exactly: Dubiose Arbeitsvermittler 21 min
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Gastronomie Arbeitsmarkt: Wie dubiose Vermittler den Fachkräftemangel ausnutzen

08. Oktober 2023, 05:00 Uhr

Einerseits fehlen in Deutschland über 500.000 Fachkräfte. Andererseits gibt es im Ausland viele Menschen, die gerne in Deutschland arbeiten möchten. Es könnte so einfach sein. Aber Arbeitgeber und Arbeitnehmer lassen sich mitunter von falschen Versprechen locken – und das kann am Ende teuer werden.

Früher hatte Jürg Gloor sechs Angestellte. Heute muss er sein Bio-Familienhotel in Mecklenburg-Vorpommern allein mit seiner Frau betreiben. Während er rote, blaue und grüne Holzschienen in der Spielecke wegräumt, erklärt der Unternehmer, dass für ihn Fairness und guter Umgang mit Mitarbeitenden hohe Priorität hätten. Nach dem Lockdown gab es im Mai 2021 endlich wieder Hoffnung auf Touristen. Doch Gloor findet kaum noch Helfer – wie so viele in der Gastronomie.

"Wir haben Anzeigen geschaltet, Arbeitsamt et cetera. Es haben sich keine Deutschen gefunden, die hier arbeiten wollen", sagt Gloor. Per Internetrecherche sei er zufällig auf "Euro-Kontrakt" gestoßen. Es schien für den Hotelbetreiber eine ordentliche Firma zu sein, nachdem er diese gecheckt hatte.

"Euro-Kontrakt" ist ein polnischer Personaldienstleister, der Arbeitssuchende aus Osteuropa nach Deutschland, Österreich und Skandinavien vermittelt. Die Firma und Gloor wurden sich schnell einig. Das Unternehmen schickte eine Frau aus der Ukraine als Arbeitskraft ins Hotel. Das war noch vor Kriegsbeginn und die Ukraine galt für den deutschen Arbeitsmarkt als "normaler Drittstaat".

Vermittelte Arbeitskraft konnte Anforderungen nicht erfüllen

"Wir brauchten jemanden, der das Frühstück frisch zubereitet: Brötchen backen, schöne Platten herrichten, das Ganze hinstellen", erklärt Gloor. Das sei auch das an Euro-Kontrakt gestellte Anforderungsprofil gewesen. "Die haben versprochen: Wir liefern ihnen jemanden, der das macht. Das war aber genau gar nicht so!"

Ein Mann sitzt eim Speiseraum eines Hotels
Jürg Gloor hat den Lohn nach Polen überwiesen. Doch die vermittelte Arbeitskraft hat das Geld nicht erhalten. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Gloor versucht, die ukrainische Aushilfe anzulernen und sie irgendwie im Hotelbetrieb einzusetzen. Außerdem überweist er ihren Lohn – 21 Euro pro Arbeitsstunde – nach Polen an Euro-Kontrakt. Das war vertraglich so vereinbart. Die Aushilfe sollte direkt von ihrem Arbeitsvermittler bezahlt werden. Doch von dem bekam sie, laut eigener Aussage, kein Geld.

Gloor hakte bei Euro-Kontrakt nach und die Firma habe ihm daraufhin geantwortet: "Wir müssen das Geld an Euro-Kontakt bezahlen und alles andere geht uns gefälligst nichts an!", berichtet Gloor. Die schroffe Auskunft von Euro-Kontrakt überrascht ihn. Allerdings ist es branchenüblich, dass der Vermittler die Arbeitnehmer bezahlt.

Ukrainerin erhielt Lohn über Jahre nicht

Die betroffene Ukrainerin wohnt inzwischen mit ihrem Mann und sechs Kindern in Bad Sülze ein paar Kilometer südlich von Stralsund. Bis heute hat Nataliia S. keinen Lohn durch Euro-Kontrakt erhalten – es ist zwei Jahre her, dass sie im Hotel von Gloor gearbeitet hat. Das Geld hätte sie damals dringend gebraucht, um ihre Familie zu unterstützen, die zu dem Zeitpunkt noch in der Ukraine lebte.

Ich war so wütend, dass ich nicht bezahlt wurde. Ich hatte Kinder zu Hause, die kein Geld hatten.

Nataliia Arbeitnehmerin
Eine Frau steht in einem Park
Nataliia sagt, dass sie bis heite kein Geld von der Vermittlungsfirma erhalten hat. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Um ehrlich zu sein, ich habe den Menschen vertraut", sagt Nataliia S. Bei ihrem ersten Job über Euro-Kontrakt habe es keine Probleme gegeben, erst in dem Familienhotel. "Ich war so wütend, dass ich nicht bezahlt wurde. Ich hatte Kinder zu Hause, die kein Geld hatten. Und ich musste mir doch irgendwann eine Fahrkarte nach Hause kaufen…"

Als der Lohn ausblieb, wandte sich Nataliia S. selbst an Euro-Kontrakt – ohne Erfolg. Aber sie fand heraus, dass sie kein Einzelfall ist. "Ich bekam einen Anruf von einem Bekannten aus Polen und er sagte, dass die Leute vor Euro-Kontrakt stehen und ihren Lohn fordern." Sie habe insgesamt 40 Menschen gefunden, die auch kein Geld bekommen hatten. "Sie haben normalerweise gezahlt, aber in den letzten Monaten haben sie aufgehört."

