Teasergrafik Altpapier vom 1. Januar 2020: Logo der Sendung Weltspiegel in der ARD
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Der Altpapier-Jahresrückblick am 1. Januar 2020 Die manchmal etwas zu bunte Welt der Auslandsmagazine

Der "Weltspiegel" hat 2019 die Solidarität zahlreicher prominenter Journalisten erfahren. Grund genug, einen Blick auf den Jahres-Output dieser TV-Institution zu werfen. Außerdem: Seitenblicke auf andere öffentlich-rechtliche Auslandsmagazine. Ein Jahresrückblick von René Martens.

Als im Oktober 1973 das "Auslandsjournal" des ZDF an den Start ging, war mit der Wahl des Sendeplatzes eine eindeutige Botschaft verbunden: Man platzierte das damals dreiviertelstündige Magazin am Freitag um 19.30 Uhr - und damit direkt vor dem Prime-Time-Krimi.

Von einer programmplanerischen Wertschätzung dieser Art können die heutigen Redakteure der öffentlich-rechtlichen Auslandsmagazine in der Regel nur träumen. Heute kommt das "Auslandsjournal" mittwochs um 22.15 Uhr - die 3sat-Variante "Auslandsjournal Extra" immerhin freitags um 21.30 Uhr, - das wöchentliche Magazin "Weltbilder" (NDR Fernsehen) läuft am sehr, sehr späten Abend, das "Europamagazin" im Ersten am Sonntagmittag (nach dem "Presseclub") und "heute - in Europa" werktäglich im Nachmittagsprogramm des ZDF.

Der außergewöhnliche Pro-"Weltspiegel"-Protest

Der "Weltspiegel" im Ersten Programm der ARD läuft immer noch ungefähr zu der Uhrzeit, als das "Auslandsjournal" vor fast einem halben Jahrhundert startete - um 19.20 Uhr, also dann, wenn jene Informationsinteressierten, die dem linearen Fernsehen prinzipiell noch zugeneigt sind, so langsam einzuschalten beginnen.

Dieser eingeführte Termin am frühen Sonntagabend stand 2019 allerdings auf der Kippe. Auf der Fernsehprogrammkonferenz am 3. und 4. September in Stuttgart beschlossen die Programmdirektorinnen und -direktoren der ARD zunächst, den "Weltspiegel" auf 18.30 Uhr vorzuverlegen. 8:1 ging diese Abstimmung aus, wie das Handelsblatt, das Erstberichterstattungsmedium in dieser Sache, seinerzeit schrieb (siehe auch Altpapier).

Doch dann geschah etwas Bemerkenswertes, um nicht zu sagen: etwas in der jüngeren Geschichte der Öffentlich-Rechtlichen Einmaliges. Nahezu sämtliche direkt Betroffenen (also Auslandsredakteure und Auslandskorrespondenten) und gar nicht direkt betroffene Promis aus anderen Sendungen (Frank Plasberg) bzw. anderen Sendern (Claus Kleber) sprachen sich in einem Appell (siehe unter anderem Medienkorrespondenz) an die Programmgewaltigen "gegen diese Marginalisierung" aus.

Mit Erfolg, wie bald darauf erneut die Medienkorrespondenz rekapitulierte:

"Die Erregung war entstanden, weil es in der ARD Überlegungen gab, dass die verlängerte Sonntags-'Sportschau' den attraktiven Sendeplatz vor der 20.00-Uhr-'Tagesschau' erhalten sollte und damit den 'Weltspiegel' verdrängt hätte. Das haben die massiven Proteste gegen diesen Plan nun verhindert. Hätte es diesen von weiteren prominenten Journalisten unterstützten Widerstand der ARD-Auslandskorrespondenten nicht gegeben, der wiederum auf große Resonanz in den Medien stieß, und die Programmdirektoren der ARD-Landesrundfunkanstalten und Volker Herres hätten hinter verschlossenen Türen entschieden, wäre die Sache wahrscheinlich anders ausgegangen."

