Klimapolitik "Letzte Generation" erntet Widerspruch – und protestiert weiter

02. November 2022, 16:43 Uhr

Der Protest der Gruppe "Letzte Generation" für mehr Klimaschutz polarisiert. Bundesjustizminister Marco Buschmann weist darauf hin, dass für deren Protestformen auch Gefängnisstrafen in Betracht kommen. Auch von den Grünen und der Klimaschutzbewegung "Fridays for Future" kommt Kritik. Die "Letzte Generation" setzt ihren Protest jedoch unvermindert fort und beschmierte am Mittwoch Parteizentralen in Berlin.

Bundesjustizminister Marco Buschmann hält Gefängnisstrafen für bestimmte Protestformen von Klimaschutz-Gruppen für möglich. Mit Straßenblockaden oder der Beschädigung von Sachwerten leisteten "Klima-Blockierer" nicht nur "dem Klimaschutz einen Bärendienst, sondern begehen auch Straftaten", sagte der FDP-Politiker der "Bild" mit Blick auf aufsehenerregende Protestaktionen in den vergangenen Tagen.

Eine Straßenblockade kann als Nötigung bestraft werden.

Marco Buschmann, FDP Bundesjustizminister

Buschmann sagte, zwar seien Widerspruch und Protest in der Demokratie "nicht nur zulässig - sondern gehören zu einer vielfältigen Gesellschaft dazu". Er ergänzte jedoch: "Wer Kunstwerke bewirft, kann sich einer Sachbeschädigung strafbar machen. Eine Straßenblockade kann als Nötigung bestraft werden. Und wenn Rettungswagen ausgebremst werden, kommt auch eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung in Betracht."  Die Gesetze sähen in bestimmten Fällen Freiheitsstrafen vor. "Diese Gesetze gilt es auch durchzusetzen."

Dobrindt: Brauchen härtere Strafen

Unterstützung erhielt Buschmann von der CSU. Der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, fordert ebenfalls schärfere Strafen. "Wir brauchen dringen härtere Strafen für diese Klima-Chaoten um einer weiteren Radikalisierung dieser Szene entgegenzuwirken und Nachahmer abzuschrecken", sagte er der "Bild". "Wer mutwillig zerstört oder andere gefährdet, sollte nicht nur mit Geldstrafen sondern auch mit Freiheitsentzug rechnen müssen."

Kemferts Klima-Podcast 58 min
Bildrechte: MDR / Oliver Betke

Dobrindt und der Justizminister bezogen sich mit ihren Äußerungen auch auf einen Vorfall vom Montagmorgen. In Berlin waren dabei Rettungskräfte verspätet zu einer schwer verletzten Radfahrerin gekommen, die von einem Lastwagen angefahren wurde. Die Retter standen im Stau, weil Protestierende der Gruppe "Letzte Generation" die Autobahn 100 blockiert hatten.

Künast: Form des Protests führt in Sackgasse

Mit Blick auf diesen Fall wandte sich auch die Grünen-Politikerin Renate Künast gegen die selbsternannten Umweltschützer. Diese Form des Protests führe in eine "Sackgasse", wenn "der Kern des Problems nicht mehr diskutiert wird, sondern nur noch die Frage 'ist das ein legitimer Protest?'" Dasselbe gelte auch bei den Protesten in Museen, wo sich Angehörige der "Letzten Generation" jüngst des Öfteren an Kunstwerke klebten oder diese verschmutzten.

Offensichtlich erreichen wir die Ziele nicht.

Renate Künast, Grüne Bundestagsabgeordnete

Künast beklagte zugleich Versäumnisse in der Klimapolitik. "Offensichtlich erreichen wir die Ziele nicht und haben seit Jahren, Jahrzehnten nicht genug politische Maßnahmen ergriffen", sagte die ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin und jetztige Bundestagsabgeordnete. Die Gesellschaft müsse sich gerade mit Blick auf junge Leute und deren Leben fragen, warum nicht genug getan werde.

Neubauer: Menschen nicht gefährden

Auch aus der Klimabewegung gab es kritische Stimmen am Verhalten der Gruppe "Letzte Generation". Die Hauptorganisatorin von Fridays for Future in Deutschland, Luisa Neubauer, äußerte ihr Bedauern über das verspätete Eintreffen des Rettungsfahrzeugs in Berlin. "Quer durch die deutsche Klimabewegung stehen wir für Klima-Aktivismus, der Menschen nicht gefährdet", sagte Neubauer am Dienstag. Die Legitimation von Protestaktionen stehe und falle damit, "dass Menschen nicht in Gefahr gebracht werden", betonte sie.

Solange die Regierung gerechten Klimaschutz blockiert, wird es in der Gesellschaft immer mehr Spaltung geben.

