Das Altpapier am 14. Juni 2018 Alles Käse

ARD und ZDF brauchen Veränderungen - nur welche dürfen es sein? Die Texte von tagesschau.de sind nicht das Problem deutscher Verlage. Hajo Seppelt bleibt zu Hause, bevor man ihn in Russland festsetzen kann. Sandra "MiMiMi" Maischberger hat auch eine Meinung zu Talkshows. Blogger versus Journalisten reloaded. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.

Vermutlich fiele dieser Text besser gelaunt aus, hätte die ARD nicht gestern Abend beschlossen, die acht Minuten, die ich nach der "Tagesschau" manchmal hängen bleibe, erst mit einem Heiratsantrags-Flashmob im Lehrerzimmer (ab Minute 6, I shit you not) und dann, nach Zappen zum BR, mit dem Redeschwall einer Bayerin über zu viel zu zahlende Rundfunkgebühren für ihre diversen, studierenden Kinder zu füllen, der kein Moderator Einhalt zu gebieten verstand, dafür aber ein weiterer Studiogast, der erklärte, er zahle auch doppelt, und zwar für Heim und Kuhstall.

Wäre ich die "Heute Show", genau so würde ich Debattensendungen mit Publikumsbeteiligung inszenieren. "Jetzt red I" meint und meinte das aber völlig ernst.

Wenn Thomas Bellut am Wochenende im Tagesspiegel schrieb:

"Wer also einen Wegfall von Sport und Unterhaltung im ZDF und in der ARD fordert, der muss eine Reduzierung der Reichweite von Informationssendungen einkalkulieren, am Ende die schrittweise Verspartung der großen Vollprogramme",

dann hat er zwei Sachen nicht verstanden: Lineares Fernsehen ist eh auf dem absteigenden Ast, und was zwischen den Informationssendungen präsentiert wird, ist zumindest bei Menschen mit Kenntnissen zur Funktionsweise einer Fernbedienung dem Audience Flow nicht zuträglich, sondern genau das Gegenteil.

Womit ich sagen will: Ich bin großer Fan des Konzeptes öffentlich-rechtlicher Rundfunk (und das nicht mal, weil oben in der Adresszeile mdr.de steht), aber es braucht dringend, dringend ein Update ins Jahr 2018. Wie praktisch, dass heute für 14 Uhr eine Pressekonferenz anberaumt ist, in der die seit gestern tagende Rundfunkkommission der Länder ihre Vorstellungen dazu formulieren will.

Was zu erwarten ist, ist in den vergangenen Tagen via Medienkorrespondenz und Horizont schon durchgesickert. Für ein breiteres Publikum fasst es Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda im Interview mit Christian Buß von Spiegel Online zusammen:

  • Zur Verfügbarkeit in den Mediatheken: "Da haben wir im Länderkreis eigentlich schon Konsens darüber, die Verweildauer zu verlängern und gleichzeitig darauf zu achten, dass private Streaming-Anbieter und Produzenten dadurch nicht an den Rand gedrückt werden."
  • Zur Frage, ob weiterhin erst der Rundfunkstaatsvertrag verändert werden muss, wenn eine Sendung einen Facebook-Kanal aufsetzen möchte (ich übertreibe): "Die Budgetierung muss der Sender selbst vornehmen - und an anderer Stelle dann eben wieder einsparen. Das sind die Freiheiten, die wir den Sendern mit unserem Plan geben wollen, frei nach der Clintonschen Haushaltslogik: 'Pay as you go!'"
  • Zur Höhe des Rundfunkbeitrags und dessen Berechnung: "Die Vorschläge gehen derzeit dahin, die letzte KEF-Bemessung von 17,20 Euro als Ausgangspunkt zu nehmen und dann jährlich um die Inflationsrate zu steigern."

Warum letzterer Aspekt gar keine gute Idee sei, erklärt der Vorsitzende der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), Heinz Fischer-Heidlberger, in einem Interview mit Claudia Tieschky für die SZ-Medienseite. Er habe zwar nichts gegen ein Indexmodell und Budgetierung.

