Das Altpapier am 13. März 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 13. März 2023 Rudert die BBC in den Abgrund?

13. März 2023, 09:46 Uhr

Die strahlkräftigste öffentlich-rechtliche Anstalt der Welt hat sich in die Krise manövriert. Der zukünftig Zukunftsrat zieht weiter Kritik auf sich. Und das auflagenstärkste Heftchen für lineare Fernseh-Programme wird eingestellt. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Medien-Topthema BBC

Die BBC "zerfleischt sich", meint das "Handelsblatt", und zwar "im Kulturkampf über Flüchtlinge, Fußball und Filz". "Stürzt Gary Lineker die BBC in den Abgrund?", lautet die Unterüberschrift zur Überschrift "Meuterei auf der Insel" vorn auf dem Feuilleton der "FAZ" (deren Titelfoto in derselben Sache Winston Churchill zeigt). Der Sender "rudert ... ziemlich blamiert zurück", lautet eine Unterüberschrift zum Aufmacher der "SZ"-Medienseite. Die ARD-Korrespondentin Annette Dittert sagt in einem langen "Tagesspiegel"-Interview, "dass diese Krise ja nun richtig eskaliert ist", und weist dann auch darauf hin, dass ein "ganzes Heer an prominenten Journalisten, Emily Maitlis, Andrew Marr und andere", die bloß in Deutschland nicht so prominent sind wie der Ex-Fußballer Lineker, "in den letzten Jahren das Handtuch geschmissen" hat.

Kurzum: Die exemplarische Aufregung um Lineker und die BBC liefert deutschen Medien nicht mehr nur "Klickstoff", wie René Martens im Altpapier vom Freitag schrieb (in dem er auch herausarbeitete, dass der "Nazi-Vergleich"-Vergleich von deutschen Vereinfachern formuliert wurde). Sie liefert inzwischen auch jede Menge Stoff für schwarz auf weiß gedruckte Feuilletons sämtlicher Ressorts. Die althergebrachte Anglophilie, die in den Medienmilieus besonders verbreitet und historisch betrachtet nicht unbgeründet ist, bricht sich noch mal Bahn. Tatsächlich überschlugen sich in England die Ereignisse am Wochenende auch da, wo vergleichsweise viele Menschen noch vergleichsweise gleichzeitig Medien konsumieren, im lineaeren Fernsehen:

"Ohne Moderation und Studiogäste und auf 20 Minuten gekürzt lief das britische Fußballhighlight des Wochenendes am Samstag in der BBC. Statt des 'Match of the Day' wurde eine Antiquitätenshow ausgestrahlt",

berichtet die "taz". Weite Teile des englischen Fußball-Medien-Betriebs hatten sich mit Lineker solidarisiert und der BBC verweigert. Dass die Fußball-Berichterstattung der BBC dann "auch am Sonntag stark eingeschränkt gewesen" war, ergänzt der "Tagesspiegel". Das Zerschießen der Spieltage in möglichst zeitversetzte Termine, damit der Fernsehrechte-Verkauf immer noch mehr Geld einspielt, ist genau wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk selbst ein englisch/britisches Muster, dem dann überall mindestens in Europa gefolgt wurde.

"Welche Bedeutung die Lineker-Krise hat, kann man an der umfassenden Medienberichterstattung ablesen – sie findet zum Teil mit Livetickern statt", schreibt Michael Hanfeld mit Recht in noch einem "FAZ"-Beitrag (in dem er übrigens auch den großen deutschen Symathie- und Werbeträger Jürgen Klopp zitiert). Tatsächlich tickerte zeitweise die BBC selber online live, wobei ihr am Montagmorgen jüngster Beitrag ("Gary Lineker: BBC talks with presenter 'moving in right direction', sources say") darin nicht enthalten ist. Dichter, mit minuten-genauen Angaben ("31m ago") tickerte der "Guardian". Der englische Journalismus, in dem die öffentlich-rechtliche BBC eine wichtige, aber keineswegs die alleinige Hauptrolle spielt,  ringt sozusagen gerade um seine ganz besonders in Deutschland immer gerne beschworere Vorbild-Funktion.

Vergleiche mit ARD und ZDF?