Luisa Neubauer Organisatorin von Fridays for Future

Neubauer wies ebenfalls auf bestehende politische und gesellschaftliche Konflikte hin, die zu dem radikalen Protest führten. Sie befürchte, dass es auch in Zukunft zu derart kritischen Momenten kommen könnte, "solange der Konflikt hinter den Protesten nicht befriedet" werde. "Solange die Regierung gerechten Klimaschutz blockiert, wird es in der Gesellschaft immer mehr Spaltung geben. Und wenn die großen Fragen zur Klimakrise nicht im Parlament und Kabinett beantwortet werden, werden diese Fragen zunehmend auf den Straßen ausgetragen."

"Letzte Generation" setzt Aktionen fort

Ein Sprecher der Gruppe "Letzte Generation" verteidigte am Mittwoch im Deutschlandfunk die Form der Proteste, äußerte sich aber auch bestürzt über den Vorfall in Berlin. Man wolle für eventuelle Versäumnisse die Verantwortung übernehmen, sagte Mitglied Jakob Beyer. Man müsse noch klären, warum der Rettungswagen aufgehalten worden sei. Seine Gruppe achte auf die Sicherheit aller Beteiligten. Grundsätzlich werde man die Proteste angesichts der drohenden Klimakatastrophe unvermindert fortsetzen, erklärte Beyer. Die "Fridays for Future"-Demonstrationen seien von der Politik nicht beachtet worden. Die Aktionen der "Letzten Generation" könne man nicht mehr ignorieren.

Am Mittwoch startete die "Letzte Generation" in der Tat eine neue Aktion. Am Vormittag besprühten mehrere Personen in Berlin die Parteizentralen von SPD, Grünen und FDP großflächig mit oranger Farbe. Zudem klebten sich nach Angaben einer Polizeisprecherin einzelne Personen an Hausfassaden fest. Auf Twitter erklärte die Initiative: "Wir besprühen die Berliner Zentralen der SPD, Grünen und FDP, weil die Ampel keinen Plan hat gegen den #Klimakollaps." Unter anderem hieß es weiter: "Jedes Zehntel Grad zählt, warum noch warten mit #Tempolimit & #9EuroTicket?"

dpa/AFP/epd (ala)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 02. November 2022 | 10:00 Uhr

105 Kommentare

Basisdemokrat am 04.11.2022

Die Angehörigen des Opfers (falls es Ihnen wirklich um diese gehen sollte, was ich bezweifle) betrauern eine Frau, die auf dem Fahrrad von einem LKW über den Haufen gefahren worden ist. Punkt.

Den "Klimarebellen" dafür nur irgendeine Verantwortung zuschieben zu wollen, finde ich ganz übel. Zumal die Berliner Feuerwehr bereits bekanntgegeben hat, daß das im Stau stehende Spezialfahrzeug gar nicht benötigt wurde, weshalb dieses Geschehen überhaupt keinen Einfluß auf das bedauerliche Versterben des Unfallopfers hatte.

Wenn es Ihnen also um die Sicherheit im Straßenverkehr zu tun ist, dann setzen Sie sich für mehr sichere Radwege ein. Damit sind Sie von "Letzte Generation" inhaltlich dann nicht mehr weit weg. Das wollen die nämlich auch.

MDR-Team am 04.11.2022

Lieber Nutzer Gnatz,

nach dem Unfall zwischen einem Lkw und einer Radfahrerin in Berlin ermittelt die Polizei Berlin noch zum genauen Unfallhergang. Entsprechende Ermittlungen zur Schuld der Unfallbeteiligten laufen.

In einem weiteren Fall ermittelt die Polizei gegen zwei Personen, die auf eine Schilderbrücke geklettert waren, um zu protestieren. In der Folge sperrte die Polizei die Straße darunter. Es gab einen Stau. Auch in diesem Fall ermittelt die Polizei Berlin.

Beste Grüße

Die MDR.de-Redaktion

der Gnatz am 04.11.2022

Der Einfluss einzelner Faktoren auf klimatische Prozesse ist immer noch nicht bis zu Ende verstanden worden. Klar scheint, das viele CO2, welches in den letzten 250 Jahren freigesetzt wurde, hat globale Effekte.

Allerdings: "Ich bekomme nicht was ich will, also schmeiße ich mein Essen runter/an Wand und Bilder, beschmiere irgendwas mit dem Stift/Farbtopf den ich grade finde, klemme mich irgendwo ein oder mache Spielzeug kaputt..." Ideen von Kleinkindern.
Der Einfluss dieser "Aktionen" aufs Weltklima dürfte mit dem Ergebnis = 0 berechnet werden können.

Widersprüchliche Aussagen der "letzten" kommen hinzu (im Frühjahr klebte sie auf der Straße "gegen Lebensmittelverschwendung", heute werfen sie Essen auf Gemälde. Vom ökologischen Fußabdruck der Klebstoffe, Schmierfarben etc möchte ich nicht erst anfangen (und die leere Tube in den Gulli werfen...). Abgesehen vom zusätzlichen Spritverbrauch im provozierten Stau.

Der Tod der Radfahrerin hat hoffentlich juristische Folgen.

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