Das Altpapier am 14. Dezember 2017 Google ist so evil

Google ist der Gegner, auf den sich Öffentlich-Rechtliche und Verleger einigen können. Das Unternehmen liefere keinen Inhalt, sondern klaue den anderer, heißt es mal wieder - dummerweise an dem Tag, an dem viele Medien was zum Inhalt haben? Genau, die bei Google meistgesuchten Begriffe des Jahres. Das Altpapier heute u.a. mit Patricia Schlesinger vom RBB, Tom Buhrow vom WDR und Jan Metzger von Radio Bremen. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Das Altpapier von gestern hatte 16.770 Zeichen - oder wie man in der Medienbranche sagt: 6,7 WDR-Onlinehintergrundtexte. Und es endete mit der Frage, was eigentlich aus der Domain der Netzeitung geworden ist, bei der vor ein paar Millionen Jahren die ersten Altpapier-Kolumnen erschienen sind.

Wir lösen auf: Wer draufklickt, ist in Köln. Nicht beim öffentlich-rechtlichen WDR natürlich. Der hat ja gerade entschieden, wider die "Presseähnlichkeit" online nur noch kurze Texte zu veröffentlichen - wir kommen gleich noch einmal darauf zurück -, insofern kauft der sich gerade wohl eher nichts mit "Zeitung" im Titel. Nein, wer netzeitung.de aufruft, landet beim Kölner Stadt-Anzeiger.

Und wo wir schon mal da waren, haben wir gleich mal ein paar Quizze gemacht ("Weihnachtsfilme - wie gut kennen Sie sich mit den Klassikern aus?"), an Quatschumfragen  ("Würden Sie gerne bei Google arbeiten?") teilgenommen und uns auch sonst ein wenig umgeschaut. Und festgestellt: Vom Medienressort des Stadtanzeigers ist nicht nichts geblieben. In der Printausgabe von heute wird via epd gemeldet, dass die Wahl von Marc Jan Eumann (bekannt u.a. aus diesem Altpapier) zum Chef der rheinland-pfälzischen Landesmedienanstalt ein juristisches Nachspiel habe. Medienanwalt Markus Kompa, habe rechtliche Schritte eingeleitet, weil er bei der Abstimmung nicht als zweiter Kandidat zugelassen und der Direktorenposten nicht öffentlich ausgeschrieben worden war.

Und auch online gibt es beim Stadtanzeiger Medienprogramm. Neben Talkshowkritik findet sich unter "Kultur&Medien" Service zur Zeit ("Weihnachtsfilme und die Sendetermine im Überblick"). Und eines der recht weit verbreiteten Medienthemen des gestrigen Tages ist unter dem Reiter "Ratgeber" verarbeitet: "Das haben die Deutschen 2017 am häufigsten bei Google gesucht."

Endgegner Google

Das ist ein witziges Thema. Denn Google gilt ja seit geraumer Zeit quasi als Endgegner deutscher Medien, weil, so die Argumentation, das Unternehmen selbst keine Inhalte produziere, sondern nur aufliste, was andere - darunter Medienhäuser - in mühevoller Handarbeit mit Nadel und Faden herstellen würden.

Wenn nun aber, wie im aktuellen Kölner Beispiel, diese Google-Suchlisten von journalistischen Redaktionen selbst als relevanter Inhalt bewertet und weiterverbreitet werden: Müsste man dann hier nicht Google genau genommen als den Lieferanten von Inhalten betrachten, die auf Basis der Inhalte anderer erstellt werden, von denen wir allerdings wissen, dass sie wiederum bisweilen unter Zuhilfenahme der Google-Suche recherchiert werden? Hm. Nur, wer ist denn dann schuld an allem, wenn alles derart kompliziert und miteinander verstrickt ist?

Stellen wir uns der Reduzierung dieser elenden Komplexität wegen einfach mit an die Ghettotonne, an der sich die deutschen Medienchefetagenbewohner gerade zusammenfinden. Sie stehen um die züngelnden Flammen und bestätigen einander, dass Google und Konsorten ihre gemeinsamen Gegner seien, während sie den Flachmann herumreichen. Jedenfalls äußern sich private Verleger und öffentlich-rechtliche Intendanten dieser Tage in dieser Hinsicht recht einmütig.

So zum Beispiel Zeitungsverlegerpräsident Mathias Döpfner in einem an dieser Stelle schon erwähnten Spiegel-Interview. Er sagt darin etwa: "Google und Facebook sind für uns viel größere Herausforderungen als ARD und ZDF". Und: "Ich verstehe nicht, dass man bei der ARD seit fünf Jahren ernsthaft die Ambition hat, dem 'Hamburger Abendblatt’ oder dem 'Straubinger Tagblatt' Konkurrenz zu machen, während YouTube und Netflix das Feld aufrollen".