Im Kern geht es um Staats-, also Regierungsferne-Fragen. Oft zitiert wird der ehemalige, in der wendungsreichen BBC-Geschichte nicht freiwillig gegangene Generaldirektor Greg Dyke mit seinem Eindruck, dass sich die BBC dem Druck der Regierung gebeugt habe (hier etwa beim "Guardian"). Lassen sich Vergleiche mit dem deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ziehen? Nein, meint Dittert im "Tagesspiegel":

"Ein derart direkter Zugriff auf die Chefetagen von ARD oder ZDF ist in Deutschland nicht möglich. Das liegt vor allem daran, dass – ausgerechnet – die Briten gemeinsam mit den Amerikanern nach dem Zweiten Weltkrieg dafür gesorgt haben, dass kein öffentlich-rechtlicher Sender in Deutschland jemals wieder direkt einer nationalen Regierung unterstellt sein darf. Dadurch haben wir vor allem bei der ARD das föderale System, das natürlich auch Nachteile hat, aber vor einem solch direkten Zugriff einer Regierung sind wir dadurch geschützt. Leider haben die Briten eine solche Absicherung damals zu Hause für nicht nötig gehalten".

Wobei sich das natürlich erst dann wirklich zeigen würde, wenn es hierzulande mal einen Dissens zwischen Regierung und Rundfunkanstalten (oder einem prominenten Mitarbeiter), wie er in England vorliegt, geben würde. Der RBB, nämlich sein "Medienmagazin" macht macht (mit weiterführenden Links) auf noch einen potenziellen Vergleichs-Parameter aufmerksam. Bei der BBC wird bereits kräftig eingespart wird, weniger an Millionen-Honoraren für prominente Ex-Fußballer als an den Klangkörpern. Komplett aufgelöst und zwar schnell werden wohl die BBC Singers:

"Der Chor soll seine Tätigkeit bereits in der ersten Julihälfte einstellen. Nach Einschätzung von Beobachtern geht es bei dieser schnellen Abwicklung darum, eine nochmalige, womöglich von Protestbekundungen begleitete Mitwirkung bei den Proms-Konzerten zu verhindern."

Klar, auch da gibt es markante Parallelen und Unterschiede zu Deutschland, wo Subventionen für Theater und klassische Musik in allen Haushalten enthalten sind. Allein die ARD unterhält,  ihrem Ex-Vorsitzenden Buhrow zufolge (Altpapier), "insgesamt 16 Ensembles: Orchester, Big Bands, Chöre". Die Entwicklungen in ENgland zu beobachten, lohnt jedenfalls.

Streaming-Netzwerk, Zukunftsrat (ÖRR)

Die deutschen Öffentlich-Rechtlichen tun einen kleinen Schritt in eine oft geforderte Richtung. "Gemeinsames Streaming-Network kommt", vermeldet der "Tagesspiegel" etwas pompös. Nicht dass ARD- und ZDF-Mediathek zusammenwachsen, bedeutet das, sondern demnächst "übergreifende Empfehlungen in den Mediatheken bei Dokumentationen und im Bereich Kultur". Die Pressemitteilung des ZDF zitiert seinen Intendanten Norbert Himmler:

"'Unser Ziel ist ein weitgehend schrankenlos verfügbarer Kosmos aus öffentlich-rechtlichen Inhalten, in den wir weitere Partner einladen wollen.' Erste Kontakte mit ORF und SRG für eine mögliche Beteiligung seien bereits geknüpft",

schreibt das ZDF so, als würde es mit diesen deutschsprachigen Partnern, nicht schon seit Jahrzehnten den kultur-interessierten Alles-mögliche-Sender 3sat betreiben.

Noch bevor er erstmals zusammentritt immer noch mehr Kritik zieht der inzwischen ja formierte "Zukunftsrat" auf sich, sowohl von der Journalistengewerkschaft DJV ("Kein einziger Praktiker aus den öffentlich-rechtlichen Redaktionen sitzt mit am Tisch. Worüber, bitteschön, wollen sich die Herrschaften eigentlich austauschen?") als auch von der ziemlich anderen Seite der "FAZ". Der Rat sei "ein Arbeitsgrüppchen", schreibt erneut Hanfeld und zitiert die SPD-Medienpolitikerin und Rundfunkkommissions-Koordinatorin  Heike Raab:

"Es gehe 'im Wesentlichen um drei Themenfelder ... Transformation gestalten und Qualität stärken, Strukturen und Zusammenarbeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks optimieren und Beitragsstabilität sichern' sowie 'Good Governance weiter stärken'".

