Brandmauern die Lösung?

Klar: Wenn wir nicht verstehen, wie Menschen beispielsweise zu demokratiefeindlichen, hasserfüllten oder verschwörungsmythischen Überzeugungen kommen, können wir als Gesellschaft solche Entwicklungen auch nicht verhindern. Vielleicht lautet die Lösung also: selektive Brandmauern? Mit kleinen Löchern darin, durch die wir den Menschen und seine Beweggründe durchaus noch differenziert sehen können, ohne die Wucht seiner politischen Aussagen an uns heranzulassen? Für Matthias Jaudas jedenfalls ist klar: "Ich wäre grundsätzlich immer für Offenheit und Zuhören."

Dieses Thema im Programm: MDR+ | Meine Challenge | 18. Oktober 2024 | 12:00 Uhr

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