Eine Sprachlehrerin unterhält sich bei einem Integrationskurs für Zuwanderer des Bundesamtes für Migration (BAMF) mit einem Teilnehmer und einer Teilnehmerin
Die meisten Lehrkräfte von Integrationskursen sind bislang nicht festangestellt, sondern arbeiten bevorzugt auf Honorarbasis. Bildrechte: picture alliance/dpa | Sven Hoppe

Integrationskurse Sprachschulen bieten Festanstellungen unter Mindestlohn

09. April 2024, 15:01 Uhr

Migrantinnen und Migranten Deutsch beibringen – das ist die Aufgabe der Lehrkräfte von Integrationskursen. Die allermeisten von ihnen sind nicht festangestellt, sondern arbeiten freiberuflich auf Honorarbasis. Das scheint sich gerade zu ändern, immer mehr Deutschlehrerinnen und -lehrer bekommen Festanstellungen angeboten. Eigentlich eine positive Entwicklung, doch die Konditionen verschlechtern sich dadurch häufig. Der Lehrkräftemangel könnte sich dadurch weiter verschärfen.

Raja Kraus, Autorin, Reporterin
Bildrechte: MDR/Isabel Theis

Alicia Stachura ist Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache und unterrichtet in Integrationskursen in Leipzig – freiberuflich. Vor gut einem Monat wurde ihr von der Sprachschule von heute auf morgen eine Festanstellung angeboten.

Allerdings zu sehr schlechten Konditionen: "Bezahlt werden sollten die geleisteten Stunden, also keine feste Summe pro Monat. Verfügbarkeit von 7:30 bis 20:00 Uhr, auch am Samstag und, und, und. Für 24 Euro brutto."

Pro geleistete Unterrichtseinheit, also 45 Minuten. Wer etwa 25 Unterrichtseinheiten pro Woche unterrichtet, ist mit Vor- und Nachbereitung damit de facto voll beschäftigt. Alicia Stachura hätte mit dem Vertrag ungefähr 1.700 Euro netto pro Monat verdient. Etwa 700 Euro weniger als in Freiberuflichkeit, sagt sie.

Gehälter weit unter dem Mindestlohn

Die Deutschlehrerin wendet sich an die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW. Ralf Becker leitet dort den Vorstandsbereich "Berufliche Bildung und Weiterbildung". Festanstellungen findet er eigentlich gut, "aber die Verträge, die uns jetzt so ins Haus flattern, die sind eine Katastrophe. Wenn man die Vorbereitung und die Nachbereitung dazu nimmt, weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn eigentlich." Und das bei Hochschulabschluss und Zusatzqualifikation für den Integrationskurs – ein Witz, sagt Becker.

Alicia Stachura fängt an zu recherchieren und merkt schnell, dass die Festanstellungen gerade nicht nur an ihrer Schule ein Thema sind. Sie wendet sich deshalb an das für die Kurse zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz BAMF. "Das BAMF hat mir selbst geschrieben, dass sie ja keine Macht haben. Aber ich denke schon, dass sie das können. Also dass das BAMF sagt: 'Okay, bitte auch so und so viel Geld'. Wenn sie das auch für Freiberufler sagen können, dann sollten sie auch für die Verträge zuständig sein."

Bei Festanstellungen gilt Vertragsfreiheit

Denn das BAMF gibt den Kursträgern für die Lehrkräfte ein Mindesthonorar von 42,23 Euro pro Unterrichtseinheit vor, anderenfalls drohen den Sprachschulen Sanktionen. Doch bei Festanstellungen gelte die Vertragsfreiheit, schreibt das BAMF auch an MDR AKTUELL.

Nathalie Oberthür ist Fachanwältin für Arbeitsrecht. Sie denkt schon, dass das BAMF einen Hebel hat: "Die könnten natürlich einen Rahmen vorgeben, dessen, was sie finanzieren an den Kursen und verlangen, dass das an die Lehrkräfte weitergegeben wird."

Dass es nun überhaupt immer mehr Festanstellungen in der Branche gibt, liegt an einem Urteil des Bundessozialgerichts von 2022. Bis dahin sei eine beidseitig gewollte Selbstständigkeit bei Lehrkräften akzeptiert worden, erklärt Nathalie Oberthür. Nun sei das anders. Mit der Folge, dass die Rentenversicherung jetzt bei immer mehr freiberuflichen Lehrkräften prüft, ob es sich um Scheinselbstständigkeit handelt.