Das ist so was wie Sklavenhandel. Und haben uns auch geschworen, das machen wir nie wieder.

Jürg Gloor Hotelbetreiber

Ihr damaliger Chef Gloor rief mehrfach bei der Firma in Polen an. Er meldete die mangelnde Eignung von Nataliia S. Er beschwerte sich aber auch, dass sie immer noch keinen Lohn bekommen hat. Kurz darauf wird sie von Euro-Kontrakt Leuten mit einem Kleinbus abgeholt. "Wir hatten da ein extrem schlechtes Gefühl, nachdem wir durchgeblickt haben, wie das läuft", so Gloor. "Das ist so was wie Sklavenhandel. Und haben uns auch geschworen, das machen wir nie wieder."

MDR Investigativ wendet sich an Euro-Kontrakt. Der Personalvermittler sitzt im polnischen Debno, kurz hinter der Grenze zu Deutschland. Eine Antwort auf die Frage, warum Arbeitskräfte in einigen Fällen nicht bezahlt wurden, gibt es nicht.

Hotelbetreiber muss nun eventuell doppelt zahlen

Nataliia S. wendete sich an eine Rechtsanwältin in Rostock, die viele solcher Fälle kennt. Laura Klaffus versucht, einigen der um ihren Lohn geprellten Menschen aus Osteuropa zu helfen. Doch sie klagt nicht etwa gegen Euro-Kontrakt – sie klagt gegen die deutschen Arbeitgeber, denen die Mitarbeiter vermittelt wurden.

"Man denkt natürlich, Euro-Kontrakt ist hier der große Buhmann in der Geschichte", sagt Rechtsanwältin Klaffus. "Aber für uns ist es sehr viel leichter, denjenigen, der tatsächlich Leistungen in Anspruch genommen hat, zu verklagen als Euro-Kontrakt." Es gebe keinen Vertrag, auf den man klagen könnte. "Darum ist es für uns deutlich einfacher zu sagen: Hier, da hat sie ja die Arbeit geleistet und das sind diejenigen, die hätten das vorher prüfen müssen. Wenn sie es nicht gemacht haben, dann ist das die Konsequenz."

Euro-Kontrakt hätte Gloor eine in Deutschland ausgestellte Arbeitserlaubnis vorlegen müssen. Doch die hat der Hotelier nie bekommen. "Die haben gesagt, das geht uns nichts an, weil die ja in Deutschland gar nicht zu deutschen Gesetzen arbeiten, sondern sie arbeiten ja in Polen nach polnischem Recht", sagt Gloor. Damals habe er es noch nicht besser gewusst, und dachte, dass es mit der Überweisung an die Firma in Polen alles seine Ordnung haben würde.

Ein Irrtum: Deutsche Arbeitgeber sind in der Pflicht, sich alle Genehmigungen zeigen zu lassen. Nataliia Ss. ausstehender Lohn für die Arbeit im Hotel: etwa 2.500 Euro. Gloor hatte diesen Betrag bereits an Euro-Kontrakt überwiesen. Doch womöglich muss er ihn nun noch einmal an die Ukrainerin direkt bezahlen. Das Prinzip Arbeitsvermittlung hat sich in diesem Fall nur für die dubiose Vermittlerfirma gelohnt.

Quelle: MDR Investigativ

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Dieses Thema im Programm: MDR+ | MDR exactly | 02. Oktober 2023 | 17:00 Uhr

14 Kommentare

Ilse vor 30 Wochen

Micha R

Das kommt mir zu wenig vor !

Der Entleiher muß davon noch Arbeitgeberanteile SV für Entliehenen, ev. Unterbringungskosten, Fahrtkosten, Verpflegungspauschale?+ eigene verschiedene Kosten+Marge (Betriebsausgaben, Löhne, Steuern, Gewinn) umlegen.

Micha R vor 30 Wochen

@ Ilse
"...Der wollte ziemlich sicher dann hier keine >30,-€/Stunde Entleiherpreis zahlen, das war dem dann doch zuviel..."

30,-€/h hätte zum damaligen Zeitpunkt ein Verrechnungssatz von über 2,8 dargestellt! Üblich ist ein Verrechnungssatz von 2.
Laut dem im Artikel geschilderten Einsatz wäre sicherlich eine Vergütung in der untersten Entgeltstufe der Zeitarbeit (EG 1 - Einweisung in die Tätigkeit durch den Betrieb notwendig) zur Anwendung gekommen. Nach dem zum damaligen Zeitpunkt geltenden Tarif der Zeitarbeit hätte der Ukrainerin ein Bruttostundenlohn von 10,45€/h zugestanden. Dem Hotelier als Entleiher wären zum damaligen Zeitpunkt für den Einsatz einer von einem hiesigen Zeitarbeitsunternehmen gestellten Leiharbeiterin also auch nur Gesamtkosten von rund 21€ je geleistete Arbeitsstunde angefallen.

Ilse vor 30 Wochen

Micha R
"der Arbeitnehmerüberlassung zurückgreift, wieso dann nicht auf eine einheimische Firma"

Der wollte ziemlich sicher dann hier keine >30,-€/Stunde Entleiherpreis zahlen, das war dem dann doch zuviel.

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