Google bietet schnelles Geld

Im September meldet der Zeitungsverlegerverband: Jede achte verkaufte Zeitung ist inzwischen ein E-Paper. Allein im zweiten Quartal sei die E-Paper-Auflage um ein Fünftel gestiegen. Die Entwicklung bei der Süddeutschen Zeitung ist für die paradoxe Situation der Branche exemplarisch. Anfang September meldet die Süddeutsche 150.000 Digitalabos, mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Zwei Wochen später wird bekannt: Die Zeitung wird Stellen abbauen. In der Welt ist von 40 die Rede, die taz berichtet von bis zu 50. Das alles gehöre zu einem "’Effizienzprogramm’, das der Verlag schon ein knappes Jahr zuvor angekündigt habe", so heißt es. Der Schritt ist Teil der digitalen Transformation, deren großes Problem ist: Der digitale Zweig wächst, doch er kann die Einbußen aus dem schrumpfenden Print-Geschäft nicht ausgleichen.

Es gibt nur wenige Häuser, denen das gelingt. Die New York Times ist eines davon. Im August meldet das Blatt, dass der Umsatz aus dem Digitalen inzwischen mehr als die Hälfte ausmacht. Anfang November meldet die New York Times sieben Millionen zahlende Abonnenten. Zum ersten Mal hat die Zeitung mehr Einnahmen mit Digital- als mit Print-Abos erzielt. Die meisten Zeitungen sind davon weit entfernt. Für sie könnte Google eine Rettung sein.

Anfang Oktober kündigt die Suchmaschine eine "Weltpremiere" an: Google Showcase, ein neues Angebot, das Ende des Jahres eingeführt werden soll, und das den Verlagen schnelles Geld verspricht. Die Suchmaschine will ausgewählte Inhalte, die eigentlich hinter einer Paywall stehen, kostenlos anbieten und dafür in drei Jahren eine Milliarde Dollar ausgeben. Zunächst in Brasilien und Deutschland. Google selbst spricht von einem "Schritt, um die Zukunft des Journalismus zu unterstützen". Doch aus Altruismus passiert das alles wohl nicht. Die Netzpolitik.org-Journalisten Alexander Fanta und Ingo Dachwitz untersuchen in einer Studie für die Otto-Brenner-Stiftung das Spannungsverhältnis der Verlage und Google. Dachwitz sagt im Gespräch mit dem NDR-Medienmagazin Zapp, es lasse sich nachweisen, dass das Engagement auch eine Folge des politischen Drucks sei. In einem Kommentar nennen er und Fanta es eine "strategische Meisterleistung".

Die Verlage brauchen dringend Geld. Google möchte die Politik besänftigten, denn es droht eine Regelung, die die Plattform dazu verpflichtet, für die Inhalte von Zeitungshäusern zu zahlen. In Australien werden diese Regeln nun kommen. Dort müssen Facebook und Google ihre Werbeinhalte bald mit den Medien teilen.

Verlage hoffen auf Digital-Förderung

Kurzer Rückblick im Rückblick: Das erfolglose und im Jahr 2019 aufgrund eines Verfahrensfehlers der Bundesregierung vorerst gescheiterte Leistungsschutzrecht ist im Verlauf des Jahres immer wieder Thema. Die Bundesregierung möchte es auch in Deutschland möglichst schnell in veränderter Form wieder einführen. Anfang des Jahres hat das Bundesjustizministerium einen Diskussionsentwurf vorgelegt. Im Februar einigt die Europäische Kommission sich auf ein neues Urheberrecht. Europaweit soll Google in Zukunft zahlen, wenn es Ausschnitte aus Artikeln zeigt.

Die Verlage und die Bundesregierung wollen die Suchmaschine zu Zahlungen zwingen. Im April wird ein Referentenentwurf der Bundesregierung öffentlich, in dem von nur noch acht Wörtern in Überschriften die Rede ist, die kostenlos angezeigt werden dürfen. Im Juni meldet unter anderem das Magazin Heise Online, dass den Verlagen acht Wörter nun doch zu viel seien. Sie fordern eine verschärfte Regelung. Immer neue Entwürfe des Gesetzes gelangen an die Öffentlichkeit. Im bislang aktuellsten aus dem November ist von bis zu tausend Zeichen und kurzen Bild- und Tonsequenzen die Rede, die gezeigt werden dürfen. Die Zeitungsverlage sind damit nicht zufrieden.

In Frankreich hebelt Google das Gesetz aus, indem es keine Vorschautexte mehr anzeigt. Das auf europäischer Ebene geplante Leistungsschutzrecht wäre damit praktisch wirkungslos. Das wäre es ohnehin, wenn es Google News nicht mehr gäbe. Das Unternehmen hat mehrfach gedroht, den Dienst lieber abzuschalten als zu zahlen. In Spanien hat es diese Drohung vor sechs Jahren bereits wahr gemacht.