Man kann ja nun wenigstens ein bisschen darauf hoffen, dass sich öffentlich-rechtliche Redakteure auch künftig öffentlich zu Wort melden, wenn Fernsehdirektorinnen und -direktoren mal wieder Schweinereien aushecken - auch dann, wenn sie nicht Institutionen wie den "Weltspiegel" betreffen.

Historisches: eine Übersicht über eingestellte Auslandsmagazine in den Dritten

Vergleichsweise gering fiel indes der Protest oder fielen zumindest die medialen Reaktionen auf etwaigen Protest aus, als in den 2000er und 2010er Jahren zahlreiche Landesrundfunkanstalten der ARD, darunter auch der MDR, die Auslandsmagazine in ihren Dritten Programmen einstellten. Die entsprechende Sendung des MDR Fernsehens hatte den putzigen Namen "Windrose", sie existierte von 1992 bis 2012. Des Weiteren wurden im genannten Zeitraum abgesetzt: "WDR weltweit" (gibt es seit 2018 nicht mehr)" Auslandsreporter" (SWR, existierte von 2002 bis 2010), "auswärts" (HR, eingestellt 2005) und "Kompass" (BR, 2010). In letzterem Programm gibt es seit 2009 aber ein anderes Auslandsmagazin: den 14-tägigen "Euroblick" (aktuelle Ausgabe), moderiert von der omnipräsenten Natalie Amiri, die ja auch noch gelegentlich den "Weltspiegel" moderiert und als Korrespondentin aus dem Iran berichtet.

Die genannten Streichungen kann man durchaus als Teil der mut- wenn nicht gar böswilligen Niveausenkungs-Strategie der Dritten Programme betrachten (deren Folgen gerade erst zweimal Thema im Altpapier waren, ausführlich hier und etwas kürzer hier).

Weil die besagten Auslandssendungen gestrichen wurden, habe er "weniger Fläche" zur Verfügung als manche seine Vorgänger, sagt Oliver Mayer-Rüth, Studioleiter der ARD in Istanbul.

"In einem 'Tagesschau'- oder 'Tagesthemen'-Beitrag kann man zwar innenpolitisch einiges erklären, aber der Platz für die längeren Stücke, für Komplexität - der ist für uns knapp",

ergänzt er. Zumal es Mayer-Rüth, wie er sagt, darauf ankommt, dass es in seinen Beiträgen "nicht immer um die aus deutscher Sicht schwer nachvollziehbare Politik des türkischen Staatspräsidenten geht", für die sich die Redakteure der aktuellen Sendungen verständlicherweise in erster Linie interessieren. Er wolle "die Vielfalt des Landes widerspiegeln".

Die Vielfalt der ARD-Auslandsberichterstattung wiederum wird etwas dadurch geschmälert, dass einige Beiträge in den noch existierenden Magazinen mehrfach verwertet werden. Nun ist es in vielerlei Hinsicht nachvollziehbar, dass man so etwas macht. Weil man Kosten sparen will. Oder gute Themen so oft wie möglich verbreitet wissen möchte. Indes: Dass die Mehrfachverwertung von Korrespondentenstücken der Profilierung einzelner Sendungen dient, ist weniger wahrscheinlich.

Spräche man einen ARD-Sendermanager auf die Streichungen in der jüngeren Vergangenheit an, konterte der sofort damit, dass durch eine Diversifizierung des Labels "Weltspiegel" im Laufe der Jahre neue Formate hinzugekommen seien. Als da wären: die "Weltspiegel-Reportage" am Samstagnachmittag (ein- bis dreimal im Monat), die in der Tonart manchmal, wenn auch nicht immer zu sehr auf ein Publikum ausgerichtet ist, das um 16.30 Uhr lineares Fernsehen schaut. Positive Ausnahmen waren 2019 in dieser Hinsicht: "Ruanda - Der lange Weg zur Versöhnung" (im Oktober ausgestrahlt) und "Im Wartesaal der Nordafrikaner" (Mitte November).

Hinzu kommen: für Facebook produzierte Kürzestbeiträge, zumindest sporadisch monothematische "Weltspiegel Extra"-Sendungen direkt nach den "Tagesthemen" (sechs dieser Viertelstünder gab’s 2019) sowie der Podcast "Weltspiegel Thema".

