Teasergrafik Altpapier vom 11. März 2021: Porträt Autorin Nora Frerichmann
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Das Altpapier am 11. März 2021 Allerlei Hörensagen

11. März 2021, 13:49 Uhr

Diese Woche wird viel geraunt in der Medienbubble: Über Julian Reichelt, über Meghan Markle und Prinz Harry, über die Royals und einen Frühstücksfernsehen-Moderator. Was ist dabei sinnvoll? Und was eher schwierig? Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

Rumgeraune über Reichelt

Es sind Tage des Raunens in der Medienbubble. Hat er wirklich…? Haben sie wirklich…? Hat sie wirklich…? Wie eigentlich genau? Und um welches Ausmaß geht‘s eigentlich?

Über eines dieser Themen mit bisher wenig handfesten Informationen und öffentlich bestätigten Tatsachen ist die Berichterstattung über das Compliance-Verfahren bei Springer, das Altpapier-Kollege René Martens hier bereits am Dienstag zum Thema machte. Springer hatte das Verfahren intern bestätigt, wollte aber nach außen keine Details nennen.

Die Zeit (€) greift die Untersuchung wegen "möglichen Fehlverhaltens gegenüber Frauen" durch Bild-Chef Julian Reichelt nun auch auf. Es gehe um

"die Vermischung von Amt und Beziehungen, um strukturellen Machtmissbrauch und das Ausnutzen von Abhängigkeiten",

schreiben Hannah Knuth und Holger Stark.  Die aktuelle Situation löse innerhalb des Hauses sehr unterschiedliche Reaktionen aus:

"Ehemalige und aktuelle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sagen, sie seien nicht überrascht über die Vorwürfe; so sei "die Kultur im Haus", behauptet eine ehemalige Redakteurin. Andere hingegen verteidigen Reichelt. "Ich kenne ihn als wunderbaren Chef und (...) Menschen", schreibt eine Mitarbeiterin in einem internen Chat der Bild-Redaktion."

So weit, so ausgewogen. Medienjournalistin Ulrike Simon beobachtet aber unter Journalist:innen teilweise auch anderes. In einem "@mediasres"-Beitrag von Michael Borgers wirft sie nochmal einen mahnenden Reminder an die Basics der Verdachtsberichterstattung in den Meldungsstrudel:

"Solange kein Ergebnis da ist, gilt – wie immer im Journalismus – eine öffentliche Unschuldsvermutung. Und zweitens eine zurückhaltende Berichterstattung, weshalb ich auch sehr irritiert bin über das Verhalten einiger Journalisten, insbesondere in den sozialen Medien."

Wen genau sie da meint, wird nicht weiter erläutert. Die Reaktionen in der Medienbubble und auf den Social-Media-Plattformen sind wohl auch so hämisch, weil bei der Berichterstattung über die Anschuldigungen gegen Reichelt nun Standards gelten sollen, die die Bild selbst nicht unbedingt immer ganz oben auf ihrer Prioritätenliste (Beispiel aus dem Altpapier) stehen hat.

Für sinnvoll oder professionell halte ich Häme oder Schadenfreude trotzdem nicht. Der Spagat, einerseits nicht vorverurteilende Verdachtsberichterstattung zu leisten und andererseits auch die mutmaßlichen Betroffenen im Blick zu behalten und ihnen als mögliche Quellen eine verlässliche, vertrauensvolle journalistische Anlaufstelle zu sein, ist auch so schon schwer genug.

