Das Altpapier am 14. März 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 14. März 2023 Leicht gesagt, schwer erfüllt: Transparenz

14. März 2023, 09:27 Uhr

Der neue MDR-Intendant ist gewählt. Rundfunkräte haben in punkto Transparenz Luft nach oben. Linda Zervakis ist nicht das Problem in Sachen Bundesregierungs-Honorare für Journalisten. Und die Frage, ob Verlinken ein Verbrechen ist, wurde noch nicht geklärt. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Neuer MDR-Intendant flott gewählt

Das ging ja doch fix. "Eigentlich dürfte es nicht irre spannend werden, da ja nur ein Kandidat zur Wahl steht. Es wird doch 'ein echter Krimi', meint flurfunk-dresden.de", stand gestern im Altpapierkorb zur Intendantenwahl im MDR-Rundfunkrat. Schon um 12.27 Uhr war die Spannung raus, meldete der Flurfunk dann.

Das muss kein Widerspruch sein. Für Spannung stehen Krimis im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja viel weniger als dafür, dass rechtzeitig im vorgegebenen Zeitrahmen die Welt wieder in Ordnung scheint. Ralf Ludwig hat die erforderliche Zweidrittelmehrheit der Stimmen nur minimal übertroffen, aber im ersten Wahlgang erreicht und wird ab November Karola Wille nachfolgen.

Das medienstaatsvertraglich vorgeschriebene Foto mit Verwaltungsrats-Vorsitzender, Blumenstrauß und Rundfunkrats-Vorsitzendem gibt's in der Presseabteilung des Rundfunkrats. Eine ausführliche Erläuterung, wie solche Wahlen beim MDR ablaufen, die auch prozedurale Streitigkeiten im Vorfeld streift, verfasste Steffen Grimberg für Medien360G hier nebenan.

Und dass Ralf Ludwig durchaus auch Kontroverseres sagte, als seine eigene Anstalt zum Start von ihm zitiert ("dass unsere Gesellschaft einen starken und unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk braucht", "Reformen als Chance" ...), zeigt sich in unabhängigen Berichten. Z.B. zitiert meedia.de:

"'Die ARD kommt aus meiner Sicht nicht umhin, eine einheitliche technische Plattform zu etablieren', sagte Ludwig. Die ARD-Sender müssten sich in diesem Bereich schneller vernetzen. Ludwig sprach sich auch für eine stärkere Kooperation mit Arte, 3sat und dem ZDF aus. 'Wir sollten eine gemeinsame Mediathek mit ARD und ZDF anstreben'".

Genau das möchte das ZDF ja nicht. Dass Ludwig ankündigte, "fiktionale Produktionen und Dokumentationen für das Erste zulasten von Un­terhaltungsformaten zu stärken", notierte die "FAZ" lobend in der "sachlichen und unaufgeregten" Stimmung im Leipziger MDR-Hochhaus. "Verwalter Gestalter", reimt "taz"-Dresden-Korrespondent Michael Bartsch und geht auf die im Vorfeld geforderter DDR-Biografie ein, die Ludwig mitbringt ("absolvierte als Instandhaltungsmechaniker eine DDR-typische Berufsausbildung mit Abitur").

Transparenz-Problem der Rundfunkräte

Kurz vor der Wahl hatte es noch schwer zusammenfassbare Querelen gegeben, in die auch die "FAZ" meinungsfreudig eingriff ("MDR-Personalrat macht mit unrichtigen Aussagen Stimmung gegen die Intendantenwahl ..."). Frei online lesenswert ist, wie die engen Fernseh-Freunde von dwdl.de am Montagmorgen, also vor der Wahl, Ärger Luft machten:

"Es ist schon verständlich, dass Ralf Ludwig wenig Lust hat auf Kritik aus dem Rundfunkrat, wenn er mit Ideen an die Öffentlichkeit geht - weil manche Rundfunkräte eben meinen, nur ihnen stünden diese Informationen zu. Hier sind die Gremien eben auch ein Teil des Problems. Aber es ist doch so: Niemand will den Rundfunkräten die Entscheidung über die künftige Besetzung des Intendantenpostens abnehmen, aber eine Diskussion über die Ideen und Vorschläge des Kandidaten muss es doch in der Öffentlichkeit geben. Und zwar in der tatsächlichen Öffentlichkeit und nicht in der, die der Rundfunkrat repräsentieren soll."

Im MDR sei arg oft "Respekt vor dem Verfahren und den Rundfunkräten" reklamiert worden, während man sich "mit der Transparenz insgesamt trotzdem ... schwer tat", beklagt Timo Niemeier unter der Überschrift "Nichts gelernt: Der MDR und die ewige Intransparenz". Was öffentlich weiter nicht bekannt ist: wie es der künftige Intendant mit dem Ruhegeld hält, das im Rahmen der RBB-Skandale schon viel diskutiert wurde, das in MDR-Chefetagen auch üblich ist und der ARD zweifellos noch in vielen Diskussionen um die Ohren fliegen wird (wie businessinsider.de schon mal am Beispiel der noch amtierenden Intendantin vorrechnete).