Das noch weiter stärken, was die Medienpolitik selbst sowieso schon für Stärken hält, wobei sie damit eher allein ist – das wäre in der Tat ein so überschaubares wie undankbares Aufgabenfeld für den Zukunftsrat. Mit einer schwungvollen Gesamt-Kritik der deutschen Öffentlich-Rechtlichen-Reform-Bemühungen knüpft da Alexander Kissler in der "Neuen Zürcher Zeitung" unter der Überschrift "Links, belehrend, staatsnah: ARD und ZDF brauchen dringend eine Reform" an. Klar spitzt die gewiss nicht links stehende "NZZ" einerseits arg zu und haut andererseits kräftig drauf, was im Zusammenspiel viele Unschärfen erzeugt (weshalb sich allerlei Diskussionen entspannen, etwa darüber, ob überhaupt der schweizerische öffentlich-rechtliche Rundfunk nach dem dank knapp gewonnenen Volksentscheid tatsächlich mit geringeren Kosten als der deutsche arbeitet ...). An manchen Stellen hat Kissler aber einfach recht. Etwa zum Thema Zukunftsrat:

"Den grössten Geburtsfehler und das erste Ärgernis werden die von den Bundesländern eingesetzten Experten gewiss nicht ansprechen, weil sie selbst betroffen wären: die Staatsnähe der Sender. Von Beginn an war die proklamierte Staatsferne eine Chimäre. In den Aufsichtsgremien sind die etablierten Parteien überproportional vertreten – obwohl das Bundesverfassungsgericht 2014 zumindest dem ZDF auftrug, den Anteil von Politikern und «staatsnahen Personen» dort von 44 auf 33 Prozent zu reduzieren. Dennoch bleibt es eine Absurdität, dass dem ZDF-Verwaltungsrat die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin von der SPD vorsteht. Die Vorsitzenden der Verwaltungsräte von WDR und HR haben ebenfalls ein SPD-Parteibuch, während beim MDR eine ehemalige stellvertretende thüringische Ministerpräsidentin, Mitglied der CDU, die herausgehobene Position innehat ..."

Papiermedien-Menetekel

Weiter viel Medienmedien-Aufmerksamkeit erhält die Gruner+Jahr-Abwicklung. Die "SZ"-Medienseite etwa beleuchtete unter der Überschrift "Perlen auf dem Wühltisch"  die Schicksale der Zeitschriften, die Bertelsmanns RTL nicht weiterführen will oder darf, also zum Verkauf anbietet. Der Landwirtschaftsverlag Münster möchte wohl die Hälfte der Anteile an der jüngsten nachhaltig erfolgreich lancierten Zeitschriftenfamilie rund um "Landlust" (die G+J einst kaufte, um daran zu partizipieren) wohl zurückkaufen. Eher en passant kommt da eine Neuigkeit zu einem seit je unglamourösen Teil des Zeitschriftengeschäfts vor:

"... dass Bertelsmann sich von einem weiteren Print-Unternehmen trennt: Die RTV Media Group, soll zum 31. Dezember dieses Jahres schließen. Betroffen sind 87 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Gruppe, die unter anderem die TV-Beilage 'RTV' sowie 'Land & Leute' herausgibt, gehört nicht zu RTL, sondern zur Bertelsmann Publishing Group. Wenn ihre beiden Beilagen eingestellt werden, sind bundesweit Millionen Leser betroffen."

Um Fernseh-Programmheftchen, die vielen Tageszeitungen beiliegen, handelt es sich also. Allein das "rtv" betitelte Heftchen erreicht derzeit eine Auflage von 4,5 Millionen Exemplaren. Der umtriebige Michael Hanfeld fragte nach, wohl auch weil seine "FAZ" selber ihr fast ganzseitiges tägliches Fernsehprogramm-Listing vom Dienstleister RTV bezieht:

"'Insbesondere zwei Entwicklungen' stünden hinter der Entscheidung, heißt es bei der Bertelsmann Printing Group (BPG) auf Anfrage der F.A.Z.: die 'rückläufigen Werbeeinnahmen in den Print-Anzeigen-Märkten'und 'die hohen Preissteigerungen im Produktionsprozess' – Materialkosten, Papier, Energie, Transport, Inflation. RTV befinde sich 'in einer nachhaltigen Verlustsituation'."

