Koalitionsvertrag 2018: "Gesagt, getan?" – Die Bilanz der Großen Koalition. Das Teaserbild zeigt ein Themenbild und trägt den Titel "Gesagt, getan?" – Die Bilanz der Großen Koalition
In unserer Reihe "Gesagt, getan?" fragen wir nach dem Erfolg der Politik von Union und SPD in den vergangenen knapp vier Jahren. Bildrechte: MDR/dpa

Koalitionsvertrag im Check | Teil 3 Die Energiewende stockt

17. September 2021, 10:05 Uhr

Mehr erneuerbare Energie, mehr Energieeffizienz – weg von nuklearen und fossilen Brennstoffen – das war im Kern die energiepolitische Agenda der Großen Koalition. Der Kohleausstieg ist zwar seit 2020 gesetzlich besiegelt. Doch Probleme bei Windenergie, Energieeffizienz und Stromtrassenbau gefährden den Erfolg der Energiewende.

Die Energiewende "sauber, sicher und bezahlbar" fortführen, so hatten CDU, CSU und SPD ihre energiepolitischen Ziele im Koalitionsvertrag von 2018 zusammengefasst. Deutschland sollte die "energieeffizienteste Volkswirtschaft der Welt" werden.

Um den künftigen Strombedarf zu decken, sollte der Ausbau der erneuerbaren Energien "deutlich erhöht" werden. Die Koalition hatte sich außerdem vorgenommen, den Ausbau der Stromnetze zu beschleunigen und "mehr Akzeptanz" für den Netzausbau zu schaffen, etwa durch Verlegung von Erdkabeln.

Wir führen die Energiewende sauber, sicher und bezahlbar fort: Zielstrebiger, effizienter, netzsynchroner und zunehmend marktorientierter Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Koalitionsvertrag, 2018

Auch hatte die Koalition einen Plan zur "Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung" angekündigt. Dabei sollten die Regionen bei der Gestaltung des Kohleausstiegs mitreden können.

Wir gestalten den Wandel gemeinsam mit betroffenen Regionen.

Koalitionsvertrag, 2018

Termin für den Kohleausstieg steht

Gleich 2018 setzte die Bundesregierung eine Kommission für einen "Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung, einschließlich eines Abschlussdatums" ein. In ihrem Abschlussbericht vom Januar 2019 sprach sie sich für ein Ende der Kohleverstromung bis 2038 aus und legte einen detaillierten Ausstiegsplan vor, außerdem ein Konzept, wie die Kohleregionen durch aktive Strukturpolitik zukunftsfähig gemacht werden könnten.

Die Bundesregierung hat aufbauend darauf 2020 das Kohleausstiegsgesetz und das Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen beschlossen. Um den Strukturwandel zu bewältigen, stellt der Bund Milliardensummen bereit. Der Freistaat Sachsen soll demnach 10,1 Milliarden Euro erhalten, Sachsen-Anhalt 4,8 Milliarden. Der Präsident der Industrie- und Handelskammer Halle, Steffen Keitel, kritisierte jedoch, dass Anreize für Investitionen und Innovationen von Unternehmen fehlten. Gefördert würden vor allem Forschungs- und Infrastrukturprojekte.

Straßenbau- und Tourismusprojekte in Mitteldeutschland

Unter den Vorhaben, die mit Kohlemitteln gefördert werden sollen, befinden sich tatsächlich zahlreiche Straßenbau- und Tourismusprojekte. Südlich von Leipzig soll eine Brücke der B2 über den historischen Agra-Park beseitigt und durch einen Tunnel ersetzt werden. In Bitterfeld-Wolfen soll das Spaßbad "Woliday" mit Mitteln aus dem Kohletopf modernisiert werden. Für Bau- und Denkmalpflege im Dessau-Wörlitzer Gartenreich sollen ebenfalls Strukturfördermittel bereitgestellt werden.

Kritik daran kommt aus den Kommunen, die in unmittelbarer Nähe der Abbaugebiete liegen: Man fordert bei der Ausgabe der Kohlegelder eine stärkere Beachtung der "Kernreviere". Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle indes bewertet auch solche Maßnahmen positiv: Die Attraktivität einer Region sei eine wichtige Komponente für die weitere Entwicklung.

Energiewende: Bau von Windkraftanlagen an Land stockt

Bis 2030 sollte der Anteil erneuerbarer Energien im Stromsektor laut dem Koalitionsvertrag auf 65 Prozent gesteigert werden. Der Bau von Windkraftanlagen an Land ist jedoch zuletzt deutlich geringer ausgefallen als von der Koalition geplant.

Gründe dafür sind laut Bundesregierung eine zögerliche planungsrechtliche Ausweisung neuer Flächen und genehmigungsrechtliche Hemmnisse. Windräder an Land haben außerdem viele Gegner – oft wird gegen neue Projekte geklagt. Weite Abstandsregeln zu Siedlungen schließen viele geeignete Flächen aus.

Um die Ausbauziele zu erreichen, hält der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft bis 2030 pro Jahr rund 1.500 neue Windräder an Land für nötig. Deutschlandweit wurden 2020 aber nur rund 770 Windräder genehmigt. Ein Zahlenbeispiel für Mitteldeutschland: In Sachsen-Anhalt wurden 2015 noch 100 neue Windkraftanlagen gebaut, 2019 waren es nur 15.