Dafür, dass Mangel an Transparenz ein ungelöstes Problem der Aufsichtsgremien ist, gibt's noch ein Beispiel. Dem Mediendienst "epd medien" fiel auf, dass der WDR-Rundfunkrat sich ein Jahr nach einer "für seine Verhältnisse sehr deutlichen" Kritik an der Talkshow-Programmpolitik des Senders, insbesondere der Verdopplung der (vom WDR beauftragten) Sandra-Maischberger-Show auf zwei Ausgaben pro Woche, im Februar 2022, erneut mit dem Thema befasste:

"Diesmal hörte sich das ganz anders an: Die mit der Evaluation beauftragten Mitglieder, die SPD-Politikerin Gabriele Hammelrath und Michael Wenge, Hauptgeschäftsführer der Bergischen Industrie- und Handelskammer Wuppertal-Solingen-Remscheid, sprachen von einer 'gewinnbringenden Vertiefung', einem 'selten langweiligen Ablauf' und einer 'hohen Sorgfalt bei der Auswahl der Gäste'".

Redaktionsleiterin Diemut Roether hätte gerne gewusst, warum genau der Rundfunkrat seine scharfe Kritik ad acta gelegt hatte und malt mögliche Gründe aus (zu denen die hohe Maischberger-Präsenz des stellvertretenden Rundfunkrats-Mitglied Gerhart Baum gehört). Doch Genaueres war aus dem Gremium, das nominell die Öffentlichkeit vertritt nicht zu erfahren. Roether schließt:

"In Gremien, die so zusammengesetzt sind wie die Rundfunkräte, neutralisieren sich die unterschiedlichen Interessen stets so, dass eine grundsätzlich kritische Haltung gegenüber dem Objekt der Aufsicht nie lange Bestand hat. Und am Ende ist das Aufsichtsgremium, das als Tiger gesprungen ist, mal wieder als Bettvorleger gelandet. Den Sender freut das natürlich. Auf unsere Fragen zum Alternativkonzept und zur Vertragsverlängerung erhielten wir die stereotype Antwort aller Medienunternehmen, die das Wort Transparenz zwar stets vor sich hertragen, aber tief im Inneren wenig davon halten: ''Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns zu weiteren Details nicht öffentlich äußern.'"

Die Bundesregierungs-Honorare für Journalisten

Noch 'ne Transparenz-Forderung. Insgesamt bemerkenswert überschaubar (Altpapier) blieb die Medien-Berichterstattung über Bundesregierungs-Honorare von fast anderthalb Millionen, die von 2018 bis 2022 an Journalisten flossen. Zum Gesicht der wenigen Meldungen wurde Linda Zervakis, die wegen ihrer vom Bundespresseamt bezahlten Kanzler-Befragung auf der Republica sowieso gerade in den Schlagzeilen war. Das ist bequem für alle, weil Zervakis ja schon länger nicht mehr für die Öffentlich-Rechtlichen unterwegs ist, aber auch nicht für ambitionierte Pressetitel, sondern für einen in der politischen Berichterstattung eher wenig engagierten Privatsender.

"Außer Linda Zervakis haben 200 Medien-Kollegen Geld für Jobs bei Bundesbehörden bekommen, vor allem aus Rundfunkanstalten. Da gibt es einiges aufzuklären",

kommentierte kürzlich nochmals Jost Müller-Neuhof im "Tagesspiegel":

"Volle Transparenz ist wichtig dafür, als Grundlage der Diskussion. Und daher schuldet die Regierung auch Informationen dazu, wen sie alles für ihre Zwecke eingespannt hat. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf."

Wobei Müller-Neuhof dann gleich auf Twitter von Jens Weinreich, der die (über eine Kleine Anfrage der AfD im Bundestag zutage geförderten) Zahlen zuerst ausgewertet und geteilt hatte, Bescheid gestoßen bekam:

"Da fordert ein @Tagesspiegel-Kommentator 'volle Transparenz' und erklärt nicht 'transparent', wofür 5 Journalisten, die in der Liste als 'Tagesspiegel' gelabelt werden (Journalisten 12, 120, 121, 147, 179), Geld erhalten haben ..."

Was zumindest erklärt, warum insgesamt so wenig darüber berichtet wird: Die Bundesregierungen – vor allem ja die letzte Merkel-Groko – haben das Geld so geschickt verteilt, dass sich in der breiten Mitte der Medien eigentlich niemand beschweren kann oder will, weil er oder sie selbst oder nette Kollegen ebenfalls partizipierten. (Oder vielleicht in der Hoffnung, künftig zu partizipieren; die aktuelle Ampel-Regierung pflegt das Prinzip ja weiter ...). Selbst der alles andere als konfliktscheue Michael Hanfeld wollte da keine große Sache draus machen, obwohl seine "FAZ" in der Liste nur zweimal auftaucht:

"Ein gewisser öffentlich-rechtlicher Überhang ist in der dreißig Seiten langen Liste der Bundesregierung schon zu erkennen. Und Fernsehgesichter werden wahrlich nicht unterbezahlt. Zur Vorurteils- und Verschwörungsproduktion taugt das aber erst in dem Moment, in dem herumgeeiert wird wie im Fall von Linda Zervakis"

Wobei die Privatfernsehmoderatorin Zervakis wie gesagt ein für alle anderen bequemer Sündenbock ist. Mehr Transparenz oder wenigstens: künftig offener Umgang mit nebenberuflichen Zusatzeinnahmen von der Bundesregierung, also klare Regeln, unter welchen Umständen sie akzeptabel sind und unter welchen nicht, würden dem oft – oft zu Unrecht, klar – kritisierten Journalismus gut tun. Dem öffentlich-rechtlichen, der sich sehr viel mehr als privatwirtschaftlicher um Staatsferne sorgen muss, ganz besonders.