Der türkische Einmarsch in Nordsyrien

Seine Stärken bewies der "Weltspiegel" 2019 vor allem mit einem über mehrere Sendungen ausgeweiteten Berichterstattungs-Block zum türkischen Einmarsch in Nordsyrien.

Zunächst gab es am 6. Oktober einen Beitrag zu sehen, der beschreibt, dass sich der Einmarsch der türkischen Armee schon abzeichnet (den Hinweis auf diesen Film verdanke ich Fritz Wolf). Am 13. Oktober gab es dann einen Aktualitäts-betonten Schwerpunkt mit mehreren Beiträgen. In den weiteren Sendungen des Oktobers kamen Folgen des Einmarsches zur Sprache: am 20. Oktober etwa die Repressionen für türkische Journalisten, die kritisch über die Militärintervention berichten. Am 27. Oktober folgte ein Film, der beschrieb, wie syrische Kurden aufgrund der türkischen Militäroffensive in den Irak (!) flüchteten - in ein Land also, in das wahrscheinlich niemand flüchten will, was wiederum in der darauf folgenden "Weltspiegel"-Sendung deutlich wurde, als es in der Anmoderation eines weiteren Irak-Beitrags hieß, es seien im Land zuletzt "über 150 Demonstranten getötet" worden (am Ende jenes Monats waren es übrigens bereits knapp 400), und "weltweit eines der korruptesten Länder" sei der Irak außerdem.

Die erwähnte schwerpunktartige Sendung zu Türkei/Nordsyrien gefiel mir wesentlich besser als die vor Ort entstandenen monothematischen "Weltspiegel"-Ausgaben des Jahres, die ich gesehen habe - die Sendung aus Taiwan am zweiten Adventssonntag und das Lateinamerika-Special aus Havanna. In diesen Sendungen war der Land-und-Leute- bzw. ein im weiteren Sinne touristischer Aspekt etwas zu stark ausgeprägt. Der "Weltspiegel" aus Havanna etwa beginnt mit einem Beitrag über Mode in Kuba bzw. "eine Art Vogue für Kuba".

Zurück zum Thema Türkei/Nordsyrien: Ich habe den oben bereits zitierten Oliver Mayer-Rüth auch gefragt, ob 2019 aufgrund des Einmarschs der Türkei im Nachbarland - und des damit verbundenen erhöhten Berichterstattungsaufwands - ein besonderes Jahr für einen in Istanbul ansässigen Korrespondenten war. Er sagt:

"Es gab auch 2018 einen Einmarsch, damals in Afrin, aber dieses Mal war es für uns wesentlich intensiver, weil wir das Geschehen auf der türkischen Seite der Grenze mitverfolgen konnten. Aus dem von der Kurdenmiliz kontrollierten Gebiet wurde zurückgeschossen, rechts und links von uns sind Granaten eingeschlagen."

Das hätten sein Team und er "in dem Ausmaß nicht erwartet". Mayer-Rüth sagt aber auch:

"Ich will mich nicht beschweren. Wir können jederzeit wegfahren, aber die Menschen, die aus diesen Orten fliehen, lassen Haus und Hof zurück. Gerade in Berichten über solche Konflikte sollte es nicht so sehr um uns gehen, sondern um die Zivilisten."

Das bezieht sich auf Berichterstatterinnen und Berichterstatter, die dazu neigen, Schwierigkeiten, denen sie sich ausgesetzt sehen, in ihren Beiträgen on air zu thematisieren.

Klimakrise, Stadtzerstörung, Tschernobyl

Grundsätzlich gelungen sind Auslandsmagazinbeiträge, wenn sie es schaffen, über das Erzählen eher persönlicher, alltäglicher Geschichten einen Zugriff auf die mehr oder weniger große Politik zu bekommen. Das gilt für diesen "Weltspiegel"-Beitrag über die bolivianischen Chipayas - das älteste Volk Lateinamerikas - und deren Leiden unter der Klimakrise. Und es gilt für diesen, ebenfalls im "Weltspiegel" zu sehenden Bericht über die staatlich verordnete Zerstörung einer kulturhistorisch bedeutsamen türkischen Stadt.

