Kommentar Generaldebatte: Scholz kämpft und kneift

07. September 2022, 22:26 Uhr

Die Generaldebatte ist traditionell ein Schlagabtausch zwischen Opposition und Regierung über die richtige Politik für Deutschland. Die Ampel bot Unions-Fraktionschef Friedrich Merz zuletzt viel Angriffsfläche, die er auch nutzte. Überraschend war die Reaktion des Kanzlers: Er ging zum Gegenschlag über. Beim Thema Kernkraft und Versorgungssicherheit bietet er aber weiter eine offene Flanke, findet MDR-Hauptstadtkorrespondent Tim Herden.

Olaf Scholz kann also auch anders. Statt im leisen Kammerton und mit gedämpfter Empathie eines Hanseaten das dritte Entlastungspaket noch einmal dem Bundestag vorzutragen, schaltete der Kanzler heute auf Angriff. Und sein Ziel war Friedrich Merz.

Viel Angriffsfläche für Merz

Eigentlich hätte von der rhetorischen Tagesform der Fraktionschef der Union, Friedrich Merz, als Sieger vom Platz der traditionellen Generaldebatte um den Kanzleretat gehen sollen. Die Ampelkoalition bietet nun wirklich genug Angriffsfläche. Das ewige Hin und Her um das dritte Entlastungspaket. Die Fehlkonstruktion der Gasumlage, bei der nun profitable Trittbrettfahrer aus der Energiebranche abkassieren. Die ständigen Streitereien im Regierungstrio vom Infektionsgesetz bis zum Atomausstieg. Das Land ist in der tiefsten Krise, und da darf und muss man als Opposition zurecht ein anderes Auftreten der Ampel wünschen und fordern.

Doch Scholz hatte es auf der anderen Seite zurecht satt, allein in Haftung genommen zu werden, für die Fehler der Vergangenheit und der Merkel-Jahre, die nun Bürger und Unternehmen teuer bezahlen. Es war Angela Merkel, die aus der Atomenergie aussteigen wollte. Damals übrigens zusammen mit der FDP, die sich heute auch nicht mehr so gut daran erinnern kann. Es war auch Kanzlerin Merkel, die trotz Atomausstieg die Förderung und den Ausbau der erneuerbaren Energien schleifen ließ und auch noch den Kohleausstieg anging. Es war Kanzlerin Merkel, die auch nach der Annexion der Krim weiter auf billiges russisches Gas und Öl als Basis unseres wirtschaftlichen Erfolges setzte. Die SPD war zwar fast immer mit dabei. Aber die Kanzlerin von der CDU hatte die Verantwortung.

Scholz erinnert Union an Fehler unter Merkel

Scholz' Ausbruch war deshalb durchaus verständlich bei der Vergesslichkeit von Friedrich Merz, selbst wenn der heutige CDU-Vorsitzende während der Merkel-Jahre weitgehend nicht politisch aktiv war. Aber dann kniff Scholz. Wie kann er seinem Wirtschaftsminister Robert Habeck durchgehen lassen, auf die Stromproduktion der letzten drei deutschen Atomkraftwerke in der drohenden Energiekrise weitgehend zu verzichten und darüber kein Wort in der Generaldebatte zu verlieren?

Kanzler muss den Weiterbetrieb der AKW durchsetzen

Die Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim in einen technologischen Halbschlaf zu versetzen und den Meiler Emsland am 31. Dezember abzuschalten, ist unvernünftig. Der vielgelobte Pragmatiker Habeck hat eben auch seine ideologischen Grenzen. Die Angst vor der eigenen Basis, gerade in Niedersachsen vor den Landtagswahlen im Oktober zählt mehr als die Versorgungssicherheit mit Strom. Denn was sind Kernkraftwerke wert als Reserve und Vorsorge für Blackouts oder Spannungsschwankungen, wenn man über eine Woche braucht, um sie anzufahren und ans Netz zu bringen.

Wenn Olaf Scholz gerade so in Kämpferlaune ist, sollte er diesem Unsinn ein Ende setzen und seine Richtlinienkompetenz nutzen, die Atommeiler am Netz zu lassen. Und das hätte er schon heute tun müssen. Ansonsten verpufft sehr schnell der Eindruck, er würde alles mit seiner Regierung dafür tun, um eine Energiekrise in Deutschland abzuwenden. Es wäre ein Aufbauprogramm für seinen Gegner Friedrich Merz, der sich sowieso für den besseren Kanzler hält.     

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 07. September 2022 | 12:00 Uhr

212 Kommentare

Normalbuerger am 09.09.2022

@ Peter leider sehen Sie auch hier die Dinge zu einseitig . Dem einzigen , dem die Russland Sanktionen schaden sind wir selbst und die Europäer. Putin lacht sich darüber kaputt , da er genügend andere Absatzmärkte hat in Asien , Afrika und Südamerika. Wir werden ihn also nicht durch diese Sanktionen in DEI Knie zwingen ! Wir massakrieren uns , unsere Industrie unser Volk …., selbst und machen Deutschland kaputt aus falsch verstandener Loyalität. Das unabhängig Machen von russischen Rohstoffen ist eine Legende und wird so schnell nie und nimmer funktionieren, das sollte jetzt jeder Laie begriffen haben . Dem einzigen , vor dem wir kneifen ist der Amerikaner . Er ist der lachende Dritte. Während Russland die Ukraine im Schutt und Asche legt , heizt er den Konflikt weiter an und erobert weitere Absatzmöglichkeiten in Europa für sich . Der einzige Weg ist schnelles Ende durch Verhandlungen, zur Not durch Einfrieren , aber daran haben unsere Freunde die Amerikaner absolut kein Interesse!

Wessi am 09.09.2022

also von Ihnen @ Rocky hätte ich doch schon erwartet, daß sie das Land lieben.Sie tun aber so, als sei unser Land so was wie Ausland.Mich freut, wenn unser Staat ordentlich Geld hat...!

DER Beobachter am 09.09.2022

Für klare Entscheidungen hätte ich nichts gegen eine Wahlpflicht wie in Belgien oder Italien, wobei die aus Gründen auch nicht mehr durchgesetzt wird...

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