Stefan Niggemeier kritisiert bei Übermedien (€) die Verquickung von Fiktion mit allerlei Hörensagen im "Drehbuch für eine siebenteilige Serie über eine große Boulevardzeitung".  Lorenz Maroldt fiktionalisierte damit in seinem Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint Erzählungen, die in der Medienbubble über das "angebliche unglaubliche Treiben von "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt und seinem Umfeld" kursieren. Niggemeier sieht darin eine "journalistische Kapitulation":

"Dadurch dass Maroldt möglicherweise wahre Geschichten als Fiktion erzählte, umging er alle Hürden, die einer seriösen Berichterstattung darüber im Weg standen. Er musste niemanden finden, der die geschilderten angeblichen Ereignisse bezeugte. Er musste die Gegenseite nicht mit den Vorwürfen konfrontieren. Er musste nicht entscheiden, ob die recherchierten Belege und Indizien für eine Berichterstattung ausreichen. Sogenannte 'Verdachtsberichterstattung' ist in Deutschland nur unter bestimmten Bedingungen zulässig, und Maroldt verzichtete einfach auf den Versuch, die zu erfüllen, und flüchtete sich in eine vage Erzählung mit unbestimmtem fiktiven Anteil."

Das hält er nicht nur für die Betroffenen für problematisch, die durch die Schilderung leicht zu identifizieren seien und sich wegen den unbestimmten fiktionalen Anteilen kaum wehren könnten. Auch das Publikum, vor allem das außerhalb der Bubble stehe vor Fragen:

"Was soll es von diesen Geschichten halten? Was soll es mit ihnen anfangen? Soll es sie für wahr halten? Für Fantasie? Ist es die leicht verbrämte Schilderung eines echten Skandals? Oder vage an die Realität angelehnter Quatsch?",

wirft Niggemeier ein und ordnet auch das eigene Rumgeraune bei Twitter vom vergangenen Freitag selbstkritisch ein ("Auch das war, zugegeben, problematisch und unjournalistisch. Es trug dazu bei, den öffentlichen Druck zu erhöhen."). Er hatte natürlich nicht in dem qAnonischen Stil geraunt, der grade bei Twitter in einigen abgedrifteten Bubbles angesagt ist, sondern so.

Rumgeraune über Meghan, Harry und die Royals

Spannend ist heute außerdem ein Blick nach Großbritannien, auf verschiedenen Blickwinkel und Geraune nach dem Oprah-Winfrey-Interview mit Prinz Harry und Herzogin Meghan Markle. Die Ereignisse in dessen Dunstkreis haben zu Aufruhr in der englischen Medienbranche geführt. Unter anderem ist der bekannte und polarisierende ITV-Moderator Piers Morgan nicht mehr Host der Frühstücks-TV-Sendung "Good Morning Britain" (ITV).

Nach seinen subjektiven und teils polemischen Einschätzung von Markles Äußerungen zu Rassismus im britischen Königshaus und zu ihrer psychischen Gesundheit mit Suizidgedanken (O-Ton Morgan: "I’m sorry, I don’t believe a word she said, Meghan Markle. I wouldn’t believe it if she read me a weather report.”) gingen dem Guardian zufolge mehr als 41.000 Beschwerden gegen Morgan bei der britischen Medienaufsicht Ofcom ein.

Nach Morgans Aussagen hatte sein TV-Kollege Alex Beresford seine kontinuierlichen, feindseligen Angriffe gegen Markle kritisiert. Morgan stürmte daraufhin in Rage aus dem Studio und schmiss ITV zufolge seine Arbeit bei dem Sender hin – im Detail nachzulesen u.a. beim genannten Guardian, bei FAZ und SZ.

In den Redaktionen scheint man sich über die genauen Abläufe nicht ganz einig zu sein. Bei der Süddeutschen schreiben Elisa Britzelmeier und Cornelius Pollmer z.B.:

"Dass Morgan sein Ausscheiden dann umgehend selbst organisierte, nährt zum einen Spekulationen, Morgan habe demnächst ohnehin als Königstransfer zum Projekt GB News wechseln wollen. Unter diesem Namen soll einem vielstimmigen Raunen zufolge eine Art britisches Fox News aufgebaut werden."

Beim Spiegel gibt es ein anderes Framing, hier wirkt es eher wie ein Rauswurf Morgans, der u.a. Stationen bei der Sun, News of the World und CNN hinter sich hat:

"Britischer Moderator Piers Morgan verliert TV-Show",

heißt es da und:

"Einer der vehementesten Gegner Meghans, der britische Journalist und TV-Moderator Piers Morgan, ist seinen Job los."

