Zwei Stieglitze am Futterspender
Soll man im Frühling und Sommer Vögel füttern? Was spricht dafür, was dagegen? Bildrechte: IMAGO / imagebroker

Ökologie Vögel ganzjährig füttern? Fünf Fakten Pro & Contra

28. April 2023, 13:36 Uhr

Dürfen wir Vögel das ganze Jahr über, also auch im Frühling und im Sommer, füttern? Eine Frage, an der sich die Geister scheiden. Was spricht eigentlich für und was gegen die Ganzjahres-Fütterung?

Wenn es um Wildvögel geht, hat man in Deutschland die Spendierhosen an: 158 Millionen Euro gaben die Menschen 2022 allein für Meisenknödel, Wildvogelfutter, Sonnenblumenkerne & Co. aus, hat der Industrieverband Heimtierbedarf ausgerechnet. Im Frühjahr verschwinden zwar die Säcke und Plastik-Boxen mit Vogelfutter aus den Landfutter-Läden, den Bau- und Gartenmärkten. Wer sich an den regen Betrieb am Vogelhäuschen und den Futterstellen im Garten oder Park erfreut hat, fragt sich vielleicht: Warum nicht weiterfüttern, die Vögel haben ja auch im Sommer Hunger und so groß ist das Futterangebot bei uns in der Siedlung ja auch nicht?

Alle reden vom Vogelsterben, also warum nicht auch im Sommer füttern?

Zwei Blaumeisen Parus caeruleus fressen im Winter Erdnüsse aus dem Vogelfutterhäuschen im Garten.
Immer die gleichen Verdächtigen an den Futterstationen: Daran ändern auch Futterspender nichts. Bildrechte: IMAGO/imageBROKER

Dem hält der Naturschutzbund Deutschland entgegen: "Vogelfütterungen in Städten und Dörfern erreichen selten mehr als 10 bis 15 Vogelarten, nämlich vor allem Meisen, Finken, Rotkehlchen und Amseln. Diese Arten haben stabile oder wachsende Populationen, keine ist in ihrem Bestand gefährdet." Für den Schutz der Artenvielfalt tut man aus Sicht des Naturschutzbundes also herzlich wenig, selbst wenn man im Frühjahr und im Sommer die Futterspender füllt. Vielmehr lenkt das vom eigentlichen Problem ab: Wie gestalten wir unsere Umwelt, wie gehen wir mit Flächen um, wo lassen wir der Natur noch Platz zum (Über)Leben? Ist Vogelfütterung zwölf Monate im Jahr ein vergleichsweise billiges Feigenblatt, mit dem wir das schlechte Gewissen angesichts von Vogelsterben, Insektensterben etc. locker abdecken können?

Pro Ganzjahresfütterung: Was spricht für die Fütterung?

Zum einen ist da das Glücksgefühl, das mit den Vögeln vorbeigeflattert kommt. Verkürzt kann man sagen: Je mehr verschiedene Arten, desto mehr Glücksgefühl. Das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig (iDiv) und die Uni Kiel haben das erforscht und in Geld umgerechnet: Ein Plus von 14 Vogelarten entspricht demnach dem Wohlgefühl von 124 Euro mehr auf dem Lohnkonto.

Rotkehlchen singt
Zwitschern tut der Seele gut. Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Auch das Vogelzwitschern tut der Seele gut. Am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung hat man herausgefunden, dass bei gesunden Menschen Ängstlichkeit und Paranoia abnehmen können, wenn sie Vogelgesang hören. Egal, ob mehrere Vogelstimmen zu hören waren oder nur eine einzige Art. In die gleiche Kerbe schlägt man am King's College in London: Eine Forschungsgruppe wies nach, dass Hören und Sehen von Vögeln das Wohlbefinden verbessert.

Contra Ganzjahresfütterung: Mensch greift ins ökologische Gleichgewicht ein?

Ein Argument gegen die Ganzjahresfütterung lautet: Vögel werden abhängig von menschlicher Hilfe, sie verändern ihr Brutverhalten. Dafür gibt es tatsächlich ein untersuchtes Beispiel. Eine Studie in Finnland von 1981 hat nachgewiesen, wie zusätzliche Nahrung das Überleben einer Weidenmeisen- und einer Haubenmeisen-Population tatsächlich beeinflusste. In den Populationen kamen weniger Tiere im Winter um und die Brutpopulationen verdoppelten sich im folgenden Frühjahr. Und das, obwohl die Winterfütterung zwei bis vier Wochen vor der Eiablage beendet wurde. Daraus schlossen die Forscher, dass das Nahrungsangebot im Winter auch über die Größe der Brutpopulation entscheidet. Winterfütterung könnte man also hier als "Eingriff" in die natürlichen Schwankungen des Ökosystems deuten.

