Illustration - 12,41 Euro liegen auf einer Schaufel mit Besen.
Zahlen Unternehmen nicht mindestens den gesetzlichen Mindestlohn drohen ihnen laut Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales Geldbußen bis zu 500.000 Euro. Bildrechte: IMAGO/Heike Lyding

Interview mit Wirtschaftsexperten Einführung des Mindestlohns hat nicht geschadet

03. Januar 2024, 05:00 Uhr

Vor neun Jahren wurde der Mindestlohn eingeführt. Mit 8,50 Euro ist er gestartet und liegt seit Januar 2024 bei 12,41 Euro brutto die Stunde. Was hat er Arbeitnehmern bisher gebracht? Wie haben Unternehmen die gesetzliche Vorgabe geschultert? Oliver Holtemöller, Vizepräsident vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle, zieht Bilanz.

Seit Januar beträgt der Mindestlohn 12,41 Euro brutto. Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt?

Oliver Holtemöller: Der Sprung jetzt ist klein, aber wir hatten im Oktober 2022 eine große Erhöhung: von 10,45 Euro auf zwölf Euro. Außerdem ist die Mehrwertsteuervergünstigung im Gastgewerbe ausgelaufen und dort sind viele Mindestlohnempfänger beschäftigt. Für einige Unternehmen ergeben sich daraus größere Kostensteigerungen. Man wird sehen müssen, inwieweit die Unternehmen in der Lage sind, das durch Preiserhöhungen oder Effizienzsteigerungen abzufangen. Dass in großem Umfang Arbeitsplätze verloren gehen, ist aber nicht zu erwarten. Und angesichts des Arbeitskräftemangels in vielen Bereichen werden die meisten schnell eine andere Tätigkeit finden, sollte ihr Unternehmen schließen müssen.

Hat die Einführung des Mindestlohns zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt? Das wurde 2015 bei der Einführung ja befürchtet.

Auf die Arbeitslosigkeit hat sich der Mindestlohn kaum ausgewirkt. Wir sehen aber, dass im Bereich der geringfügigen Beschäftigung durch die Einführung des Mindestlohns viele Arbeitsplätze weggefallen sind. Menschen, die diese Arbeitsplätze verloren haben, sind aber nicht arbeitslos geworden, sondern haben sehr schnell in anderen Bereichen eine neue Beschäftigung gefunden. Gesamtwirtschaftlich sehen wir keine großen Arbeitsplatzeffekte, sehr wohl aber einen Rückgang der geringfügig Beschäftigten.

Gesamtwirtschaftlich sehen wir keine großen Arbeitsplatzeffekte, sehr wohl aber einen Rückgang der geringfügig Beschäftigten.

Oliver Holtemöller Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung

Prof. Dr. Oliver Holtemoeller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle posiert für ein Portrait
Der Wirtschaftsforscher Prof. Oliver Holtemöller sagt, dass die Einführung des Mindestlohns 2015 der Wirtschaft in Deutschland nicht geschadet hat. Bildrechte: imago/photothek

Wie viele kleine und mittlere Unternehmen konnten die Mindestlohnerhöhungen der letzten Jahre nicht tragen und mussten schließen?

Konkrete Zahlen sind hier schwer zu nennen, weil viele Faktoren eine Rolle spielen. 2015, als der Mindestlohn eingeführt wurde, waren Öl und andere Energierohstoffe zum Beispiel sehr günstig. Das sorgte für Entlastung. Es gibt mittlerweile aber Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass insbesondere kleine Betriebe mit bis zu fünf Beschäftigten schließen mussten. Bei größeren Unternehmen dürfte das aber nicht der Fall sein.

Sind seit der Einführung des Mindestlohns viele Unternehmen mit ihrer Produktion ins Ausland abgewandert?

Konkrete Zahlen zu der Abwanderung gibt es nicht. Es ist aber davon auszugehen, dass der Effekt nicht besonders groß ist. Der Mindestlohn wird insbesondere im Dienstleistungsbereich gezahlt, beispielsweise im Gastgewerbe. Diese Unternehmen können in der Regel nicht einfach ins Ausland abwandern. Im internationalen Wettbewerb sind dagegen exportstarke Industrieunternehmen wie die Automobilindustrie oder der Maschinenbau vertreten. Dort gibt es praktisch keine Beschäftigten, die Mindestlohn empfangen.

