Ein Mann mit Jeans und Cappy sitzt in einem alten Holzgerüst.
Der Dokfilm "Generation Crash" in der ARD Mediathek lässt Menschen von ihrem Aufwachsen nach dem Ende der DDR erzählen. Bildrechte: MDR/Schulz & Wendelmann

In der ARD Mediathek Packende Doku über eine Jugend in der Nachwendezeit: "Generation Crash"

27. Juli 2023, 04:00 Uhr

Die Nachwendezeit war in Ostdeutschland geprägt von Umbrüchen und Unsicherheit, Angst und Anarchie, Arbeitslosigkeit und Abwanderung. In der Dokumentation "Generation Crash" erzählen Menschen, die nach dem Zusammenbruch der DDR aufgewachsen sind, wie diese Erfahrungen sie bis heute prägen. Und obwohl die Doku den Osten nicht erklären will, versteht man ihn danach besser. Der Film ist in der ARD-Mediathek zu sehen.

Über die Wendezeit gibt es viele Bücher, Filme und Berichte. Doch was geschah im Osten, als die DDR nach der Deutschen Einheit 1990 nicht mehr existierte? Die zweiteilige Dokumentation "Generation Crash" erzählt von Jugendlichen, die in den 90er- und 2000er-Jahren in Ostdeutschland aufwuchsen.

Packendes Porträt der Nachwendegeneration

Die Doku gibt einen guten Einblick in eine Zeit voller Umbrüche, Arbeitslosigkeit, Abwanderung, Anarchie und Angst, die bislang selten aus der Sicht von Menschen beleuchtet wurde, die damals aufgewachsen sind. Und sie zeigt dabei deutlich, dass der Titel "Generation Crash" weitaus passender ist als die Bezeichnung "Nachwendekinder". Zudem wählt der Dokfilm von Nils Werner einen ganz eigenen Ansatz, um den Osten zu erklären: indem er nämlich wenig erklärt, sondern vielmehr persönlichen Beobachtungen, Erinnerungen und Biografien Raum gibt.

Die Protagonisten wurden in der DDR geboren, haben sie aber nicht mehr erlebt

Die Protagonist*innen wurden zwar alle noch in der DDR geboren, sind aber zu jung, um sie wirklich bewusst erlebt zu haben. Dennoch hat das Ende dieses Staats ihr Leben und ihre jetzige Arbeit stark geprägt, wie ihre unterschiedlichen Biografien zeigen: Hendrik Bolz, Teil des Rap-Duos Zugezogen Maskulin, hat das Buch "Nullerjahre – Jugend in blühenden Landschaften" geschrieben.

Die Politologin Anna Stiede entwickelte mit ihrem Theaterkollektiv "Panzerkreuzer Rotkäppchen" Performances, die sich unter dem Titel "Treuhandtechno" mit der "Ost-Abwicklung" durch die Treuhand auseinandersetzen. Und Tucké Royale verarbeitet seine Erfahrungen als queerer Junge in Quedlinburg in Filmen. Über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sprechen Katharina Warda, Soziologin und Autorin des Projektes "Dunkeldeutschland", und der Rapper Andy Zirnstein alias "Der Asiate", der als Sohn eines Vietnamesen und einer Deutschen in Großröhrsdorf bei Bautzen aufwuchs.

Erfahrungen aus den Baseballschlägerjahren

Ihre persönlichen Geschichten sind berührend. Viele haben in der Nachwendezeit Gewalt erlebt, mussten vor Neonazis flüchten und leiden heute noch unter den traumatischen Erinnerungen. "Mein Grundgefühl war eigentlich Angst und Ohnmacht", sagt Bolz. "Es gab keine Regeln. Wir mussten immer über die Grenzen hinausgehen“, fügt sein Freund Marco Lotzow hinzu. "Ich hatte schon sehr viele Probleme mit Rechten", erinnert sich Zirnstein.

Eine Frau steht mit verschränkten Armen vor einer Wand, auf die Bilder projiziert werden.
In dem Projekt "Dunkeldeutschland" untersucht die Soziologin Katharina Warda, was in der Nachwendezeit an den sozialen Rändern passierte. Bildrechte: MDR/Schulz & Wendelmann

Die Erwachsenen waren derweil oft überfordert und damit beschäftigt, selbst irgendwie klarzukommen. "Mit uns hat nie jemand über dieses Land gesprochen und darüber, warum alles um uns herum so grau und trist war", erinnert sich Anna Stiede. "Es war ein erstickendes Klima. Die Gewalt hat überhaupt keine Rolle gespielt, als würde es das nicht geben", sagt auch Katharina Warda über ihre Zeit am Gymnasium.

Dass diese ehemaligen Jugendlichen ehrlich und offen erzählen, manchmal sogar unter Tränen, macht deutlich, welche Spuren diese Zeit bis heute hinterlassen hat und lässt die Zuschauer*innen vieles nachempfinden und verstehen.

Menschen aus der Dokumentation "Generation Crash". 1 min
Bildrechte: MDR/Schulz & Wendelmann
1 min

Für MDR KULTUR-App

Do 13.07.2023 17:28Uhr 00:41 min

https://www.mdr.de/kultur/videos-und-audios/video-737802.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Gelungene Doku aus Interviews, Archiv-Aufnahmen und Musik

Neben den Interviews vermittelt die Doku ein stimmungsreiches Bild, in dem sie Ausschnitte aus TV-Reportagen aus den 90er-Jahren über Polizeieinsätze, Plattenbauten und Partys im Jugendclub einblendet, die das Erzählte untermalen. Songs von Feeling B und Schleimkeim oder Trettmanns "Grauer Beton" bilden zusätzlich den passenden Soundtrack. Dafür verzichtet Filmemacher Nils Werner auf einordnende Kommentare, die auch gar nicht nötig sind.

Ein hoher Raum voller unterschiedlicher Sessel, Stühle und Tischchen. Helles Licht fällt durch die Fenster. Eine Frau sitzt in einem Sessel.
In der Doku werden die aktuellen Interviews auch Archivmaterial aus den 90ern gegenübergestellt. Bildrechte: MDR/Schulz & Wendelmann

Wichtige Rolle von Subkultur in Ostdeutschland

Ein interessanter Aspekt bei fast allen der Interviewten ist, wie wichtig Subkultur für sie war. "Punkrock hat mich gerettet", sagt beispielsweise Katharina Warda. Anna Stiede ging zu Technopartys in alte Fabrikhallen.

Andere haben selbst Rap-Musik gemacht. Hendrik Bolz erzählt, wie er sich von Rappern wie Bushido und Sido verstanden fühlte, weil sie auch über ihr Leben im Plattenbaugebiet rappten. Inzwischen hat er selbst Songs über seine Jugend geschrieben: "Die Luft riecht hier nach Meer und Moor, manchmal auch nach Fichten/ Aber in uns ist ein Gift, das alles zwischen uns vernichtet/ Ich bin lange weg, fast eine halbe Ewigkeit/ Doch das Gift in mir glimmt weiter, es geht nie wieder vorbei!", heißt es im Song "Uwe + Heiko" von Zugezogen Maskulin. Denn die "Generation Crash" hat nichts vergessen. Im Gegenteil, sie fängt gerade an, vieles aufzuarbeiten.      

Weitere Informationen "Generation Crash – Wir Ost-Millennials"

Von Nils Werner
Zweiteilige Dokumentation mit je 45 Minuten

Bis 4. Juli 2024 abrufbar in der ARD-Mediathek

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 04. Juli 2023 | 19:00 Uhr