Teasergrafik Altpapier vom 20. August 2020: Porträt Autorin Nora Frerichmann
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Das Altpapier am 20. August 2020 Tucholsky ist müde

20. August 2020, 12:58 Uhr

Den Satirezank um Aurel Mertz und funk eine Debatte zu nennen, wäre fast euphemistisch. Einige Aussagen zum Thema Rundfunkbeitrag waren für die CDU in Sachsen-Anhalt wohl eher kontraproduktiv. Der Comedian selbst hat dazu eigentlich schon vor einem Monat alles gesagt. Der rbb schafft sein Sommerinterview ab und der MDR lädt kommende Woche Björn Höcke ein. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

Eigentor im Rundfunkbeitragsstreit?

Hat heute schon jemand in die Bild geschaut? Könnte ja sein, dass unser Innenminister sich überlegt hat, eine Anzeige gegen Aurel Mertz anzukündigen und es dann noch nicht zu tun. Soll so ähnlich vor nicht allzu langer Zeit schon mal vorgekommen sein...

Drohungen hin oder her: Deutschland hat seinen etwa 233. Satirezank (die Bezeichnungen Diskussion oder Debatte wäre wohl zu euphemistisch, aber dazu später mehr) in diesem Jahr und Kurt Tucholsky ist wahrscheinlich mittlerweile müde. Frank Überall noch nicht. Denn eine der neueren Wortmeldungen kommt vom Deutschen Journalisten-Verband bzw. dessen Bundesvorsitzenden Frank Überall. Laut Süddeutscher Zeitung warf er gestern den CDU-Politikern Sven Schulze und Markus Kurze vor, "von ARD und ZDF politisches Wohlverhalten durch finanziellen Druck erzwingen zu wollen". Die mühten sich, mit einer Verhinderung der Beitragserhöhung für die Öffentlich-Rechtlichen zu drohen.

"Die Herren sollten sich schleunigst mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vertraut machen, das strikt untersagt hat, den Rundfunkbeitrag an inhaltliche Aspekte des Programms zu koppeln",

ermahnte Überall. Ganz abgesehen davon, dass man das den beiden CDU-Politikern als Griff in "die unterste medienpolitische Schublade" (Altpapier gestern) anlasten kann, waren die Äußerungen wahrscheinlich auch einfach unschlau, wenn man an eine eventuell ins Haus stehende gerichtliche Auseinandersetzung um die Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent denkt. Sollte die Erhöhung nämlich an der CDU in Sachsen-Anhalt scheitern (alle Länderparlamente müssen zustimmen), hätten ARD (in deren Dunstkreis der wir hier über den MDR natürlich auch veröffentlicht werden) und ZDF möglicherweise eine gute Argumentationsgrundlage.

"Die (ÖR, Anm. Altpapier) könnten bei einem möglichen Gang vor das Bundesverfassungsgericht damit nämlich beweisen, dass die Politiker ihre Zustimmung auch deshalb nicht geben, weil sie mit Inhalten der Sender nicht zufrieden sind",

schreibt Timo Niemeier bei dwdl.de.

Empörungsökonomie funktioniert

Inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Video findet sich bei all dem kaum. Statt konkrete Kritikpunkte zu herauszustellen wird das "Aurel"-Video pauschal als "gebührenfinanzierter Hass", "Schlag ins Gesicht aller Polizisten" oder "polizeifeindlichen Schmutzkampagne" befloskelt (weiteres hat Imre Grimm in einem RND-Kommentar aufgereiht). Bähm, das macht sich doch gut als Head und Twitteraufreger, oder? Detaillierter ausgeführte Argumente finden sich kaum. Von einer Debatte zu sprechen wäre deshalb schon fast ein Euphemismus.

Man könnte den Eindruck gewinnen, da wird energisch "Alle meine Entchen" auf den Tasten der Empörungsklaviatur geklimpert. Eine Melodie, die wenig aussagekräftig und gleichermaßen inhaltsleer ist. Denn inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Video findet wie gesagt kaum statt. Was wir hier in erster Linie sehen, ist ein Ringen um Diskurshoheit und Machtdemonstration (Stichwort Rundfunkbeitrag) und keine differenzierte inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Satirefreiheit, ganz abgesehen von Rassismus oder Polizeigewalt. Oder wie Grimm es formuliert:

"der Mechanismus der Erregung ist immer derselbe: Schreibe erstens einen Skandal herbei, suche dir zweitens Zeugen der Anklage und lass sie ordentlich klagen, berichte dann drittens, dass die selbst angestoßene Debatte 'hohe Wellen schlage' (...). Vollends absurd wird es, wenn diejenigen, die ARD und ZDF pauschal verdammen, vehement fordern, man möge doch bitte nicht die Polizei pauschal verdammen."

Baut sich da etwa ein Battle zwischen Bild und funk auf, das uns jetzt weiterhin begleiten wird?

Was Aurel Mertz sagt

Aber hören wir auch nochmal die Seite von Aurel Mertz, der sich bei Twitter erst mal etwas zurückgezogen hat. Der äußerte sich schon im Juli bei Deutschlandfunk Nova vorsorglich vorsichtig und sagte, dass Video "sehr am Limit" sei, er damit aber nicht "die ganze Polizei unter Generalverdacht" stellen wolle.

"Es soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass Seehofer gerade eine Racial Profiling Studie in der Polizei abgesagt hat, die, wenn man ein rechtes Terrornetzwerk in der Polizei vermutet, vielleicht ganz angebracht wäre."

