Was tun gegen das Stimmungstief im Winter? Raus aus dem Winterblues

15. Dezember 2023, 16:59 Uhr

Im Winter leiden viele Menschen an Antriebslosigkeit und Verstimmungen. Manche fallen sogar in eine Winterdepression. Doch es gibt wirksame Mittel gegen das Wintertief.

Everyday I have the Blues

Sie fühlen sich müde und schlapp im Winter? Herzlichen Glückwunsch, denn damit haben Sie Ihren Draht zur Natur noch nicht verloren. "Grundsätzlich ist es vollkommen natürlich, normal und überhaupt nicht besorgniserregend, wenn wir im Winter ein bisschen müder und träger sind. Das ist ein biologisches Programm, das so vorgesehen ist", sagt Thomas Kantermann, Chronobiologe und Wissenschaftlicher Direktor an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management im Podcast "Meine Challenge: Raus aus dem Wintertief".

Als Chronobiologe erforscht er den Einfluss der inneren Uhren auf unser Wohlbefinden und wie wir modernen Menschen unsere evolutionäre Herkunft immer mehr ignorieren: Viele Lebewesen hamstern Nahrung, eignen sich im Herbst ein Fettpolster an und gehen im Winter, wenn es kalt ist und das Nahrungsangebot knapp, in den Winterschlaf. Winterschlaf ist beim Menschen zwar nicht vorgesehen, aber dass wir im Winter in gewisser Weise herunterfahren, sei normal, so Kantermann: "Und wir nehmen uns immer mehr raus als moderne Menschen, weil wir meinen, das nicht zu müssen. Nur: wir können es messen".

Das Bild zeigt einen lächelnden Mann mit kurzen Haaren und Brille im Anzug, den Chronobiologen Thomas Kantermann
Thomas Kantermann ist überzeugt: Wer den Winterblues hat, ist weder faul noch nachlässig. Es ist eine Sache der Biologie. Bildrechte: MDR

I guess that's why they call it the Blues – wie Tageslicht die Uhren der Zellen steuert

Die Chronobiologie ist die Wissenschaft von den Rhythmen in der Natur und der offenkundigste Rhythmus in der Natur des Menschen ist der Wechsel von Schlaf- und Wachphasen, die sogenannte circadiane Rhythmik. Unsere inneren Uhren regeln die Veränderungen im Stoffwechsel: Noch während wir schlafen, bereiten sie durch Ausschüttung von Hormonen wie Serotonin die Wachphase vor, sodass unser Körper in die Lage versetzt wird, aufzustehen und Nahrung aufzunehmen. Am Abend dagegen wird das Schlafhormon Melatonin ausgeschüttet, das für Müdigkeit sorgt und uns in die Horizontale treibt.

Jede menschliche Zelle besitzt eine solche innere Uhr. Gesteuert werden die einzelnen inneren Uhren von der sogenannten "Master-Clock". Die wiederum hat ihren Sitz im Gehirn an der Kreuzung der Sehnerven vom rechten und linken Auge. Und das nicht ohne Grund: Der stärkste bekannte Einflussfaktor für die inneren Uhren ist das Licht. Die inneren Uhren der Zellen wissen, wann es hell und dunkel wird und steuern dahin gehend ihre Stoffwechselvorgänge.

Zu viel Zeit in Innenräumen verschärft Lichtmangel

Und deshalb sind sie auch sensibel für Jahreszeiten: "Es gibt durchaus Hinweise, dass die inneren Uhren jeden Tag messen, wie viel Licht herrscht. Daher können sie jeden Tag miteinander vergleichen und sehr fein erfassen, wann die Tage länger oder kürzer werden und so den Körper darauf vorbereiten, ob es jetzt Winter oder Sommer wird", erklärt Thomas Kantermann.

Kürzere Tage im Winter gehen mit einem zunehmenden Lichtmangel einher. Dadurch "verlangsamen" sich die inneren Uhren: der Melatonin-Ausstoß wird erhöht, das Schlaf- und Ruhebedürfnis wächst, aber auch die Antriebslosigkeit kann zunehmen. "Wenn unsere inneren Uhren zu wenig Licht bekommen, werden sie anfälliger gegenüber Störfaktoren", so Kantermann. Verstärkt wird der natürliche saisonale Lichtmangel noch durch unsere Lebensweise: Wir verbringen in der Regel zu viel Zeit in Innenräumen und es ist fast egal wie hell wir unsere Innenräume gestalten: draußen ist es auch im Winter tagsüber heller als drinnen.

Keep the Blues away – wer kann, sollte einfach mehr schlafen

"Wenn jemand es zulassen und so nehmen kann, wie es kommt: Bitte immer so wenig korrigieren wie möglich", empfiehlt Thomas Kantermann. Wenn Beruf und Umfeld es also erlauben, gönnen Sie sich die zusätzliche Stunde Schlaf, die winterliche Fettreserve und die generell "gedimmte" Aktivität. Denn das entspreche eben unserer Natur, so der Chronobiologe. Daneben gibt es aber noch eine ganze Reihe an Dingen, die wir gegen den Blues tun können:

Routinen und Struktur: Unsere inneren Uhren lieben Routinen und Struktur: Gerade im Winter können wir chronobiologische Störungen vermeiden und den Winterblues eindämmen, indem wir klare Routinen und feste Tagesstrukturen entwickeln oder beibehalten: "Nicht ganz so schlimm wie bei "Und täglich grüßt das Murmeltier", aber gerade die Zeiten fürs Aufstehen und Schlafengehen sowie für die Mahlzeiten sollten ähnlich sein", so Kantermann.