Oder heute RBB-Intendantin Patricia Schlesinger. Sie hat einen Gastbeitrag für Die Zeit geschrieben, die die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen vor einer Woche als Thema entdeckt hat (Altpapier). Darin heißt es:

"Die Bedrohung entsteht nicht durch den Wettbewerb zwischen Verlagen und öffentlich-rechtlichem Rundfunk, sondern durch neue players auf unserem Spielfeld; ich würde eher sagen: warriors. Im Schatten unserer Auseinandersetzung wetteifern Apple, Amazon, Facebook und Google um die Hoheit in deutschen Wohnzimmern, auf Desktops und Tablets. Unsere gemeinsame Konkurrenz besetzt die medialen Plattformen der Zukunft mit intelligenten Geräten, autonomen Sprachassistenten und mixed reality. Dabei ersetzt ein nebulöses 'Do no evil' ausgefeilte Redaktionsstatuten. Der Inhalt ist nicht der Zweck der Unternehmung, sondern kommt kostenfrei mit, wenn man sich zum Beispiel für ein ursprünglich nur versandkostensparendes »Prime«-Modell entscheidet. Nicht der Verbreitungsweg ist entscheidend, sondern die Datenspuren, die auf diesen Wegen auszulesen und zu kapitalisieren sind."

Freuen wir uns also einfach mal, dass Verleger und Intendantin sich in einem Punkt halbwegs einig sind: Google ist evil.

So. Alle fertig gefreut? Okay. Dann hätten wir jetzt aber noch eine Korinthe. Der Satz "Do no evil" (also "Tue nichts Böses"), den Schlesinger Google zuschreibt, ist nicht richtig. "Don’t be evil" ("Sei nicht böse") lautet der Satz, mit dem Googles Code of conduct beginnt.

Die Beobachtung von Matt Cutts, einem Google-Mann, war 2011, dass ein Artikel über Google mit größerer Wahrscheinlichkeit besonders kritisch ausfalle, wenn das Motto darin falsch als "Do no evil" zitiert werde. (Worin der Unterschied zwischen beiden Sätzen bestehe, schreibt er hier.) Womit wir nicht sagen wollen, dass man Google nicht kritisch anfassen sollte. Sondern nur, dass der Glaubwürdigkeit gedient wäre, wenn man dem Teufel, den man an die Wand malt, nicht noch die Hörner zu Dolchen anspitzen würde. Aber das Verfahren kennen wir ja aus den Nordkorea-Debatten und der Diskussion über ein Leistungsschutzrecht.

Vielleicht hat sich Schlesinger aber auch nur beim Googeln von irgendwas mit evil vertan.

2500 Zeichen auf wdr.de

Kommen wir nun zur Selbstbeschränkung des WDR. Dass die Anstalt "online deutlich stärker" auf ihren "Kernauftrag setzen" will, hat sie vor einer Woche bekannt gegeben (siehe auch Altpapier). Zentraler Satz: "Die wesentlichen nachrichtlichen Fakten werden textlich nur noch knapp zusammengefasst" - also ungefähr so, wie die Verleger es sich wünschen.

Stefan Niggemeier hat bei Übermedien nun Zahlen:

"Im Sender kursieren strenge Vorgaben, welche Textlängen nur noch erlaubt sind. Bei einer internen Versammlung wurde eine Dienstanweisung verkündet, die für alle WDR-Online-Seiten gelten soll. Sämtliche Beitragsseiten werden demnach längenbeschränkt: Nachrichten dürfen nur noch höchstens 1500 Zeichen umfassen, Hintergrundbeiträge höchstens 2500 Zeichen lang sein."

Er findet:

"Die strengen internen Vorgaben zeigen, wie wenig journalistische Kriterien oder die Interessen der Beitragszahler dabei eine Rolle spielen. Es geht um ein Appeasement der privaten Konkurrenz."

Und das hält er für falsch:

"Es ist eine prinzipiell schlechte Idee, wenn die Vorgaben, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk tun darf, davon bestimmt sind, was unter den jeweils gerade aktuellen Marktbedingungen der privaten Konkurrenz recht wäre. Um noch einmal daran zu erinnern: Vor gerade einmal neun Jahren hätte das bedeutet, ARD und ZDF im Netz alles zu erlauben außer Werbung. So schlug es der heutige Zeitungsverlegerpräsident Mathias Döpfner damals vor, weil es damals so aussah, als ob Online-Medien sich mit Werbung finanzieren ließen. Heute, da klar ist, wie schwer das ist, fordert er andere Grenzen von ARD und ZDF, wiederum definiert von der aktuellen Marktsituation der Privaten. Was ARD und ZDF tun dürfen, kann aber nicht von den jeweiligen Beschwerlichkeiten der Konkurrenz abhängig sein - sondern muss aus den Ansprüchen an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk selbst definiert werden."

Dass auch WDR-Intendant Tom Buhrow, am Ende von Niggemeiers Kommentar zitiert, gegen Google und Co. vom Leder zieht (die "wahren Gegner, … die von Übersee kommen und unsere Inhalte kannibalisieren"), braucht man wohl nicht zu erwähnen. Wenn man sich auf sonst vielleicht nichts einigen kann innerhalb der ARD und zwischen Verlegern und Öffentlich-Rechtlichen, auf den "Mythos" (Niggemeier) vom Inhalte klauenden gemeinsamen Feind offensichtlich schon.

