Porträt einer Frau mit langen Haaren und schwarzem Rollkragenpullover.
Bildrechte: Ann-Kathrin Canjé

Interview "Tripperburgen" in der DDR: "Frauen wurden psychisch und physisch misshandelt"

28. Mai 2024, 04:00 Uhr

Dass in der DDR tausende Frauen und Mädchen systematisch in Kliniken zwangseingewiesen wurden, ist noch immer weitgehend unbekannt. Daran will Journalistin Charlotte Witt etwas ändern: Sie hat sich intensiv mit dem dunklen DDR-Kapitel beschäftigt und ist Host des Podcasts "Diagnose: Unangepasst – der Albtraum Tripperburg", den es in der ARD Audiothek zu hören gibt. Im Interview erzählt Witt, was die Betroffenen erlebt haben, wie sie heute noch kämpfen und warum die Aufarbeitung so wichtig ist.

MDR KULTUR: Du bist Host des Podcasts "Diagnose unangepasst – der Albtraum Tripperburg". Was ist dein persönlicher Bezug zu dem Thema?

Charlotte Witt: Ich bin darauf gestoßen, weil ich selbst einen Beitrag über den Roman "Herumtreiberinnen" von Bettina Wilpert gemacht habe. Dadurch bin ich überhaupt erst auf diese Venerologische Station in Leipzig gekommen. Als ich dann diesen Beitrag zu diesem Buch gemacht habe, habe ich mich das erste Mal mit dem Thema auseinandergesetzt und festgestellt, dass gefühlt niemand davon weiß, was ich irgendwie total krass fand.

Da wurden Frauen für Sachen eingesperrt, die heute für mich völlig normal sind.

Charlotte Witt, Journalistin

Ich fand es total erschreckend zu sehen, wie viele Frauen davon betroffen waren und wie viele Frauen eingesperrt worden sind – nicht nur Leipzig, sondern in sehr vielen Städten in der DDR. Das hat mich sehr wütend gemacht und erschreckt. Da wurden Frauen für Sachen eingesperrt, die heute für mich völlig normal sind. Was wäre, wenn ich damals gelebt hätte? Wäre ich da vielleicht auch gelandet?

Ich finde, es geht nicht, dass so ein riesiges Unrecht an so vielen Frauen passiert ist und niemand darüber weiß. Deswegen wollte ich dazu mehr machen, recherchieren und nachlesen. Und so kam alles ins Rollen.

Im Podcast lernen wir Frauen kennen, die in Halle und Leipzig inhaftiert waren. Überschneiden sich ihre Erfahrungen oder waren diese ortsabhängig?

Man erkennt auf jeden Fall eine Systematik. Es gibt diese täglichen gynäkologischen Zwangsuntersuchungen. Die waren eigentlich in allen Stationen gleich. Aber dann gibt es schon auch lokale Unterschiede; zum Beispiel wurden in der Station in Berlin noch zusätzlich Kosmetiktests an den Frauen durchgeführt. Dann gibt es Stationen, da mussten die Frauen auch noch arbeiten. In Leipzig war es zum Beispiel so, dass die Frauen ab den 80er-Jahren Arbeiten verrichten mussten, davor nicht. In Dresden mussten sie auch putzen.

Es gab es auch Strafen und Isolierräume in diesen Stationen, wenn man sich gegen die Regeln verhalten hat. Es war auf jeden Fall systematisch: Man hat überall ähnliche Tagesabläufe und Regeln in den Hausordnungen. Aber es gibt es - je nachdem, wer der Chefarzt der Station war - auch noch Unterschiede. Es war bekannt, dass vor allem Halle sehr brutal war.

Welche Folgen hat die Zeit in den sogenannten Tripperburgen für die Frauen bis heute?

Das ist natürlich individuell. Aber man kann schon sagen, dass sie traumatisiert sind. Die Frauen wurden da drin ja psychisch und physisch misshandelt. Das Tolle ist aber, dass wir im Podcast Frauen kennenlernen, die es irgendwie geschafft haben, sich da auch wieder rauszukämpfen, weiterzuleben und mit ihren Erfahrungen umzugehen, die genauso zu ihrem Leben gehören wie alle anderen Sachen auch – das gehört zu ihrer Person.

Die Frauen sind sehr viel mehr als nur diese Geschichte einer Tripperburg.

Charlotte Witt, Journalistin

Die Frauen sind aber sehr viel mehr als nur diese Geschichte einer Tripperburg. Es ist sehr spannend, wie deren Leben weitergehen, wie es davor war und was diese Erfahrungen mit ihnen gemacht haben – und wie sie damit heute umgehen.

Eine ältere Frau lächelt in die Kamera. Sie hat kurze blonde Haare, trägt eine Brille und steht vor einer Backstein-Wand.
Im Podcast "Diagnose: Unangepasst" erzählt unter anderem Bettina von den Erfahrungen, die sie als 17-Jährige in der "Tripperburg" in Halle gemacht hat. Bildrechte: MDR/Charlotte Witt

Hattet ihr einen feministischen Anspruch bei der Arbeit am Podcast?

Ja, klar. Wir wollen nicht nur Opfergeschichten erzählen. Natürlich muss man erzählen, was den Frauen alles passiert ist. Das tun wir auch. Aber wir gucken uns auch an: Was war der davor im Leben? Wie ging es dann weiter? Und wie haben die Frauen weitergemacht und sich da wieder rausgekämpft?

Es geht im Podcast viel um Empowerment und um einen positiven Blick, auch in die Zukunft. Was muss noch passieren? Und müssen wir vielleicht mit einem anderen Blick in die Aufarbeitung gucken, damit so ein Unrecht an Frauen nicht mehr passieren kann? Oder dass uns zumindest bewusst ist, was für Strukturen dahinter stehen.

Das Interview für MDR KULTUR führte Valentina Prljic.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 07. Mai 2024 | 17:45 Uhr

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