Licht schöpfen an der Luft: Selbst an einem grauen Wintertag ist die Lichtintensität draußen deutlich höher als drinnen. Am besten für die inneren Uhren ist die Zeit an der frischen Luft vor dem Mittag: "Nicht alle, die berufstätig sind, können draußen was machen, das weiß ich. Aber viele können es. Man kann auch Besprechungen draußen machen, man kann auch draußen telefonieren, man kann draußen über Dinge nachdenken. Bewegung hilft dann auch noch enorm", sagt der Chronobiologe. Schon eine halbe Stunde täglich an der frischen Luft hilft dabei, ausreichend Licht und Energie zu tanken.

Künstliches Licht zufügen: Die moderne Zivilisation hat dunkle Büroräume und Fabrikhallen geschaffen, sie hat das Gegenmittel aber auch erfunden: Tageslicht-, bzw. Lichttherapielampen. Das sind sehr helle Lampen mit bis zu 10.000 Lux. Im Vergleich dazu haben normale Lampen ca. 100 bis 600 Lux.

Alireza Mirshahi, Augenarzt und Direktor der Augenklinik Dardenne, empfiehlt ihre Nutzung: "Die Studienlage spricht ganz eindeutig für den Einsatz der Lichttherapie. Meines Erachtens sollte man eine Lampe nehmen, die 10.000 Lux hat. Es ist wichtig, dass der Abstand zwischen Gesicht und Lampe zwischen 50 und 80 Zentimeter beträgt. Man muss nicht direkt reinschauen, sondern kann sie seitlich neben sich stellen und währenddessen frühstücken oder am PC arbeiten. Und man muss darauf achten, dass man es auf eine halbe Stunde beschränkt". Nach etwa einer Woche täglicher Anwendung sollen sich positive Effekte bemerkbar machen. Die Lampe ersetzt aber idealerweise nicht den Spaziergang im Tageslicht, sondern ergänzt ihn.

Darüber hinaus sollte man die Lichttherapielampen entsprechend der circadianen Rhythmik einsetzen: also morgens nach dem Aufstehen und nicht abends vor dem Schlafengehen, da zu helles Licht am Abend Schlafstörungen verursachen kann.

Das Bild zeigt einen Mann im weißen Arztkittel. Es ist der Augenarzt Alireza Mirshahi, Leiter der Augenklinik Dardenne in Bonn
Augenarzt Alireza Mirshahi besitzt selbst zwei Lichttherapielampen und benutzt sie im Winter regelmäßig. Bildrechte: MDR

Still got the Blues

Bei manchen Menschen bleibt es aber nicht beim Winterblues, sie können eine saisonale Depression entwickeln – ein anerkanntes Krankheitsbild. Studien zufolge kann das je nach Breitengrad (verbunden mit dem Zugang zu natürlichem Licht) zwischen 1,5 und 9 Prozent der Bevölkerung betreffen. "Vereinfacht ausgedrückt: Mehr Melatonin bedeutet weniger Serotonin. Ein Mangel an Serotonin führt dazu, dass eine Depressions-Entwicklung begünstigt wird. Das ist der eine Part", erklärt Maria Strauß, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Leipzig im Podcast Meine Challenge:

"Im Winter verändert sich unser Alltag, ohne dass wir es merken. Es ist kalt, es ist ungemütlich. Viele Menschen ziehen sich eher zurück, machen weniger sportliche Aktivitäten. Dinge, die draußen stattfinden, finden vielleicht im Winter gar nicht statt. Vielleicht trifft man sogar weniger Menschen. Für jemanden, der die Veranlagung hat, eine depressive Erkrankung zu entwickeln, ist das nicht gut, weil Struktur, Alltag, Bewegung, soziale Kontakte wichtig und vorbeugend sind", sagt sie. Im Unterschied zur saisonalen Depression zeichne sich der Winterblues durch Stimmungs- und Aktivitätsschwankungen aus und sei kein Dauerzustand:

Das Bild zeigt eine Frau mit langen dunklen Haaren im Arztkittel. Es handelt sich um Maria Strauß, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Leipzig
Maria Strauß erforscht die Ursachen von Winterdepressionen. Bildrechte: MDR

"Wenn ich aber merke, bei mir ist es nicht ab und zu schlecht, sondern es sind schon zwei Wochen, in denen es mir täglich schlecht geht, ich mir zunehmend negative Gedanken mache, oder sogar suizidale Gedanken dazukommen, dann spricht das für eine depressive Erkrankung und dann sollte man sich Hilfe holen."

Die erste Anlaufstelle für Hilfe sind die Hausärztin oder die Notsprechstunden bzw. Notaufnahmen der psychiatrischen Kliniken. Auch gegen saisonale Depressionen haben sich Lichttherapielampen als effektive Behandlungsmittel erwiesen, da sie kaum Nebenwirkungen haben.

Meine Challenge – Ein Podcast von MDR Wissen

Dieses Thema im Programm: MDR+ | MDR WISSEN Meine Challenge | 15. Dezember 2023 | 12:00 Uhr