Ärzte in OP-Kleidung bei einem Patienten
Behandlungsfehler gab es zum Beispiel bei Operationen. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa

Jahresbericht 2022 Medizinischer Dienst: Behandlungsfehler in jedem vierten Fall

17. August 2023, 22:19 Uhr

Der Medizinische Dienst stellt im Auftrag der Gesetzlichen Krankenkassen jedes Jahr Gutachten zu Behandlungsfehlern aus. Im vergangenen Jahr konnte in jedem vierten Fall ein Fehler mit Schaden nachgewiesen werden. Die meisten Vorwürfe zu Behandlungsfehlern bezogen sich auf Operationen. Um schwere Schäden durch vermeidbare Fehler zu verhindern, fordert der Medizinische Dienst eine Liste, die solche Fälle erfasst. Die AOK will außerdem die Rechte von Patienten stärken.

Der Medizinische Dienst hat im vergangenen Jahr im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen bundesweit mehr als 13.000 fachärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern erstellt. Dabei seien in jedem vierten Fall Fehler mit Schaden nachgewiesen worden, teilte der Dienst mit. In jedem fünften Fall war der Fehler demzufolge Ursache für den erlittenen Schaden. Die Zahl der Gutachten bewege sich insgesamt auf dem Niveau der Vorjahre.

Nach Aussage des Vorstandsvorsitzenden des Medizinischen Dienstes, Stefan Gronemeyer, zeigen die Begutachtungszahlen nur einen sehr kleinen Ausschnitt des tatsächlichen Geschehens. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen sei vielfach belegt, dass die Dunkelziffer deutlich höher liege. Experten gehen demnach davon aus, dass etwa ein Prozent der Krankenhausfälle von Behandlungsfehlern betroffen ist. Nur etwa drei Prozent aller unerwünschten Ereignisse würden nachverfolgt.

Fehler in vielen Fachgebieten

In der aktuellen Jahresstatistik bezogen sich den Angaben zufolge zwei Drittel aller erhobenen Behandlungsfehlervorwürfe auf Leistungen in der stationären Versorgung, meist in Krankenhäusern. Ein Drittel bezog sich auf Arztpraxen. Die meisten Vorwürfe gibt es demnach bei operativen Eingriffen. Gemeldet worden seien unter anderem fehlerhafte Behandlungen bei Hüft- und Kniegelenksverschleiß, Knochenbrüchen, Durchblutungsstörungen am Herzen, Gallensteinen oder Zahnerkrankungen.

Rund 30 Prozent aller Vorwürfe hätten die Orthopädie und Unfallchirurgie betroffen, etwa zwölf Prozent die Innere Medizin und Allgemeinmedizin, jeweils knapp neun Prozent die Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie die Allgemein- und Viszeralchirurgie. Ebenfalls knapp acht Prozent seien auf die Zahnmedizin und über sechs Prozent auf die Pflege entfallen. Weitere 26 Prozent der Vorwürfe verteilten sich auf verschiedene andere Fachgebiete.

Daten nicht repräsentativ

Der Medizinische Dienst betont, dass die Zahlen der Jahresstatistik nicht repräsentativ sind. Eine Häufung von Vorwürfen in einem Fachgebiet sage gar nichts über die Fehlerquote oder die Sicherheit in dem jeweiligen Gebiet aus. Sie zeige nur, dass Patienten reagieren, wenn eine Behandlung nicht ihren Erwartungen entspreche. Fehler bei chirurgischen Eingriffen seien für Patienten in der Regel leichter zu erkennen als zum Beispiel Medikationsfehler, weshalb auch eher Fehler bei Operationen vorgeworfen würden als bei anderen Behandlungen.

Zwei Drittel der Schäden nur vorübergehend

Bei knapp zwei Dritteln der begutachteten Fälle seien die Gesundheitsschäden der Patienten vorübergehend gewesen. Eine Behandlung oder ein Krankenhausaufenthalt waren demnach zwar notwendig, die Patienten wurden aber wieder richtig gesund. Bei mehr als einem Drittel der Betroffenen sei durch die Behandlungsfehler dagegen ein dauerhafter Schaden entstanden.