Contra Ganzjahresfütterung: Vögel verlagern Siedlungsgebiete?

Das hat eine Forschungsarbeit aus Kanada nachgewiesen. Die Auswertung von Daten aus 17 Jahren eines Citizen Science Projektes in British Columbia belegte, dass eine Kolibri-Art, Calypte anna, ihr Überwinterungs- und Wanderverhalten an die Verstädterung der Landschaft und die vorhandenen Futterressourcen anpassten. Die Kolibris dehnten ihr Verbreitungsgebiet aus und siedelten sich sogar in kälteren Regionen an, weil sie gelernt hatten, dass ganzjährig Nahrung bereitstand.

Eine Meise. 43 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Pro & Contra Ganzjahresfütterung: Futterstellen als Krankheits-Schleudern?

Wie ist es mit dem Argument, das sich Vögel gegenseitig krankmachen, wenn ganzjährig gefüttert wird? Die Überlegung hierbei: Wo viele Arten zeitgleich picken, haben Krankheitserreger leichtes Spiel. Genau das hat eine mehrjährige Studie von 2011 bis 2014 in Illinois/USA untersucht. Dabei wurde die Gesundheit markierter Wildvögel an sechs Standorten miteinander verglichen, drei mit zusätzlichem, drei ohne extra Futterangebot. Dabei wurde u. a. die Zahl der Nachkommen, Körperzustand, Stresslevel, Feder-Entwicklung beobachtet und ausgewertet. Das Fazit der Forschungsgruppe: Die positiven Aspekte der Ganzjahresfütterung überwiegen. Zwar gab es an Standorten mit Zusatzfutter mehr Vögel mit Krankheitssymptomen. Aber trotzdem wiesen die Vögel insgesamt einen besseren Gesundheits-Gesamtzustand auf. Eine Erklärung dafür könnte den Forschern zufolge sein, dass Vögel an Standorten mit Zusatzfutter auch im Krankheitsfall nicht durch Futterstress zusätzlich belastet sind.

Futterstellen müssen keine Keimschleudern sein

Dafür, dass an Futterstellen weniger Krankheiten auftreten, können Menschen sorgen, die auch im Sommer Vögel füttern wollen. Hier spielt die Hygiene eine große Rolle. Wasser- und Futterspender oder Vogelhäuschen sollten dazu regelmäßig gereinigt werden, damit sie keine Brutstätte und Übergabe-Stationen für Krankheitserreger werden. Trockene und gegen Nässe geschützte Futterstellen sorgen dafür, dass die Körnerfresser nichts Verschimmeltes fressen.

Was Menschen beim Vögel-Füttern lernen können und zwar zu jeder Jahreszeit

Wer regelmäßig Vögel füttert, lernt sommers wie winters in der Regel dazu. Zum Beispiel: Wenn im Winter am Vogelhaus nichts los ist, steckt nicht gleich ein Vogelsterben dahinter. Es kann auch sein, dass die Natur von sich aus viel Nahrung zur Verfügung gestellt hat, man spricht dann von einem guten Mastjahr. Oder wer aktuelle Meldungen verfolgt, stellt vielleicht fest, dass zum Beispiel im Vorjahr das Usutu-Virus die Amsel-Population in der Region ausgedünnt hatte. Man lernt Arten und ihr Nahrungsverhalten unterscheiden. Arten, die am Boden nach Futter suchen, andere, die Futter in luftiger Höhe bevorzugen. Bestenfalls fängt man an, die Umgebung vogelfreundlich zu gestalten und zu bepflanzen, sodass die einen Sämereien finden, andere Insekten, damit der Garten das ganze Jahr über ein Vogelparadies ist, egal, ob Sie nur im Winter füttern, oder auch im Sommer.

Blaumeise
Oder man nutzt den Garten gleich als Futterspender: Verdorrtes, Vertrocknetes im Herbst nicht abschneiden, weil in alten Stielen Insekten heranwachsen oder vertrocknete Beeren beliebte Vogelsnacks sind ... Bildrechte: imago images/McPHOTO

Links/Studien

Die Studie über Winterfütterung und ihre Folgen "Winter Mortality and Food Supply in Tits Parus spp." in Finnland lesen Sie hier.
Die Studie "Winter range expansion of a hummingbird is associated with urbanization and supplementary feeding" lesen Sie hier im Original.

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https://www.mdr.de/mdr-garten/pflegen/Vogelfutterstation-Gartenvoegel100.html

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