"Entscheidend ist aber, dass der tatsächliche Aufwand Ausgangspunkt einer Indexierung ist, sonst ist auch nachher eine Überprüfung nicht mehr möglich. Das jetzt diskutierte Modell nimmt als Ausgangspunkt stattdessen die monatliche Beitragshöhe von 17,20 Euro. Das ist nicht nachvollziehbar und hat mit dem tatsächlichen Bedarf nichts zu tun."

Zudem sieht er "eine ganze Menge verfassungsrechtlicher Probleme", etwa weil nur der bisher vorgesehene Umweg zur Berechnung der Rundfunkgebühren über die KEF die Staatsferne der Sender garantiere.

Natürlich sollte man bei Änderungen im Finanzierungsmodell im Hinterkopf behalten, dass selbst in Deutschland eine Kommission so ridikülen Namens nicht ganz ohne Grund ins Leben gerufen wurde. Andererseits antwortet der Kutscher, wenn man ihn nach einer Zukunft der Fortbewegung ohne ihn fragt, auch immer mit "Undenkbar!"

Mal schauen, was die Länder aus dieser Gemengelage rausgeholt haben.

Die Presseähnlichkeits-Debatte geht, die Probleme bleiben

Schon jetzt steht fest, wer neben Malu Dreyer als Vorsitzender der Rundfunkkommission und den Intendanten der Sender bei der Pressekonferenz mit dabei sein wird: Der BDZV, u.a. vertreten durch Mathias Döpfner, wie Daniel Bouhs bei Twitter mit dem schönen Hashtag "Friedenspfeife" verbreitete. #Lobbyismusscheiße hätte allerdings auch schön gepasst.

Denn was im Interview mit Kultursenator Brosda unerwähnt bleibt, ist der Plan, die elende Presseähnlichkeitsdebatte zwischen Verlegern und Sendern beizulegen, indem Letztere sich auf ihren Websites vom geschriebenen Wort verabschieden.

Um an dieser Stelle kurz aus einer gemeinsamen Erklärung von über 20 Organisationen und Verbänden mit der munteren Mischung von BUND über Verdi bis zur Gewerkschaft der Polizei zu zitieren:

"Wir ermutigen die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten zu einer wirklich zukunftsgerechten Reform: Gesetzlich vorgeschriebene Löschfristen, das Kriterium der Presseähnlichkeit und der Sendungsbezug sowie die Beschränkungen bei den Archiven müssen gestrichen werden. Die angemessene Vergütung von Urheberinnen und Urhebern muss gewährleistet werden."

Verrückt, was Leute vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk fordern, die nicht selbst bei ihm oder seinen Konkurrenten um Nutzer-Zeit und -Geld beschäftigt sind, nicht?

Doch natürlich bestimmen nicht diese Gruppen oder gar der dahergelaufene Zuschauer, wie es in Zukunft läuft, sondern Organisationen mit mehr Einfluss - Auftritt BDZV und besagtes, angekündigtes Einknicken von ARD und ZDF vor ihm.

Das ist problematisch, weil sich damit das Vorurteil des ewigen Gekungels zwischen Politik, Medien und Unternehmen bestätigt, das zuletzt viele Leute ihre Wahlzettel ein Stück zu weit rechts in die Urnen werfen ließ. In seiner Kolumne bei Spiegel Online klamüsert Sascha Lobo das am Beispiel des ebenfalls aktuell zur Debatte stehenden Leistungsschutzrechts auf europäischer Ebene auseinander.

Mit ihrem Vorgehen gefährden die (nennen wir sie trotz allem einfach mal) Verleger die Demokratie, als deren Beschützter sie sich so gerne aufspielen. Dabei zahlt es sich nicht einmal für sie aus. Lobo:

"In fünf Jahren LSR betrug die Gesamtsumme des von Google an deutsche Verlage überwiesenen Geldes null Euro. (…) CEO Döpfner begründet dieses Debakel so: 'In Deutschland hat es auch deshalb nicht funktioniert, weil Deutschland als Land, als Markt schlicht zu klein ist.' Diese Begründung ist auf so bizarre Weise falsch, dass nicht einmal das Gegenteil richtig ist. Sie entspricht der Aussage, der Mond sei bloß deshalb nicht aus Käse, weil er zu weit von der Erde entfernt ist.