Dabei sind die Heftchen, auch wenn die RTV Group sich online selber noch "zu den führenden Medienhäusern für strategische Entwicklung, redaktionelle Erstellung und Vermarktung von Medienlösungen" zählt, randvoll mit Anzeigen für Treppenlifte und medikamentöse Produkte für ältere und älteste Zielgruppen. Offenkundig hilft auch das nicht mehr, Gewinne zu machen. Von den gleichen Faktoren wie RTV spricht die Funke-Gruppe, die kürzlich eine viel weniger Menschen betreffende, aber ebenfalls bahnbrechende Ankündigung machte: In und um In und um Greiz im südlichen Thüringen bekommt, wer für die lokale Tageszeitung "Ostthüringer Zeitung" bezahlten möchte, sie demnächst nicht mehr zugestellt, sondern muss mit dem E-Paper vorlieb nehmen (Altpapierkorb vom Donnerstag). Auch da fragte die "FAZ" nach:

"Die in Essen ansässige Mediengruppe ... be­gründete den Schritt mit der 'Kostenexplosion' bei Papier, Produktion und Zustellung. Um nicht an journalistischen Inhalten sparen zu müssen, 'wird dort die Zustellung eingestellt, wo sie ohnehin schon unwirtschaftlich ist', teilte Funke mit."

Anderswo in Thüringen zeitweise angepeilte Pilotprojekten, "mit einer Drohne Zeitungen zuzustellen", würden nicht mehr verfolgt, ergänzt mdr.de. Und betroffen sein sollen bloß rund  300 von rund 5500 Abonnenten im 96.000-Einwohner-Landkreis, also wenige von wenigen Menschen.

Dennoch sind diese beiden Ereignisse eine Art Menetekel für gedruckte Medien, schon weil es so gut wie keine Titel gibt, die nicht laufend Abonnenten verlieren, während die Kosten wohl kaum sinken werden, sondern im Gegenteil. Gewiss hat "rtv" mit Journalismus wenig zu tun. Wobei, insofern doch, als dass den redaktionellen Inhalt lineare Programm-Listen der Fernsehsender in der seit Jahrzehnten gelernten Reihenfolge mit dem Ersten, dem ARD-Programm, als erstem, dem ZDF als zweitem Sender usw. bilden. Das lineare, besonders das öffentlich-rechtliche Fernsehen – in dem Journalismus ja eine Haupt- (oder zumindest tragende Neben-) Rolle spielt – verliert sein größtes Programmlisten-Medium. Wird sich das aufs lineare Fernsehen auswirken?


Altpapierkorb (MDR-Intendanten-Wahl, Reporter ohne Grenzen & "Minecraft", Vergessene Nachrichten-Top Ten, Angriffe gegen Medien, Fingerabdrucksperre)

+++ Heute wird bei unserem MDR ein neuer Intendant gewählt. Eigentlich dürfte es nicht irre spannend werden, da ja nur ein Kandidat zur Wahl steht. Es wird doch "ein echter Krimi", meint flurfunk-dresden.de. +++

+++ Der gestrige Sonntag war Welttag gegen Internetzensur. Daher erweiterten die Reporter ohne Grenzen ihre virtuelle "Uncensored Library" um in den Schurkenstaaten Iran und Russland verbotene oppositionelle Medien. Diese virtuelle Bibliothek ist außer über uncensoredlibrary.com auch innerhalb des Computerspiels "Minecraft" verfügbar. Denn das ist selbst aus vielen Staaten, die freie Medien unterdrücken, zu erreichen. +++

+++ Von der "Verdunkelung der Meere in Küstennähe" bis zum "Zusammenhang zwischen Tierquälerei und interpersonaler Gewalt" reichen die  Top Ten der Vergessenen Nachrichten 2023, die die Initiative Nachrichtenaufklärung e. V. am Freitag verkündete. "Die INA ist ein gemeinnütziger Verein aus Medienwissenschaftler/innen, Fachwissenschaftler/innen, Student/innen, Journalist/innen und engagierten Bürger/innen. Von journalistischer Seite sind zur Zeit u.a. Günter Wallraff, Hardy Prothmann und Petra Sorge beteiligt. Die wissenschaftliche Seite ist u.a. durch Prof. Dr. Hektor Haarkötter, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Prof. Dr. Horst Pöttker, Uni Hamburg, und Dr. Uwe Krüger, Uni Leipzig, vertreten", informiert die Portal-Startseite derblindefleck.de. +++

+++ "Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 320 Straftaten mit dem Angriffsziel Medien erfasst – so viele wie nie zuvor", meldet die "Welt" auf Grundlage einer Bundesregierungs-Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestags-Linksfraktion. Darunter seien "46 Gewaltdelikte, 41 Nötigungs- und Bedrohungsdelikte, 31 Sachbeschädigungen sowie 27 Volksverhetzungen". +++

+++ "Wer vorausschauend denkt, deaktiviert die Fingerabdrucksperre", rät nach einem Ravensburger  Landgerichts-Urteil der Rechtsanwalt und Lawblogger Udo Vetter, meldet netzpolitik.org. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.

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