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Bewegen trotz Atemnot Schwer lungenkrank und sportlich: Wie Erkrankte ihr Leben verbessern können

24. Dezember 2023, 05:59 Uhr

Angst vor dem Jappsen, der wie zugeschnürten Kehle: Das hält einige Lungenkranke davon ab, Sport zu treiben. Dabei könnte Bewegung ihr Leben verbessern und die Luftnot verringern. Mit Geduld und Hartnäckigkeit.

  • Asthma und die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) gelten als Volkskrankheiten.
  • Lungenkranke sollten sich mindestens 30 Minuten am Tag maßvoll bewegen.
  • Sportgruppen und Angehörige können die Motivation steigern. 

"Weil die Atemnot sehr unangenehm ist, drücke ich mich schon vor körperlichen Belastungen." Aber es gibt Ausnahmen: Der schwer lungenkranke Andreas Becker rudert mit Begeisterung. Und er dürfe nicht nur, er solle mit dem Sport weitermachen, sagen seine Ärzte. Denn Bewegungstherapie ist eine Behandlungsmöglichkeit bei schweren Erkrankungen wie der Lungenfibrose oder -krebs. Die durchschnittliche Lebenserwartung bei seiner Diagnose hat Becker bereits überschritten. Und bisher braucht er nur in Ausnahmefällen wie bei einer Erkältung eine extra Sauerstoffzufuhr.

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MDR FERNSEHEN Do 21.12.2023 14:29Uhr 05:55 min

https://www.mdr.de/wissen/audios/lungenkrankheit-sport-100.html

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Becker erinnert sich, dass er die Luftnot und schnelle Erschöpfung zunächst verdrängt hatte. Irgendwann müsse er das wohl einmal untersuchen lassen, dachte er. Und dann ging im Dezember vor fünf Jahren alles ganz schnell. Der damalige Leipziger Bundesstützpunkt-Trainer war von der Deutschen Mannschaftsmeisterschaft im Wasserspringen zurückgekehrt und dachte, seine bereits bekannte Nierenschwäche mache Probleme. "Weihnachten habe ich noch mit meiner Familie gefeiert und dann ab ins Krankenhaus." In der Klinik stellten die Ärztinnen und Ärzte fest, dass Becker weitere gesundheitliche Probleme hat.

Länger leben

Als die Diagnose kam, war klar: Es ist ernst. Eine Lungenfibrose. Das bedeutet, dass das Bindegewebe in der Lunge chronisch entzündet ist. In der Folge wird das Blut nicht mehr gut mit Sauerstoff angereichert und die Lunge versteift sich. Betroffene benötigen zum Einatmen mehr Kraft. Die Krankheit ist nicht heilbar. Ein Großteil der betroffenen Menschen stirbt innerhalb weniger Jahre nach der Diagnose. Der 68-jährige Becker sagt: "Ich habe eine Zugabe."

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Andreas Becker zeigt ein Foto vom jährlichen Nikolausrudern, an dem er teilgenommen hat. Bildrechte: MDR/Christian Modla

Beckers Ärztinnen und Ärzte in der Klinik überlegten 2018, ob der Leipziger auf die Transplantationsliste gehöre. Für Lunge und Nieren.
"Ich bin froh, dass es so weit nicht gekommen ist. Denn ich kann auch mit der Lungenfibrose ein einigermaßen normales Leben führen. Das wäre nach einer Transplantation nicht gegangen", meint Becker. Zu seinem Alltag gehört das Rudern im Verein Gesundheitssport Dr. Heine in Leipzig.

Immer mehr Lungenkranke

Die Zahl der Lungenkranken steigt: Mit der Folge, dass alle vier Minuten in Deutschland ein Mensch an den Folgen einer Lungen- oder Atemwegserkrankung stirbt. Asthma und die chronisch obstruktive Lungenerkrankung – kurz COPD – gelten in Deutschland als Volkskrankheiten und betreffen jeden Zehnten. Etliche von ihnen meiden wegen der Atemnot körperliche Aktivität, Bewegung, Sport. Das ist der falsche Ansatz, "eine Abwärtsspirale", sagt Heinrich Worth, Lungenfacharzt und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Lungensport. Er warnt: Je weniger Betroffene sich bewegen, desto mehr baue sich die eigene Kondition und Muskulatur ab, was wiederrum die Atemnot steigere. "Regelmäßig körperlich aktive Lungenkranke hingegen sind belastbarer im Alltag und ihre Lebensqualität verbessert sich."

Die Arbeitsgemeinschaft Lungensport in Deutschland und die Deutsche Atemwegsliga raten zu maßvoller Bewegung, mindestens 30 Minuten über den Tag verteilt. Die Symptome der Erkrankungen gehen auf diese Weise zurück. Bei einer COPD steigt auch die Lebenserwartung durch körperliches Training. Nur bei wenigen Personen rät Lungenfacharzt Heinrich Worth von sportlicher Betätigung ab. "Und wer gerade einen akuten Infekt wie eine Erkältung hat, sollte pausieren."

