Wechselverkehrszeichen an der Bundesstraße B14 weisen 2020 auf Testalarm hin.
Der bisher letzte Warntag fand 2020 statt – und endete in einem Fiasko. Danach sollte alles besser werden, aber teilweise zieht sich die Einrichtung der Warninfrastruktur. Bildrechte: IMAGO / Arnulf Hettrich

20 Jahre Hochwasser in Mitteldeutschland Ausbau der Warninfrastruktur kommt nur stockend voran

10. August 2022, 05:00 Uhr

Damit es bei Naturkatastrophen wie etwa Hochwasser nicht zu Todesopfern kommt, muss die Bevölkerung möglichst schnell gewarnt werden – darüber herrscht Einigkeit. Doch beim Ausbau der Warninfrastruktur kommt es zu Problemen.

Aktuell-Redakteure - Lucas Grothe
Bildrechte: MDR/Markus Geuther

Die Warnung vor Katastrophen-Szenarien wie etwa Fluten, Brände oder Stürme ist wesentlich für den Bevölkerungsschutz. Doch der Ausbau der Warninfrastruktur kommt in Deutschland weiterhin nur langsam voran. Das zeigt sich besonders beim sogenannten Cell Broadcasting. Mit dessen Hilfe können Warnmeldungen an alle in einer Funkzelle eingeloggten Mobiltelefon geschickt werden – zumindest theoretisch. Denn noch funktioniert die Technik in Deutschland nicht. Derzeit plant die Bundesregierung, dass das Cell Broad bundesweit im Februar 2023 freigeschaltet werden soll.

Das muss sie allerdings auch, denn dieser Termin ist im Telekommunikationsgesetz so festgehalten. Erstmals getestet werden soll das System am bundesweiten Warntag im Dezember. Damit der Testbetrieb auch starten kann, arbeiten das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), zwei Bundesministerien, die Bundesnetzagentur und die Mobilfunkanbieter zusammen – wichtig ist also eine gute Koordination.

Warnmeldungen nicht für alle Geräte?

Eigentlich soll das System dazu dienen, auch Menschen zu warnen, die keine Warnapp – etwa die Warnapp Nina – auf ihrem Mobiltelefon installiert haben. Doch Vertreter der AG Kritis weisen auf Mängel hin. Die AG Kritis ist eine unabhängige Arbeitsgruppe, die sich mit IT-Sicherheit vor allem bei der kritischen Infrastruktur beschäftigt.

Wie zwei Vertreter der AG-Kritis in einem Blogeintrag schreiben, ist das geplante System so ausgelegt, dass nur neuere Smartphones eine Warnmeldung erhalten würden. Konkret geht es um die sogenannten Message Identifier, das sind Zahlencodes, die den jeweiligen Typ der Nachricht definieren. Viele ältere Geräte unterstützen laut dem Blockeintrag bei AG Kritis aber keine vierstelligen Nummer, auf denen Cell Broadcasting basiert. Die Verfasser sprechen von weniger als der Hälfte der in Deutschland genutzten Geräte.

Das Bundesinnenministerium (BMI) widersprach den Angaben auf MDR-Anfrage nicht. Es seien sehr viele Akteure beteiligt, sodass es hier immer wieder zu neuen Erkenntnissen im Zuge des Einführungsprozesses kommen könne. "Eine valide Aussage zu allen Cell Broadcast-empfangsbereiten Geräten in Deutschland ist aktuell nicht möglich, da hier viele Faktoren eine Rolle spielen", teilte eine Sprecherin dem MDR mit. Heißt also: Noch ist nicht klar, wer ab Februar Warnmeldungen per Cell Broadcast erhalten wird. Aus dem BMI heißt weiter, es werde über den Empfängerkreis informiert, sobald es belastbare Informationen der Hersteller gebe.

Cell Broadcast: Union macht Druck

Die Union macht bei der Einführung von Cell Broadcast nun Druck. Alexander Throm ist innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktionen von CDU und CSU. Er sagte dem MDR, das Bundesinnenministerin agiere beim Cell Broadcast sehr langsam. "Ich erwarte, dass sie das Cell-Broadcasting so schnell wie möglich – unter Einsatz aller nötigen personellen und finanziellen Ressourcen – einführt", so Throm.

Allerdings: Es war bis vor einem Jahr das CSU-geführte Bundesinnenministerium, das bei der Einführung der Technik jahrelang nicht vorankam. Laut dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Leon Eckert, der für seine Fraktion das Thema Warninfrastruktur beobachtet, hat die Bundesregierung lange Zeit statt auf Cell Broadcast nur auf die Entwicklung der Warnapp Nina gesetzt. Denn die Entwicklung von Cell Broadcasting habe als teuer gegolten. "Doch nach dem Hochwasser im Ahrtal im vergangenen Jahr hat man gemerkt, dass die Technik doch wichtig ist“, sagt Eckert. Die Entwicklung dauert nun leider seine Zeit. Woran genau das liegt, kann ich nicht sagen. Unklar ist bisher auch, welche Handys genau die Warnmeldungen mit Cell Broadcast überhaupt empfangen können."