Weiterhin: Ist Verlinken ein Verbrechen?

Links zu setzen, auf Links zu klicken, macht das Internet aus. Links sind was Schönes, weil sie für Verbindungen stehen  (und nicht unbedingt, weil der Plural "Links" auf deutsch eine politische Richtung bezeichnet, die erheblich besseren Ruf genießt als die entgegengesetzte ... obwohl "Rechts" zumindest in Kopplungen wie "Rechtsstaat" ja auch viel wert ist). Andererseits, Links sind vermintes Gelände.

Schalten wir nach Freiburg zu Radio Dreyeckland. Der nichtkommerzielle und gewiss linke Radiosender wollte mit der hoch berechtigten Frage, ob Verlinken ein Verbrechen ist, "notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht" gehen, nachdem im Januar deswegen Redaktionsräume und Wohnungen worden waren (Altpapier). Am Freitag veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht, warum es diese Verfassungsbeschwerde nicht annahm. Radio Dreyeckland (Text und Audio) fühlt sich dennoch ermuntert:

"Die recht ausführliche Begründung dieser Nicht-Annahme der Verfassungsbeschwerde macht deutlich, dass das Gericht dem Fall allerdings doch eine grundsätzliche Bedeutung zumisst. Die allermeisten Verfassungsbeschwerden werden ohne jede Begründung nicht zur Entscheidung angenommen."

Weshalb das Radio nun gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte beim niederrangigen Landgericht Karlsruhe eine Beschwerde einreichte. Deren Abweisung würde dann eine Verfassungsbeschwerde ermöglichen, meldet mmm.verdi.de. Sowohl die Vorgeschichte aus dem Jahr 2017, als Thomas de Maizière noch Bundesinnenminister war, als auch das, was ganz aktuell empören muss, rollt netzpolitik.org nochmals auf:

"Darüber hinaus hatte die Staatsanwaltschaft nach Angaben von Radio Dreyeckland sogar den Webhoster des Senders kontaktiert. Demnach sollte der Hoster alle IP-Adressen herausgeben, die den Artikel mit dem brisanten Link aufgerufen hatten. 'Nach dem ersten Blick in die Akten wird klar, dass die Staatsanwaltschaft bei unserem Hoster sogar alle IP-Adressen erfragt hat, die in letzter Zeit auf rdl.de zugegriffen haben', schreibt Radio-Dreyeckland-Techniker Franz Heinzmann in einer Pressemitteilung ..."

Man hätte sich also gut überlegen müssen, ob man oben zu rdl.de hätte klicken sollen. Zu spät, falls es schon wer tat. Aber: Links zu klicken (und zu setzen) macht eben das Internet aus.


Altpapierkorb (Gary Lineker gewinnt gegen BBC, Reporter ohne Grenzen, Reichelt & "Spiegel")

+++ Die BBC ist doch (noch) nicht in den Abgrund gerudert, lässt sich die Frage, die dem Altpapier gestern als Titel diente, beantworten. Sie holt Gary Lineker nach nur einem Spieltag Pause zurück. Vgl. @GaryLineker auf Twitter oder, falls Sie lieber ins Deutsche übersetzt haben möchten: "Tagesspiegel". "Der BBC-Generaldirektor Tim Davie soll sich ... hinter verschlossenen Türen bei Lineker entschuldigt haben", schreibt Gina Thomas in der "FAZ". "...und am Ende gewinnt Gary Lineker", heißt Raphael Honigsteins "Spiegel"-Überschrift. Der "Guardian" sieht das erst recht so ("Mr Lineker ought to be congratulated for shaming the opposition into action. The public is waking up to the dangerous incompetence of the Tory government ..."). +++

+++ Die gestern hier erwähnte, virtuell "auf einer saftig grünen Insel" in "Minecraft" errichtete und nun erweiterte Reporter ohne Grenzen-Bibliothek für zensierte Medien hat sich Erica Zingher für die "taz" genauer angesehen. +++

+++ Muss sich in Zeiten wie diesen wer damit befassen, dass Julian Reichelt neulich im ICE entweder "keinen Lichtbildausweis vorzeigen wollte" oder aber über die diesbezügliche "Spiegel"-Berichterstattung beschwert? Falls ja, fasst kress.de zusammen. +++

Am Mittwoch schreibt René Martens das Altpapier.

 

Mehr vom Altpapier

Kontakt