Paartherapie dank Google

Wobei: Einen ARD-Intendanten gibt es, der heute nicht mit einer Google-Beschimpfung zitiert wird, Jan Metzger von Radio Bremen. Er war beim Medienpolitischen Kolloquium in, wiederum, Köln zu Gast und habe dort, so Oliver Jungen in der FAZ, den "bohrenden Nachfragen" Lutz Hachmeisters standgehalten.

"Metzger setzt sich seit längerem für eine starke eigene Plattform ein, wozu die Auflösung des Mediatheken-Durcheinanders gehört. Einstweilen aber sei das Ausspielen öffentlich-rechtlicher Inhalte bei Facebook oder Youtube (Google) geboten, weil die Sender - darin steckte eine Bankrotterklärung - viele Menschen nur noch über diesen Umweg über amerikanische Privatunternehmen erreichten."

Eine eigene Plattform - das wäre was. Denn, da hat Jungen mit "Bankrotterklärung" recht, der Status quo folgt wirklich einer eigenwilligen Logik: Die Öffentlich-Rechtlichen nutzen YouTube und Facebook exzessiv als Vertriebsweg, stellen ihren eigenen Jugendkanal bei YouTube ein, der deshalb von vielen gar nicht als öffentlich-rechtliches Angebot wahrgenommen werden dürfte, wundern sich dann, dass die jungen Leute nicht aufs lineare Programm anspringen, und dann bekämpft man gemeinsam mit den Verlegern "die wahren Gegner aus Übersee", die, evil, wie sie sind, "unsere Inhalte kannibalisieren".

Wenn es als Paartherapie für das duale System hilft - schön. Aber aus der Halbdistanz gesehen kommt man bei diesen Verrenkungen einfach nicht mit.

Altpapierkorb

+++ Interessant aber auch, was laut FAZ Metzger "in Rage versetzt" habe: dass "ostdeutsche Christdemokraten" drohen, "der Neufassung des Rundfunkstaatsvertrags nicht zuzustimmen". Käme es so, "gebe es wohl 'gespaltene', also unterschiedliche Gebühren in den einzelnen Bundesländern". Die FAZ nennt das eine "Beutelschneiderlogik". Dass ARD, ZDF und Deutschlandradio bis 2020 mit weniger Geld auskommen sollen, als sie selbst als Bedarf angemeldet haben (Altpapier vom Dienstag), wird im Wirtschaftsteil der FAZ weiterverhandelt. Dort geht es mit Zitaten von Kritikern - Privatsendervertretern, FDP und den besagten "ostdeutschen Christdemokraten" - ums Ganze: "Der CDU-Landesminister und Medienpolitiker Rainer Robra, der sich als Verfechter einer tiefgreifenden Reform der öffentlich-rechtlichen Sender gezeigt hat, drängt (…) gegenüber dieser Zeitung auf eine Umkehr. Die Kef habe viele in den Rundfunkanstalten wachgerüttelt. 'Intendanten und Gremien der Sender müssten sich inzwischen der Gefahr bewusst sein, dass am Ende die finanzielle Basis der Anstalten erschüttert wird, wenn nicht gravierende Veränderungen stattfinden', sagte der Chef der Staatskanzlei in Sachsen-Anhalt."

+++ In der Zeit geht es um eine Neuausrichtung der NZZ: "Tatsächlich arbeitet sich die NZZ inzwischen geradezu obsessiv an konservativen Reizthemen ab: an der Geschlechterfrage, an der politischen Korrektheit, am angeblich alles dominierenden sozialdemokratischen Mainstream. Das langweilt, das nervt, das besorgt - auch viele Abonnenten. Besonders irritiert der Schaum vor dem Mund, den einige NZZ-Autoren neuerdings tragen."

+++ Und Moritz von Uslar schreibt eine Replik auf die im Spiegel geäußerte Kritik (€), auch im Altpapier aufgegriffene Kritik an seinem Buch "Deutschboden".

+++ Die SZ widmet ihren Aufmacher den fiktionalen Aufbereitungen von sexueller Belästigung in der Unterhaltungsbranche, die es vor #MeToo längst gab: "die Komikerin Tig Notaro mit One Mississippi (Amazon), der Komiker Aziz Ansari mit Master of None (Netflix), die Autorin und Regisseurin Lena Dunham mit Girls (HBO) und die Komikerin Maria Bamford mit Lady Dynamite (Netflix). Die vier autobiografisch inspirierten Serien veranschaulichen das perfide System, in dem Männer ihre Macht missbrauchen, ihre Opfer sich nicht wehren können, Mitwisser aus unterschiedlichen Gründen schweigen und Streamingplattformen nach genau diesen Geschichten gieren."

+++ The Atlantic hat auch eine Geschichte dazu, dort geht es um "Top of the Lake", "The Handmaid’s Tale", "The Deuce" oder "National Treasure".

+++ Und das noch: "Freischreiber foppen Verleger" (turi2).

Frisches Altpapier gibt es am Freitag.