Festanstellungen könnten Mangel an Lehrkräften verschärfen

Ein Problem für die Branche, schreibt der Verband Deutscher Privatschulverbände: "Dies hat gravierende Folgen: Bildungs-, arbeitsmarkt- und integrationspolitische Ziele laufen Gefahr zu scheitern, wenn sich der Lehrkräftemangel durch das Wegbrechen der Selbständigen verschärft und in der Folge Kurskapazitäten wegbrechen." Denn viele Lehrkräfte würden die Honorarbasis bevorzugen.

So auch Alicia Stachura. Sie hat den Vertrag nicht angenommen. Einer ihrer Kurse pausiert dort seither. Sie arbeitet schon wieder an einer anderen Sprachschule – auf Honorarbasis: "Die haben gesagt: 'Nee, bei uns ist das kein Thema.'" Die Frage ist, wie lange noch. Diese Sorge begleitet die Deutschlehrerin.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 09. April 2024 | 06:09 Uhr

23 Kommentare

MDR-Team vor 34 Wochen

Als Ergänzung ein Zitat aus dem Artikel: Die Deutschlehrerin wendet sich an die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW. Ralf Becker leitet dort den Vorstandsbereich "Berufliche Bildung und Weiterbildung". Festanstellungen findet er eigentlich gut, "aber die Verträge, die uns jetzt so ins Haus flattern, die sind eine Katastrophe. Wenn man die Vorbereitung und die Nachbereitung dazu nimmt, weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn eigentlich." Und das bei Hochschulabschluss und Zusatzqualifikation für den Integrationskurs – ein Witz, sagt Becker.

Gudrun Wolf vor 34 Wochen

4.300 brutto- gesetzl./private KV +PV - Pflichtbeitrag zur RV, in der Regel eine Vorauszahlung zur Einkommensteuer. Diese Beiträge sind geschätzt und werden nach dem Est-Bescheid erstattet oder nachgefordert. Das hängt also vom Jahresergebnis ab. Eventuell ist der Freiberufler noch freiwillig in der AV.
Ganz grob bleiben höchstens 50% des Bruttohonorars zum Leben.
Es gibt betriebliche Ausgaben wie Fahrtkosten, Weiterbildung und Kinderbetreuung ...
Ein entscheidender Unterschied ist, daß man als Freiberufler Ausfallzeiten mit erwirtschaften muß, während einem Angestellten Urlaubsanspruch und 6 Wochen LFZ zustehen.
Beim Träger fallen vor allem Mietkosten, Betriebskosten, Zertifizierung und Akquise als Ausgaben an, weitere Zahlungen wie Betriebsarzt und Berufsgenossenschaft. Das "spart" sich der freiberufliche Dozent. Darum erklärt die DRV die Dozenten ja auch zunehmend zu abhängig Beschäftigten. Ergo ein komplexes Thema. Aber weder 24 noch 43 € sind als Mindestlohn einzustufen.

Relego vor 34 Wochen

Die Rede ist im Artikel von Unterrichtseinheiten (UE). Eine Bezahlung von 24 EUR pro geleisteter UE entspricht rechnerisch einer Vergütung von 32 EUR pro ZEIT-Stunde. Durch Vor- und Nachbereitung reduziert sich dies natürlich. Da das Curriculum und das Lehrbuch feststeht ist der Vorbereitungsaufwand nach den ersten Kursen überschaubar. Realistisch sind sehr entspannt 40 UE (also exakt 30 ZEITstunden mit max. 10 ZEITstunden Vorbereitung (inkl. Zwischentests im Modul 3) möglich. Aus der Praxis komme ich auf ~ 7.300 EUR im Monat; allen die jetzt aufhorchen: Rentenversicherung, Krankenkasse sowie Einkommenssteuer und theoretisch die freiwillige Arbeitslosenversicherung etc. werden zu 100% abgezogen. Auch gibt es kein Einkommen während des Urlaubes. Aus alledem folgt, dass die zitierte Kollegin ein Angebot über 4.174,08 EUR bei einer max. 40 Stunden / Woche abgelehnt hat. Einzig der Aspekt, nur nach tatsächlichen Stunden (Urlaub?! Krankheit?!) zu zahlen, wäre für mich ein Dealbreaker.

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