12. Oktober | Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?
In meiner Kindheit hatte ich eigentlich keine großen Ängste, jedenfalls kann ich mich nicht an wirklich dramatische Situationen erinnern. Auch die Schulzeit verlief überwiegend angstfrei für mich, mit einer markanten Ausnahme jedoch und die war einem Mathelehrer zu verdanken, welcher meine Abiturzeit in einen unschönen Lebensabschnitt verwandelte. Herr B. war Mathelehrer und Parteisekretär der Schule, ich schrieb Gedichte im Zirkel schreibender Schüler und war Mitglied in der jungen Gemeinde. In einem Film heißt so etwas dramatischer Plot, nur leider war das ganze kein Film, sondern echter sozialistischer Realismus. Herr B. war ein Stalinist mit Tafelschwamm und rotem Kugelschreiber, mein Abitur schaffte ich dennoch. Allerdings wachte ich noch fünfzehn Jahre später nachts auf, voller Angst gerade durch die Matheprüfung gefallen zu sein. So etwas nennt man irrational. Und der Hinweis, dass man vor Mathelehrern grundsätzlich keine Angst zu haben brauche, hilft in solchen Fällen nicht.
Was also soll man antworten, wenn viele Menschen nun sagen, sie hätten Angst wegen der vielen Flüchtlinge. Der Verweis darauf, dass diese Ängste überwiegend irrational seien, hilft ja nicht unbedingt weiter. Und, wie muss ich mir diese Angst eigentlich vorstellen? Äußert sie sich in Alpträumen, lässt sie Menschen nicht einschlafen, sitzt sie morgens am Frühstückstisch? Möglicherweise ist ja auch der Begriff Angst ein zu starker, es wäre wohl angemessener von Sorge zu sprechen.
In den Instrumentenkasten eines jeden, der in der Politik tätig ist, gehört die Aussage, die Sorgen der Menschen ernst nehmen zu wollen. Greift also Horst Seehofer in den richtigen Instrumentenkasten und nimmt die Sorgen der Menschen ernst, wenn er Widerstand gegen die Flüchtlingspolitik ankündigt? Oberflächlich gesehen ja. Allerdings fehlt Seehofers Attacke in Richtung Berlin jeglicher Bezug zur Realität. Seehofer kann die Flüchtlinge allerhöchstens bitten, einen Umweg um das schöne Bayernland zu machen.
Dass Zäune nicht helfen, weder in Ungarn noch anderswo, sollte eigentlich jedem inzwischen klar sein. Was aber trotz dieses Befundes gut funktioniert, ist eine Politik der Angst. Sie nimmt nicht die Sorgen der Menschen ernst, sondern nutzt sie für eigene Zwecke. Wer die Sorgen der Menschen ernst nimmt, darf keine einfachen Lösungen versprechen, denn die gibt es nicht. Das allerdings ist tatsächlich eine Zumutung für uns Wähler, die wir uns doch daran gewöhnt hatten, dass trotz aller Kritik die von uns Gewählten es schon irgendwie richten werden. Stattdessen müssen wir uns nun selbst auf eine veränderte Situation einstellen.
Lange Zeit war ich übrigens überzeugt, dass Zahlen in meinem Leben eigentlich keine große Bedeutung haben. Mit meiner ersten Steuererklärung war ich jedoch gezwungen, diese Ansicht klar zu revidieren.
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