Und:

"Ich bin kein Rassismusexperte, ich bin Künstler, Comedian. Und Comedy ist mein Mittel, um gesellschaftlichen Bullshit zu verarbeiten beziehungsweise zur Diskussion zu stellen. (…) Was man mit Comedy machen kann: Man kann Dinge überspitzen und so kann man die Dinge vielleicht auch nochmal für die Leute ein bisschen klarer machen."

Satire-Lesson neunte Klasse nochmal tl;dr zusammengefasst.

Sommerinterview adé

Der rbb verabschiedet sich von seinem in die Kritik geratenen Format des Sommerinterviews "Politik am See", berichten Tagesspiegel und Spiegel mit Berufung auf die Zeit. Nach dem als zu unkritisch kritisierten und in heimeliger See-Atmosphäre geführten Gespräch mit dem rechtsextremen Andreas Kalbitz hatte RBB-Chefredakteur Christoph Singelnstein zunächst eingeworfen, Sommer-Interviews seien nicht investigativ angelegt, sondern machten politische Positionen deutlich. Nun sagte er der Zeit:

"Es zwingt uns niemand, ein solches Konzept zu verfolgen." (...) "Nicht nur ich halte das gesamte Format für veraltet."

Beim MDR steht am 25. August ein ähnliches Format an, zu Gast ist Björn Höcke, der in der MDR-Ankündigung des Interviews beseelt in die Kamera grinst. Anne Hähnig und Martin Machowecz schreiben dazu:

"Am kommenden Dienstag, wenn Björn Höcke zu Gast ist, will man sich keine Fehler leisten. Ein Team bereitet das Interview seit Wochen vor. Schon die Kulisse soll seriöser sein: nicht am Teich, sondern im Foyer des Landesfunkhauses Erfurt. Ihm sei bewusst, dass halb Deutschland zuschauen werde, sagt Boris Lochthofen, Direktor des Landesfunkhauses, in dessen Verantwortung das Gespräch stattfindet. Trotzdem habe das Höcke-Interview vor allem die Funktion, die Thüringer bei der Meinungsbildung zu unterstützen. 'Bestimmten Leuten – egal welcher Parteizugehörigkeit – kein Podium geben zu wollen', sagt er, 'ist in meinen Augen keine journalistische Kategorie.' Die Frage sei nicht, ob man Interviews führe – sondern wie."

Neben halb Deutschland werden auch wir hier im Altpapier genau zuschauen.

U.a. WDR-Mann und "Monitor"-Chefred Georg Restle hatte die rbb-Interviews teilweise scharf kritisiert und vertritt eine andere Einstellung. Nochmal die Zeit:

Der Grundsatz der Ausgewogenheit, findet er (Anm.: Restle), habe Grenzen. Nämlich "da, wo es um Parteien oder Politiker geht, die unseren demokratischen Freiheiten und Grundrechten 'feindlich gegenüberstehen'" Restle verweist auf die Programmgrundsätze seines WDR, in denen geregelt ist, dass dieser die 'demokratischen Freiheiten' zu 'verteidigen' habe. Für Höcke und Kalbitz als Flügel-Leute bedeute das, und das sei seine ganz persönliche Meinung: 'Sie haben keinerlei Anspruch darauf, sich im Rahmen eines Sommerinterviews präsentieren zu können.'"


Altpapierkorb (Gegenderte Nachrichten, verwaiste Newsrooms, NPR verdient vor allem mit Podcasts)

+++ Dass die rbb-Welle Radio Fritz ab September in seinen Nachrichten gendern will, triggert erwartungsgemäß einige. Die Welt berichtet mit epd-Medien-Meldung und auch die "Tagesschau" greift die Entscheidung bei Instagram auf. Das Triggerpotential zeigt sich u.a. auch daran, dass der Beitrag mehr Kommentare erntet als zwei vorangegangene Posts über Angela Merkel und Joe Biden zusammen.

+++ Haben Redaktionen aus Hanau gelernt? Nicht wirklich, kommentiert Fabian Goldmann bei Deutschlandfunk Kultur. Mittlerweile seien die meisten deutschen Medien wieder zur Tagesordnung zurückgekehrt. "Es wird pauschalisiert, stigmatisiert und kriminalisiert. Schlagzeilen sind gefüllt mit kriminellen Clans, ausländischen Gewalttätern und muslimischen Extremisten. Kommentatoren warnen vor 'dem Ende des staatlichen Gewaltmonopols', 'Islamisierung' und 'Zivilisationsbrüchen'", kritisiert der Journalist und Islamwissenschaftler.

+++ Ein am Mittwoch veröffentlichter Avaaz-Bericht zeichnet das Ausmaß der Corona-Infodemie nach. Simon Hurtz geht bei der Süddeutschen zwei Lösungsvorschlägen nach.

+++ Die dpa holt Silke Brüggemeier zu 2021 in die Chefredaktion. Sven Gösmann wird damit vier Stellvertreterinnen haben, schreibt Ulrike Simon bei Horizont und erklärt, womit die ehemalige Fotochefin der Bild künftig beauftragt sein wird.

+++ Der US-Hörfunkverbund NPR werde 2020 mit sogenannten underwiting Spots mehr Geld in Podcasts generieren als mit seinem klassischen Radio-Prgramm, berichtet Sarah Scire bei NiemanLab Das liege nicht nur an der Corona-Pandemie: "Bringing a younger, more diverse audience into the NPR fold means reaching listeners on the platforms they’re already on — whether that’s putting podcasts on Spotify, music on YouTube, or newsy explainers on TikTok. The increased emphasis on digital platforms started long before Covid-19 and has been coming from both directions, Charney said. At the top, executives are putting two and two together from the demographic reports and, bubbling up from the bottom, junior producers and interns want to produce content that their digital-native friends will actually see."

Neues Altpapier gibt‘s wieder am Freitag.

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