Artenvielfalt Saatgut: Herkunft beeinflusst Insektenvielfalt
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24. August 2023, 17:28 Uhr
Die Vielfalt bestäubender Insekten geht dramatisch zurück. Um das zu ändern, müssen insektenfreundlicher Lebensräume mit einer vielfältigen Pflanzenwelt wiederhergestellt werden. Doch Forschende der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster wiesen jetzt nach, dass nicht nur die richtigen Pflanzenarten wichtig sind, sondern auch die Herkunft des Saatguts.
Insekten sterben und und mit ihnen die biologische Vielfalt. Natürliche Lebensräume werden zerstört, Pflanzendiversität durch Monokulturen und industrielle Landwirtschaft ersetzt und immer mehr Giftstoffe belasten Luft und Boden. Biene, Hummel, Schmetterling und Co. haben es da schwer. Doch auf gerade die sind wir angewiesen, weil sie für die Bestäubung von Wild- und Kulturpflanzen unabdingbar sind und damit unsere Nahrungsmittel sichern.
Lebensräume wieder herstellen
Das Problem ist schon lange bekannt und teilweise werden schon Maßnahmen ergriffen, um dem Insektensterben entgegenzuwirken. Durch Renaturierung sollen aus kultivierten und vom Menschen genutzten Bodenoberflächen wieder naturnahe Lebensräume, wie etwa Wildblumenstreifen, entstehen. Doch auch hier ist erhöhte Aufmerksamkeit gefragt, denn es muss nicht nur auf die Pflanzenarten geachtet werden, die dort wieder angesiedelt werden. Auch die Herkunft des Saatgutes für diese Pflanzen hat entscheidende Bedeutung.
In ihrer Studie wiesen Landschaftsökologen und Landschaftsökologinnen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster jetzt nach, dass diese nämlich Einfluss auf die Insektenvielfalt und darauf hat, wie oft die Bestäuberinsekten die Blüten besuchen. Grund dafür ist, dass Pflanzenarten nun mal keine gleichförmigen Einheiten sind. Ihre Populationen unterscheiden sich genetisch voneinander. Diese Unterschiede lassen sich oft auf ihre Anpassung an die jeweiligen Lebensräume zurückführen. Das heißt, dass eine Wiesen-Flockenblume, die am Meer wächst, weniger frostbeständig ist als eine Wiesen-Flockenblume, die hoch oben in den Bergen gedeiht. Diese Unterschiede sind tatsächlich in vielen Pflanzenmerkmalen sichtbar. So variieren die Pflanzen vielleicht in der Anzahl der Blüten oder dem Zeitpunkt, wann sie blühen.
Bei der Einrichtung von Habitaten für Bestäuber werden diese innerartlichen Unterschiede bislang wenig berücksichtigt und die Pflanzen werden meist unabhängig von ihrer Herkunft ausgewählt. Wir haben daher getestet, ob die Herkunft der Pflanzen die Bestäuber beeinflusst.
Um das zu untersuchen, haben die Forschenden in einem Feldversuch mehrere Pflanzengemeinschaften gebildet, die zwar alle die gleiche Artenzusammensetzung hatten, sich aber in ihrer Herkunft unterschieden. Die Pflanzen stammten aus dem Raum Münster, München und dem Großraum Frankfurt/Oder.
Diese Pflanzengemeinschaften wurden dann beobachtet und verglichen: Wie viele Blüten hatten sie, wann blühten sie, welche Insekten lockten sie an und wann und wie oft flogen diese Insekten zu den Blüten. Und siehe da – die Herkunft der Pflanzen macht tatsächlich einen Unterschied.
Der Effekt kann beträchtlich sein – auf den Blüten einer Herkunft beobachteten wir doppelt so viele Besuche von Bestäubern wie auf Blüten einer anderen Herkunft. Der wichtigste treibende Parameter ist die Phänologie der Pflanzenblüte – also die zeitliche Abfolge der Blüte.
Das bedeutet, dass die Pflanzen einer bestimmten Herkunft früher und intensiver blühten als andere. So boten sie den Bienen, Hummeln und Schmetterlingen mehr Blüten, und das wiederum brachte mehr Interaktion zwischen den Insekten und den Pflanzen.
22 Regionen in Deutschland festgelegt
Für die Forschenden unterstreichen diese Ergebnisse, wie wichtig es ist, die regionalen Beschaffenheiten von Pflanzen in die Renaturierungsmaßnahmen von Lebensräumen mit einfließen zu lassen. Erfreulich dabei ist: Deutschland hat gute Voraussetzungen für die Umsetzung, denn regionale Ökotypen vieler Pflanzenarten sind im System des sogenannten "Regiosaatguts" leicht verfügbar. Wir könnten also das Leben der bestäubenden Insekten nachhaltig verbessern, indem wir die richtigen Pflanzen der richtigen Herkunft für neue Lebensräume auswählen.
Beim Regiosaatgut gilt der Grundsatz "Aus der Region, für die Region". Es wird durch die Besammlung von Wildpflanzen einer bestimmten Region gewonnen, um später wieder in dieser Region ausgebracht zu werden. In Deutschland wurden dafür 22 Herkunftsregionen durch die Leibniz Universiät Hannover definiert.
Seit März 2020 ist das Ausbringen von gebieteigenem Saatgut sogar unter § 40 Abs. 1 S. 4 Nr. 4 BNatSchG im Bundesnaturschutzgesetz verankert.