Der Medizinischen Dienst unterscheidet dabei nach eigenen Angaben zwischen leichten, mittleren und schweren Schäden. Ein leichter Dauerschaden sei zum Beispiel eine geringe Bewegungseinschränkung oder eine Narbe. Zu den mittleren Dauerschäden zähle etwa eine erhebliche Bewegungseinschränkung oder die Störung einer Organfunktion. Ein schwerer Dauerschaden liege vor, wenn Geschädigte pflegebedürftig würden oder aufgrund eines Fehlers erblindeten oder dauerhafte Lähmungen erlitten. In drei Prozent der Fälle habe ein Behandlungsfehler zum Tod des Patienten geführt oder wesentlich dazu beigetragen.

Anspruch auf Schadenersatz hätten die Patienten jedoch nur, wenn nachgewiesen werden könne, dass der Schaden durch den Behandlungsfehler entstanden ist. Durch das Gutachten entstünden den Versicherten keine Kosten.

Nationale "Never Events"-Liste gefordert

Wie der Medizinische Dienst berichtet, gibt es jedes Jahr Fälle, in denen schwere Schäden durch vermeidbare Fehler entstehen. Dazu gehörten zum Beispiel die Verwechslung von Patienten oder der zu behandelnden Körperhälfte, sowie schwere Fehler bei der Medikation und unbeabsichtigt zurückgebliebene Fremdkörper nach Operationen.

Diese Fehler – sogenannte "Never Events" – würden zeigen, dass Risiken im Versorgungsprozess bestünden und die Sicherheitsvorkehrungen vor Ort unzureichend seien. Diese Fehler auf einer öffentlichen Liste zu erfassen, sei für das Erkennen, Umsetzen und Bewerten von Sicherheitsmaßnahmen besonders wichtig.

Viele Länder arbeiteten bereits erfolgreich mit solchen Registern. Der Medizinische Dienst fordert deshalb eine verpflichtende Nationale "Never Event"-Liste einzuführen, um die Patientensicherheit zu verbessern. Die Erfassung der Schäden sollte demnach sanktionsfrei und pseudonomysiert erfolgen. Ziel der Meldungen sei ausschließlich die Prävention.

AOK: Mehr Rechte für Patienten

Der AOK-Bundeverband fordert darüber hinaus mehr Rechte für Patienten zum Nachweis von Behandlungsfehlern. "Bisher müssen nicht nur der Behandlungsfehler und der Schaden bewiesen werden, sondern auch der ursächliche Zusammenhang", sagte die Vorstandsvorsitzende Dr. Carola Reimann. Nur in etwa jedem fünften Fall kamen die Gutachter demnach zu dem Ergebnis, dass der Fehler Ursache des Schadens war. Deshalb brauche es ein gesetzlich verankertes Recht, das es Patienten ermöglicht alle notwendigen Unterlagen einzusehen.

MDR (akq)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 17. August 2023 | 10:30 Uhr

5 Kommentare

D.L. vor 49 Wochen

Volle Zustimmung. Ein Patient mit vermeintlichem Expertenwissen (wie regelmäßig 80 Mio Fußballexperten) behauptet, der Chirurg hätte während seiner Narkose eine Fehler gemacht und der Chirurg bzw das KH ist in der Beweispflicht? Unglaublich dieser Ansatz...

Ralf G vor 49 Wochen

Die Zielstellung, Operationen nur noch in dafür zertifizierten Kliniken durchzuführen, ist richtig und wird die Fehlerquote senken.
Persönlich würde ich lieber in eine hundert Kilometer entfernte Spezialklinik fahren, als in ein Gemischtwaren-Krankenhaus um die Ecke.

Eddi58 vor 49 Wochen

Wo Menschen arbeiten geschehen Fehler…
Im Gesundheitswesen können Fehler desaströse Folgen für Betroffene haben.
Die Anerkennung von Schäden ist für die Betroffenen oft eine weitere Traumatisierung, der Gang durch die Instanzen ist für viele nicht zu leisten.
Im Krankenhaus hat der ökonomische Druck zu Entwicklungen geführt, die für die Kranken und die Beschäftigten fatal sind. 🤔
Gut ausgebildetenund motivierten Mitarbeiter/innen unterlaufen weniger Fehler. Eine gesunde Fehlerkultur könnte zur Vermeidung weiterer Schäden führen. Wenn nach den Ursachen von Fehlern gesucht würde statt nach Schuldigen wäre viel gewonnen.

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