Bei Reuters hörte sich das ähnlich an.

Aufmerksamkeitsökonomie sei dank geht es in der medialen Diskussion des Interviews und seiner Folgen hier in Deutschland leider kaum um die ernsthafte, fundierte Auseinandersetzung mit rassistischen Strukturen – sei es in Monarchien oder in der Presse. Stattdessen wird die Sache meist auf Klatsch (siehe Walulis) und Personalien runter destilliert. Der Autor und Journalist Mohamed Amjahid schreibt dazu bei der taz:

"Weil die Yellow Press Teil dieser Geschichte ist, dürfen die Analysen des Oprah-Interviews nicht der Klatschpresse überlassen werden. Auch in Deutschland nicht. Die Schilderungen von Meghan Markle und Prince Harry dürfen nicht von Promi-Expert*innen im Frühstücksfernsehen oder im Nachmittagsprogramm analysiert werden. Sie passen nicht zu den Panorama-Seiten von Boulevardblättern. Sie sind genuin politisch."

Über mediale Typisierung und Projektion Markles hat Jenni Zylka vor rund einem Jahr übrigens mal ein lesenswertes Altpapier geschrieben.


Altpapierkorb (Auslieferung von Julian H., Russland will Twitter drosseln, Streaming-Markt in Bewegung)

+++ Der Mitorganisator des Ibiza-Videos, Julian H., ist laut FAZ nach Österreich ausgeliefert worden. Dort habe das für wenig Aufmerksamkeit gesorgt, berichtet Stephan Löwenstein. Die "Karawane des allgemeinen Interesses" sei längst weitergezogen. "In den österreichischen Medien war Julian H. am Mittwoch allenfalls eine Randnotiz. Strache ist politisch erledigt. Der parlamentarische Ibiza-Untersuchungsausschuss, aber anscheinend auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft haben sich auf ein anderes Ziel eingeschossen: Sebastian Kurz." Das Das Bundesverfassungsgericht hatte Hs Eilantrag gegen die Auslieferung zurückgewiesen. Er habe "nicht substantiiert dargelegt, dass er in der Republik Österreich politisch verfolgt wird und ihn dort kein faires Verfahren ... erwartet".

+++ Russland plant Twitter zu drosseln, berichten die Zeit und netzpolitik.org. Die Plattform sei seit 2017 etwa 3.000 Löschanfragen der Regierung nicht nachgekommen, berichtet Josefine Kulbatzki (netzpolitik): "Dabei gehe es um Inhalte wie die Darstellung von Kindesmissbrauch, Drogenmissbrauch oder Aufrufe zu Suizid unter Minderjährigen. Aktivist:innen sehen die Maßnahme in Zusammenhang mit den Protesten in letzter Zeit und als Versuch, den Informationsraum zu kontrollieren."

+++ Auf dem Streaming-Markt könnte es bald zu einer Jeder-gegen-jeden-Situation kommen, weil die großen Filmstudios immer mehr auf eigene Portale setzen, befürchtet Nicolas Freund bei der SZ. "Das ist gut für die Plattformen, aber schade für die Filmemacher und für die Zuschauer", ist nur eine Erkenntnis des Textes.

+++ Über die deutschen Entwicklungen in dem Bereich schreibt Kurt Sagatz beim Tagesspiegel mit Blick auf die neue Joyn+-Serie "Katakomben". Damit starte die Streamingplattform von  ProSiebenSat.1 "eine Programmoffensive mit insgesamt 20 Originals allein in diesem Jahr, wie Contentchef Thomas Münzner bei einer Online-Präsentation am Dienstag betonte.(…) Die ProSiebenSat1-Gruppe will im Fiction-Bereich mit international konkurrenzfähigen Serien wie 'Katakomben' oder der Serienumsetzung des Marc-Elsberg-Romans 'Blackout' aufholen."

Neues Altpapier gibt‘s wieder am Freitag.

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