Trotzdem möchte Axel Springer dieses 'Erfolgsmodell' auf ganz Europa ausweiten und hat es geschafft, neben Merkel auch maßgebliche EU-Unionspolitiker auf die ausgedachte Parallelrealität einzuschwören."

Gleiches gelte auch für die Sache mit der Presseähnlichkeit, argumentiert Christian Jakubetz in seinem Blog:

"So wie die Durchsetzung des Leistungsschutzrechts ein sauteurer Flop war, mit exorbitanten Kosten und Einnahmen auf Mikro-Niveau, wird es auch bei dem jahrelangen Streit um vor allem die Tagesschau-App:  Die Verlage hatten Recht, Recht, Recht! Und keiner merkt es. Geschweige denn, dass wegen weniger Texten und dafür mehr Videos irgendjemand auf die Idee kommt, deshalb eine Zeitung zu abonnieren."

Erst wenn der letzte Text bei tagesschau.de verschwunden, Google News vom Netz gegangen und der Fortbestand von bild.de im Grundgesetz verankert ist, werdet ihr merken, dass euer aktuelles Geschäftsmodell echt scheiße ist.

Cashcow Spiegel+

Apropos:

Längst geht es nicht mehr nur darum, was gut klickt oder möglichst viel im Social Web geteilt wird. 'Welche Inhalte wollen wir heute verkaufen? Dieser Gedanke prägt jede Konferenz', erzählt Timo Lokoschat im Gespräch mit MEEDIA. 'Hier werden die Geschichten identifiziert, für die das Publikum bereit ist, Geld auszugeben. Egal, ob am Kiosk oder im Web.'

Lokoschat ist seit Anfang des Jahres Verantwortlicher Redakteur für das Bezahlangebot Bild Plus".

Ja, ich habe auch sehr gelacht über diesen unerwarteten Spin im Meedia-Text von Marvin Schade über Online-Bezahlmodelle deutscher Verlage. Die sich, kleiner Spoiler, entwickeln ("Schätzungsweise 320 Millionen Euro haben Publikumsmedien im vergangenen Jahr direkt vom Nutzer eingenommen – eine Steigerung um 88 Prozent im Vergleich zu vor fünf Jahren"), aber noch ausbaufähig sind.

Das zeigt auch das Beispiel Spiegel+, über dessen Erfolg immer noch artig via Medium-Post informiert wird:

"Stand 12. Juni freuen wir uns über knapp 7800 neue Abonnenten für SPIEGEL+. Hinzu kommen rund 5600 'Alt-Daily'-Abonnenten und 60.000 Kunden aus dem SPIEGEL-digital-Altbestand, die wir in das neue Angebot überführt haben."

Aber, aber:

"Alle neuen Kunden zahlen im ersten Monat nichts. (…) Die sogenannte Wandlungsquote, also die Anzahl derer, die nach dem Probemonat in ein reguläres Abo wechseln, liegt üblicherweise bei etwa 15 bis 20 Prozent."

Macht bei zuversichtlich gerechneten 20 Prozent verbleibenden Spiegel+-Neukunden und einem Preis von 11,99 Euro pro Monat Einkünfte von knapp 19.000 Euro (und alle so: yeah!).

Die verkaufte Auflage des gedruckten Heftes liegt laut IWV immer noch bei gut 700.000 - Betonung auf "noch".

Deutsche Verlage, wir haben ein Problem. Und es heißt nicht ARD und ZDF.

Stell Dir vor es ist Fußball-WM, und Hajo Seppelt fährt nicht hin

War da nicht noch irgendwas mit Fußball in der Welt? Ganz recht, heute startet in einem nicht sonderlich demokratisch organisierten Land die Großveranstaltung eines korrupten Verbandes, die vorsieht, dass junge Männer mit gut gefüllten Portemonnaies und fragwürdigen Tätowierungen einen Ball verfolgen. Da dem Thema überall sonst wahrlich nicht zu wenig Aufmerksamkeit zukommt, sei an dieser Stelle nur erwähnt: Hajo Seppelt, Vorname ARD-Dopingexperte, hat zwar doch noch ein Visum bekommen, wird aber nach Konsultationen mit seinem Auftraggeber sowie dem Auswärtigen Amt nicht nach Russland fahren.