Konkrete Zahlen zu der Abwanderung gibt es nicht. Es ist aber davon auszugehen, dass der Effekt nicht besonders groß ist.

Oliver Holtemöller Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung

Wovon ist die Rede, wenn von "Tricks beim Mindestlohngesetz" gesprochen wird?

Eine Möglichkeit ist, dass von den Beschäftigten erwartet wird, dass sie mehr Stunden arbeiten, als sie vertraglich bezahlt werden. Also, im Arbeitsvertrag steht eine bestimmte Stundenzahl, für die Mindestlohn gezahlt wird. Durch unbezahlte Mehrarbeit wird der Stundenlohn aber gedrückt. Die Mindestlohnkommission geht in ihren Berichten davon aus, dass es da immer noch Probleme gibt.

Profitieren von der Erhöhung des Mindestlohns wirklich insbesondere Ostdeutsche?

Ja, in Ostdeutschland haben wir eine größere Betroffenheit vom Mindestlohn. Wir haben aber auch gesamtwirtschaftlich einen positiven Effekt durch die Einführung gehabt. Denn weniger produktive Unternehmen, die den Mindestlohn nicht zahlen konnten, sind vom Markt verschwunden und die Beschäftigten haben schnell in wirtschaftlicheren Betrieben eine neue Tätigkeit gefunden. In der jetzigen Zeit kann das aufgrund der hohen Energiepreise und der geopolitischen Unsicherheit anders aussehen. Aber in der Vergangenheit haben sowohl die Beschäftigten als auch die Gesellschaft davon profitiert.

Eine Befürchtung bei der Mindestlohneinführung waren steigende Preise. Nun gab es – auch bedingt durch den Krieg – starke Preissteigerungen. Wie viel davon lässt sich auf die Mindestlohnerhöhung zurückführen?

Die Preissteigerungen kann man nicht pauschal quantifizieren, weil das sehr branchenabhängig ist. Wir wissen aber aus Umfragen, dass viele Unternehmen auch Preiserhöhungen in Betracht ziehen, um die steigenden Kosten zu decken. In Betrieben, wo nur drei Prozent der Beschäftigten mit Mindestlohn entlohnt werden, spielt es für die Gesamtkosten keine große Rolle. Wenn aber fast alle Beschäftigten Mindestlohnempfänger sind, dann spielt es natürlich eine größere Rolle. Es hängt sehr von der Branche und auch Größe des Unternehmens ab. Besonders kleine Betriebe sind betroffen.

Wie schätzen Sie als Wirtschaftswissenschaftler die Einführung des Mindestlohns ein?

Aus heutiger Perspektive kann man sagen, dass die Einführung des Mindestlohns nicht geschadet hat. Die Frage aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive ist aber: Ist es die richtige Maßnahme, um die Probleme zu bekämpfen? Und da kann man durchaus kritisch sein. Es gibt ja auch noch andere Methoden, zum Beispiel Transfers an Bedürftige nach Bedürftigkeitsprüfung, um eine gerechte Einkommensverteilung zu erreichen. Es ist schwer, ein eindeutiges Urteil zu fällen.

Oliver Holtemöller, Sprecher, Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle 5 min
Bildrechte: picture alliance/dpa | Britta Pedersen

Es gibt Stimmen von Gewerkschaften und Parteien, die bis zu 14 Euro Mindestlohn fordern. Halten Sie das in naher Zukunft für realistisch?

Ich verstehe das Motiv. Dahinter steckt die Erwartung, dass man von einem Vollzeitarbeitsplatz tatsächlich das Existenzminimum erwirtschaften kann. Die Frage ist aber, ob die Unternehmen in der Lage sind, das abzufangen und in welcher Geschwindigkeit man das erreichen will. Wenn man das nicht genau weiß, empfiehlt es sich, in kleinen Schritten vorzugehen und nicht zu große Erhöhungen zu einem Zeitpunkt vorzunehmen. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass angesichts des Arbeitskräftemangels und des demografischen Wandels die Verhandlungsposition der Beschäftigten sich weiter verbessert, sodass auch der Mindestlohn weiter steigt.

Zur Person Oliver Holtemöller ist der stellvertretender Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle.

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