Ebenfalls eine Qualität: den Blick der Zuschauenden auf Themen zu lenken, die diese längst aus den Augen verloren haben. Das bewiesen 2019 die Auslandsmagazine beider öffentlich-rechtlicher Hauptprogramme mit zwei Filmen, die sich damit befassen, inwiefern die Katastrophe von Tschernobyl noch gegenwärtig ist - wohlgemerkt ohne den Anlass eines runden Jahrestages. Das ZDF war unter dem Titel "Reise in die Todeszone" unterwegs mit einer Gruppe von Touristen, die für die Teilnahme an diesem tendenziell riskanten Ausflug in diese "Todeszone" 100 Euro zahlen (siehe den zweiten Beitrag in diesem "Auslandsjournal"), und der "Weltspiegel" befasste sich mit den heutigen Folgen der Reaktor-Katastrophe in Weißrussland.

Ferkel und behinderte Hunde

Eine Gefahr besteht bei den Auslandsmagazinen allerdings darin, dass bunte Themen zu viel Gewicht bekommen, oder zu wenig leichte und bunte Stoffe gefunden werden, mit denen sich Relevantes erzählen lässt. So gab es 2019 Ferkel zu sehen, die man in einem Café in Tokio streicheln kann ("Weltspiegel"), und behinderte Hunde in der Türkei, denen ein warmherziger Prothesenmacher zumindest ein bisschen Glück beschert ("Europamagazin"). Zu sehen war dieser Beitrag in der letzten Ausgabe von 2019, deren Motto ein kleines bisschen nach konstruktivem Journalismus klang - auch wenn der Begriff in der Auftaktmoderation ("Sonst berichten wir ja häufig über Streit und über Probleme in Europa, aber in dieser Sendung zeigen wir Ihnen nur Menschen und Orte mit Ideen, mit Lösungen und mit Versuchen, nicht rumzujammern, sondern anzupacken") nicht fällt.

Diese Art der Kritik an zu viel vermischten Themen ist indes keineswegs neu:

"Menschen, Tiere, Sensationen: Die klassischen TV-Auslandsmagazine setzen immer deutlicher auf leicht konsumierbare Kost. KorrespondentInnen nörgeln, die Politik kommt oft zu kurz."

Das schrieb die taz unter der Überschrift "Her mit den einäugigen Löwen" bereits 2003!

Das "Europamagazin" hat 2019 übrigens seinen 30. Geburtstag gefeiert - hier ist die Jubiläumssendung vom Oktober zu finden -, und auch das ZDF hatte ein rundes Jubiläum zu begehen: "heute - in Europa" wurde 20 Jahre alt.

In einem PR-Interview, das das ZDF anlässlich des Jubiläums im April mit "heute - in Europa"-Redaktionsleiterin Sabine Räpple führte, sagte diese:

"(Es) hieß stets: Mit Europa kann man keine Quote machen - naja, mit einem Marktanteil von 22 Prozent und circa 2,5 Millionen Zuschauern ist das Gegenteil bewiesen."

Dennoch war die Aufmerksamkeit für den runden Geburtstag - das gilt auch für das "Europa-Magazin" - nach meiner Wahrnehmung recht gering. Dabei ist die ZDF-Sendung, erst einmal wertfrei formuliert, einmalig. Ein aktuelles werktägliches Europamagazin gibt’s im deutschen Fernsehen sonst nämlich nicht.

Was allemal noch fehlt im hiesigen Programmangebot: ein europapolitisches Sonntagabendmagazin, nach dem ungefähren Vorbild von "Bericht aus Bonn" oder "Berlin direkt". Peter Unfried hat in einem Artikel für taz.futurzwei (später republiziert in der taz, siehe auch Altpapier) darauf hingewiesen:

"Eine Sonntagabendsendung 'Bericht aus Brüssel' wäre das Mindeste, um öffentlich-rechtlicher Informationspflicht zu genügen."

"Bericht aus Brüssel" ist allerdings schon besetzt. So lautet nämlich der Untertitel des "Europa-Magazins".

Der Altpapier-Jahresrückblick 2019