"Angesichts der russischen Untersuchungen zu den Dopingvorwürfen befürchten die Sicherheitsbehörden ein 'unberechenbares Risiko' einer 'rechtlichen Eskalation' durch die Behörden im WM-Gastgeberland. Das bedeutet, dass Seppelt Gefahr läuft, festgesetzt zu werden, wenn das russische Komitee der Auffassung sei, dass er nicht kooperiere. Außerdem seien 'spontane Gewalttaten selbstmotivierter Akteure' nicht auszuschließen",

informiert bei tagesschau.de René Althammer.

Das letzte Wort vorm Korb hat Seppelt selbst (gleiche Quelle):

"Was sagt das über den Sportjournalismus aus, wenn es inzwischen schon so weit gekommen ist und was sagt es vor allem darüber aus, was Menschen passiert, die als Journalisten in Russland leben".

Man fragt sich.

Altpapierkorb (SZ/Antisemitismus, Blogger/Journalisten, AT&T/Time Warner)

+++ Zumindest der Deutsche Presserat hat kein Problem mit der als antisemitisch kritisierten Benjamin-Netanjahu-Darstellung von Dieter Hanitzsch (Altpapier). Die Karikatur aus der SZ sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. So melden es u.a. Meedia, DWDL und der Tagesspiegel.

+++ Falls Sie sich gefragt haben, ob die Talkshow-Kritik der vergangenen Tage gerechtfertigt ist: Natürlich nicht, meint zumindest Sandra Maischberger in einem Gastbeitrag in der Wochenzeitung Die Zeit: "Der Austausch von Argumenten wird als Streit um des Streits willen diskreditiert, in dem Worte zur Bedrohung werden. Wer aber aus Angst vor einem falschen Wort gleich die Debatte vermeiden will, überlässt erst recht denen die Bühne, die diese Angst nicht haben, sondern sie zu nutzen wissen. Wir sollten die Auseinandersetzung nicht scheuen, sondern mit ein wenig Gelassenheit sagen: Beruhigt euch. Streitet!" Die gesamte Selbstbeweihräucherung ist gegen Angabe der E-Mail-Adresse bei Zeit Online verfügbar.

+++ Keine guten Nachrichten für The Donald I: Ein Gericht hat den Kauf von Time Warner durch AT&T gegen den Widerstand der US-Regierung genehmigt. "Er (Trump, Anm. AP) hatte sich persönlich gegen den Deal und die Übernahme von Time Warner ausgesprochen, dessen Nachrichten-Flaggschiff CNN häufig kritisch über ihn berichtet", erklärt Der Standard aus Österreich. "A key argument against the government’s case was that the deal is a so-called vertical merger, which means that the two companies do not produce competing products: One makes media content, and the other distributes it. Some big takeovers lately have had similar profiles (…) and they typically make it past regulators", ergänzt die New York Times.

+++ Keine guten Nachrichten für The Donald II: Statt des Friedensnobelpreises erntet er Spot. Eine weitere, in Bewegtbild gegossene, sehenswerte Meinung zum Trump-Kim-Treff-Video des Weißen Hauses (Altpapier gestern) hat die New York Times.

+++ "In fast allen Fragen sind Blogger Journalisten viel ähnlicher als wir erwartet haben - als es wahrscheinlich Journalisten lieb sein darf", fasst Medienforscher Olaf Hoffjann eine Studie zusammen, die er für die Otto Brenner Stiftung überraschenderweise nicht 1996, sondern jetzt erstellt hat. @mediasres berichtet; die ganze Studie gibt es hier.

+++ Hat die Partei Die Linke den Journalisten Matthias Meisner wegen zu kritischer Berichterstattung aus dem Presseverteiler geworfen, und hat das Nachrichtenmagazin Der Spiegel darüber falsch berichtet? Das klärte das Berliner Landgericht. Für die taz war Daniel Bouhs vor Ort.

+++ Dem Antennen-Problem des UKW-Radios (zuletzt vorgestern im Korb) widmet sich auf der Medienseite der FAZ Axel Weidemann (€).

Neues Altpapier gibt es morgen wieder.