Gebündelt ist die Warninfrastruktur im sogenannten Modularen Warnsystem (Mowas). Über das System sollen in der Zukunft Warnmeldung eingespeist werden und die Menschen über die Warnapp Nina, das Cell Broadcast, Warnmeldungen über die Medien oder Sirenen alarmiert werden – teilweise funktioniert das schon. Für die konkreten Warnungen vor Katastrophen sind die Länder und Kommunen zuständig, der Bund stellt wiederum einen Großteil der Infrastruktur zur Verfügung.

Kein bundesweiter Überblick zu Sirenen

Im Fokus standen zuletzt auch die Sirenen, von denen viele in den 19 90er Jahren abgebaut worden sind. Doch ein genauer Überblick über das bundesweite Sirenennetz fehlt bisher. Eigentlich wollte die Bundesregierung dafür bis Juni ein Warnmittelkataster anlegen. Aber bisher ist es nicht fertig. Bundesinnenministerium und BBK äußerten sich zu den Gründen auf MDR-Anfrage nicht.

Nach Angaben der Innenministerin in Mitteldeutschland gibt es in Sachsen derzeit rund 3.200 Sirenen und in Sachsen-Anhalt rund 2.000. Thüringen legt aktuelle Zahlen erst im September vor, im Jahr 2020 gab es dort rund 2.300 Sirenen. Die Zahlen aller drei Länder haben sich im Vergleich zum Vorjahr kaum verändert. Doch viele Anlagen sind in Planung oder werden gerade modernisiert.

In Thüringen wurden in diesem und im vergangenen Jahr 756 Anträge auf Modernisierung oder Neubau von Sirenen gestellt. In Sachsen sollen 291 elektronische Sirenen neu errichtet sowie 231 modernisiert werden. In Sachsen-Anhalt sind 850 Umrüstungen und 500 Neuinstallationen geplant.

Sirenen: Streit um Förderprogramm

Für den Ausbau und die Modernisierung des Sirenennetzes hatte der Bund nach der Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ein Förderprogramm in Höhe von 88 Millionen Euro aufgelegt. Dieses stieß auf große Resonanz. Heißt aber auch: Es wird eigentlich noch mehr Fördergeld benötigt. In Sachsen etwa konnten nach Angaben des Innenministeriums lediglich rund ein Drittel der Anträge bewilligt werden. Die Länder forderten deshalb kürzlich den Bund auf, ein neues Programm aufzulegen.

Aus dem Innenministerium in Magdeburg hieß es, man müsse die "Förderung von Sirenenanlagen verstetigen". Das Ministerium in Thüringen verwies auf die zuständige Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Innenminister Georg Maier (SPD) hatte kürzlich im MDR weitere fünf Millionen Euro vom Bund für den Sirenenausbau gefordert. In diesem Jahr erhielt das Bundesland bislang rund die Hälfte dieser Summe.

Im SPD-geführten Bundesinnenministerium (BMI) hält man sich mit Zusagen aber zurück, dort heißt es auf MDR-Anfrage lediglich, man stehe dazu mit den Ländern im Austausch und verweist auf Förderprogramme der Länder. Ein solches hat Sachsen angekündigt. Laut Innenminister Armin Schuster (CDU) sind dafür ab 2023 knapp 4,6 Millionen Euro vorgesehen. Schuster war selber bis vor kurzem Leiter des BBK und damit auch für die Warninfrastruktur in Deutschland mitzuständig.

Kritik kommt auch aus der Opposition im Bundestag: CDU-Politiker Throm sagte dem MDR, die Union wollte das Sirenenförderprogramm gerne weiterführen, die aktuelle Bundesregierung habe aber anscheinend keine Pläne dafür. "Sie lässt die Bundesländer und Kommunen beim Ausbau der Sirenen alleine", so Throm.

Warntag nun im Dezember

Ob die Warninfrastruktur funktioniert, wird sich wohl beim bundesweiten Warntag am 8. Dezember zeigen. Eigentlich war dieser schon für September vorgesehen, wurde dann aber verschoben. Es ist nicht das erste Mal, dass es mit dem Warntag Probleme gibt: 2020 gab es massive Probleme, der Chef des BBK musste danach seinen Platz räumen. 2021 wurde erst gar kein Termin angesetzt. Nun soll alles besser werden – inklusive Sirenenalarm und Warnmeldung.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 27. Juli 2022 | 10:35 Uhr

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