Die Verlage hoffen unterdessen auf ein anderes Eisen, das noch im Feuer liegt: die 220-Millionen-Euro-Digital-Förderung. Nachdem es anfangs so ausgesehen hatte, als wäre die Bundesregierung doch umgeschwenkt und zu der Überzeugung gekommen, dass es wenig sinnvoll sei, ausschließlich Journalismus auf Papier zu fördern, sieht man nun: Im Grunde ist das weiterhin das Ergebnis. Ein wichtiges Förderkriterium ist die gedruckte Auflage. Die größten Häuser sollen am meisten bekommen.

Der Journalistik-Professor Christopher Buschow sagt Mitte November in einem Interview mit dem Standard, er habe den Eindruck, dass man hier die Zustellförderung als Innovationsförderung tarne. Man fördere die Medienhäuser mit hohen Auflagen, denen es wirtschaftlich vielleicht noch ganz gut gehe. Man belohne womöglich sogar jene, die noch nicht so viel in die Digitalisierung investiert hätten.

Eine andere Meinung vertritt der Pressevertriebsexperte Markus Schöberl. Wenn das Ziel weiterhin eine weitestgehend lückenlose Presselandschaft sei, könne man sich nicht auf neue digitale Unternehmen verlassen. "Es sind die Tageszeitungen, die den digitalen Journalismus in Deutschland voranbringen. Leider keine Startups", schreibt er.

"Wir befinden uns an einer Weggabelung"

Eine Reihe von digitalen Verlagen sehen das anders. Sie gründen Ende November einen Arbeitskreis, um sich dafür einzusetzen, dass die Bundesregierung nicht die Verbreitung von Journalismus auf Papier fördert, sondern einfach Journalismus. Auch das Forum Gemeinnütziger Journalismus, zu dem Medienprojekte wie Correctiv oder netzpolitik.org gehören, teilt die Sorge, dass digitale Medien durch die Förderung benachteiligt werden.

Anfang Dezember sagt Zeitungsverleger-Präsident Mathias Döpfner im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (€): "Wir befinden uns an einer Weggabelung." Noch vor wenigen Jahren sei er skeptisch gewesen, ob der Journalismus in einer digitalen Welt weiter "die gesellschaftliche Rolle und wirtschaftliche Rolle spielen kann, die er in einer gesunden Demokratie spielen muss". Dann habe sich zunächst alles positiv entwickelt. Die digitalen Abo-Modelle, die EU-Urheberrechtsreform. Aber nun stehe wieder alles auf dem Spiel. Die Art, in der das Bundesjustizministerium die Urheberrechtsrichtlinie umsetzen wolle, "würde das Gegenteil von dem bewirken, was in Brüssel beschlossen wurde", sagt Döpfner.

Bei all den schlechten Nachrichten gibt es aber auch einige wenige gute. Anfang November meldet die Zeitungsmarkt-Forschungsgesellschaft ZMG: "60 Millionen Deutsche lesen regelmäßig Zeitung." Im Vergleich zum Vorjahr hätten die Zeitungen mehr als drei Millionen Leserinnen und Leser gewonnen. Das ist ein dickes Plus. Zurück gehe es auf die stärkere Digitalnutzung. Eine wichtige Information dabei ist allerdings: Die Gesellschaft ZMG gehört den Zeitungen und arbeitet in ihrem Auftrag.

Nicht so gut sieht zum Jahresende wiederum die Entwicklung der Print-Auflagen aus. Wenn die Prognose des Statistik-Portals Statista stimmt, wird die Gesamtauflage der Tageszeitungen in Deutschland am Ende des Jahres im Vergleich zum Vorjahr wieder deutlich gesunken sein – diesmal um eine Million. Dass es auf dem Zeitungsmarkt in den nächsten Jahren nicht unbedingt besser werden wird, ist schon absehbar. Die Funke-Mediengruppe kündigte im September an, ihre Zeitungsdruckerei Ende 2021 zu schließen. Thüringen ist dann das erste Bundesland ohne eigene Zeitungsdruckerei.

Transparenzhinweis: Ralf Heimann arbeitet als Redaktionsleiter für das lokale Journalismusprojekt RUMS Münster, das Mitglied im November gegründeten Arbeitskreis der Digitalunternehmen ist.

1 Kommentar

ceeschow am 25.12.2020

40 Mio. € ist eine exorbitante Summe, die man statt den prosperierenden Zeitungen und Lokalzeitungen hätte den notleidenden ö.-r. Anstalten zur Verfügung stellen sollen. Mit dem läppischen Budget von gut 8 Milliarden € werden die ö.-r. Anstalten den (noch) nicht-staatlichen Presseorganen in den elektronischen Medien nie ordentlich Konkurrenz machen können.
Es ist ein Jammer, daß der Rundfunkbeitrag nicht um läppische 89 Cent erhöht werden konnte, und nun Tom Buhrow sich zu "einschneidenden" Maßnahmen gezwungen sieht, die hoffentlich nicht sein prekäres Gehalt betreffen.

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