Sport mit Sauerstoffgerät ist möglich

Auch sehr schwer lungenkranke Menschen, die ein Sauerstoffgerät nutzen müssen, können unter bestimmten Umständen weiter Sport treiben und aktiv sein. "Am Anfang habe ich mich geschämt mit der Nasenbrille. Aber meine Frau hat mir gut zugesprochen", sagt COPD-Betroffener Bernd Götze. Wenn man sich entsprechend organisiere, könne man sich auch mit einem mobilen Sauerstoffgerät gut bewegen: Für Kniebeugen reiche es allemal.

In seiner Lungensport-Gruppe in Potsdam wirft Götze aber auch auf Basketball-Körbe oder turnt an der Sprossenwand. Wenn er beim Aufwärmen durch den Raum geht, nimmt der 69-Jährige sein Sauerstoffgerät in die Hand oder hängt es sich um. Es wiegt knapp drei Kilogramm. "Das schaffe ich!" Wenn Götze überwiegend an einer Stelle trainiert, stellt er das Gerät zur Seite und nutzt einen etwa vier Meter langen Schlauch. Dieser Radius hat offenbar auch gereicht, damit der COPD-Betroffene im Sommer die eigene Terrasse umbauen konnte. "Solange es geht, möchte ich meine Kinder sehen, meinen Enkel unterstützen, Feste feiern. Dazu bedarf es einer gewissen Anstrengung von mir."

Lungensport: Bewegen im Sitzen

Die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland unterstützen den Lungensport, indem sie die Kosten für eine bestimmte Anzahl von Trainingseinheiten übernehmen. Es gibt mehr als 1800 Lungensport-Gruppen für Erwachsene in Deutschland – zum Beispiel beim Dresdner SC 1898. Toni Fercho leitet dort die Abteilung Gesundheitssport und betreut auch sogenannte sauerstoffpflichtige Menschen. Dabei sieht der Sporttherapeut, dass die Voraussetzungen der Lungenkranken unterschiedlich sind. Während eine Person noch bis in die vierte Etage Treppen steigen kann, hat eine andere schon Luftprobleme im Sitzen. Aber auch Hockersport ist Bewegung, sagt Fercho.

"Und oft bringt die körperliche Aktivität mehr als Sprays oder Spritzen", meint Steffen Schädlich, Lungenfacharzt vom Krankenhaus Martha-Maria Halle-Dölau. Was viele nicht wüssten: Der Eindruck von Luftnot entstehe durch eine überlastete Atemmuskulatur, nicht durch fehlenden Sauerstoff. "Wir hatten hier Patienten mit ganz blauem Gesicht und deutlich nachweisbarem Sauerstoffmangel, die uns versicherten: Nein, Atemnot hätten sie nicht." Es sei also extrem wichtig, die Muskulatur so zu trainieren, dass der Körper zum Beispiel eine bessere, aufrechte Haltung zum Atmen einnehmen könne. Aber die Auswirkungen seien sehr stark vom Engagement der Patientinnen und Patienten abhängig. "Kurz nach der Reha geht es ihnen oft vergleichsweise gut und dann sackt es ab, wenn sie mit dem Training nicht weiter dranbleiben."

Ein Mann mit einem blauen T-Shirt und einer blauen Baseballkappe spricht in ein Mikrofon. 1 min
Bildrechte: Dr. Heine Gesundheitssport

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Sauerstoff und Muskeln

"Trainierbar sind Menschen auch mit 100 Jahren", sagt Sportmediziner Uwe Tegtbur von der Medizinischen Hochschule Hannover. Wenn die Lungenkranken sehr schwach seien, ist es wichtig, dass sie einzelne Muskelgruppen nacheinander trainieren – also zum Beispiel erst die Oberarmmuskeln, danach die Beine. Nicht gleichzeitig, das überlaste.

Lungenkranke haben zwei Probleme, erläutert Tegtbur: Sauerstoff ins Blut zu bekommen und der Umbau von Muskeln. "Ausdauer ist für Betroffene besonders schwierig." Deshalb rate er ihnen zu sehr regelmäßigen Übungen, nicht nur einmal die Woche in der Lungensportgruppe. "Drei Mal 15 Minuten jeden Tag zuhause, sofort nach der Diagnose." Wer schon früher Sport getrieben habe, sei klar im Vorteil. "Das ist natürlich ein völlig anderer Ausgangszustand, da bauen sich die Muskeln später und langsamer um."

Training dient dem Selbstwert

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Andreas Becker in seiner Wohnung in Leipzig. Bildrechte: MDR/Christian Modla

Diesen Vorteil hat Andreas Becker, der ehemalige Bundesstützpunkt-Trainer aus Leipzig, weil er sein Leben lang Sport getrieben hat. "Meine ganze Familie brennt dafür", sagt er. Und in der Gemeinschaft des Sportvereins findet er zusätzliche Unterstützung, wenn es ihm manchmal dennoch an Motivation fehle. "Außerdem ist das Rudern an der frischen Luft fantastisch und ein Naturerlebnis. Gut für meinen Körper und auch den Geist", sagt Becker. "Ich kann das nur jedem empfehlen: Nicht nur rumhängen und warten, bis es zu Ende geht. Der Sport gibt die Befriedigung, was man alles doch noch kann." 

Fotos in einem Album
Fotos aus Andreas Beckers sportlicher Vergangenheit. Bildrechte: MDR/Christian Modla

Links/Studien

Weiterführende Informationen gibt es hier:

Videos zum Lungensport gibt es hier auf Youtube anzusehen.

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