Laut der Denkfabrik Agora Energiewende kann diese "Ökostromlücke" selbst durch einen stärkeren Ausbau von Photovoltaik und Windenergie auf See nicht geschlossen werden. Die Bundesregierung drohe ihr Erneuerbare-Energien-Ziel für das Jahr 2030 deutlich zu verfehlen, wenn der Zubau von Windkraftanlagen an Land weiterhin stocke.

Abschied von fossilen Brennstoffen kurbelt Stromverbrauch an

Mit dem Abschied von fossilen Brennstoffen wächst zudem der Strombedarf – etwa für Elektromobilität. Im Juli hat das Bundeswirtschaftsministerium seine Verbrauchsprognose für das Jahr 2030 erhöht. Es rechnet nun mit einem Bedarf von rund 650 Terawattstunden – statt wie bisher mit 580. Die neue Prognose bedeutet auch: Es muss noch mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt werden als bisher geplant. Die Zielmarke von 65 Prozent wird noch schwerer zu erreichen.

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Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss bis 2030 fast verdoppelt werden. Das zeigt eine Studie vom Prognos-Institut für Zukunftsfragen. Ein Gespräch mit dem Studienleiter Dr. Andreas Kemmler erklärt, warum.

MDR KULTUR - Das Radio Sa 17.07.2021 15:46Uhr 08:35 min

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Bis zum Jahr 2030 sollte der Stromverbrauch im Vergleich zu 2008 um 30 Prozent sinken – das war das konkrete Ziel von Schwarz-Rot. Dazu müsste der Energiebedarf insbesondere in den Bereichen Gebäude, Industrie und Verkehr massiv verringert werden.

Energieeffizienz: Noch nicht auf Kurs

Um Strom und Wärme effizienter zu nutzen, hat die Bundesregierung eine Vielzahl an Förderprogrammen aufgelegt. Die zum Jahresbeginn 2020 eingeführte steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung etwa schaffte Anreize für mehr Energieeffizienz in Wohngebäuden. Mit der Bundesförderung für effiziente Gebäude vom Januar 2021 wurden bestehende Gebäudeförderprogramme weiterentwickelt.

Eine Tendenz zu einem geringeren Stromverbrauch gibt es indes einzig bei den privaten Haushalten. In der Industrie dagegen stagniert der Energieverbrauch – im Bereich Gewerbe, Handel, Dienstleistungen sowie vor allem im Verkehr sehen Fachleute eher einen gegenläufigen Trend. Selbst Bundesregierung räumte im Ende Juni 2021 veröffentlichten Bericht "Energieeffizienz für eine klimaneutrale Zukunft 2045" ein, dass man bei der Steigerung der Energieeffizienz "noch nicht auf Kurs" liege.

Stromtrassenbau: Viele Hürden, viele Gesetze

Der Ausbau der Stromnetze ist eines der größten Projekte der Energiewende. Er kostet viele Milliarden Euro. Laut Bundesnetzagentur sollen über 7.000 Kilometer an Leitungen gebaut oder modernisiert werden. Aber erst 1.600 Kilometer wurden bisher fertiggestellt, 730 Kilometer sind genehmigt oder im Bau, 4.700 Kilometer stecken in Planungsverfahren.

Die Große Koalition hat unter anderem mit dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) und dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) reagiert. Anfang des Jahres wurde zudem das Bundesbedarfsplangesetz geändert. Damit sollen die in vielen Fällen langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden.

Bürgerinitiativen verzögern Trassenbau

Doch an zahlreichen Orten haben sich Bürgerinitiativen gegen die Stromautobahnen gebildet. Viele zweifeln die Notwendigkeit der Leitungen an. Dazu kommen Klagen und lange Gerichtsverfahren, Streit um Standorte etwa von Konvertern und Umspannwerken. Die einen sind gegen Freileitungen, die anderen gegen Erdkabel. Dabei hatte sich die Große Koalition doch insbesondere durch die Umstellung auf Erdkabel mehr Akzeptanz für den Netzausbau erhofft.

Zudem gibt es immer wieder Streit über Trassenverläufe. Mitte Juni 2021 gab die Thüringer Landesregierung bekannt, dass sie gegen die geplante Trassenführung der Stromtrasse Südlink gerichtlich vorgehen werde. Der geplante Verlauf im Wartburgkreis und im Landkreis Schmalkalden-Meiningen verstoße gegen den "Grundsatz der Geradlinigkeit".

Unabhängig davon hatte der Übertragungsnetzbetreiber Tennet schon im Mai mitgeteilt, dass sich der Bau von Südlink sowieso verzögern werde. Mit einer Fertigstellung vor 2028 ist demzufolge nicht zu rechnen. Zuletzt räumte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel großen Druck beim Ausbau des Stromnetzes ein. Der Leitungsbau dauere lange und sei kompliziert. Trotz vielfältiger Bemühungen hat die Große Koalition ihre Ziele beim Ausbau der Stromnetze also nicht erreicht.

Kohleausstieg ist eingeleitet – Energiewende aber vor hohen Hürden

Die Bilanz der Großen Koalition in Sachen Strukturwandel und Energiewende ist also durchwachsen: Der Kohleausstieg ist seit 2020 Gesetz, für die betroffenen Regionen stehen Milliardensummen bereit. Durch Einsetzen der Kohlekommission ist es gelungen, unterschiedliche Interessen auszugleichen und einen breiten gesellschaftlichen Konsens über die Gestaltung des Kohleausstiegs herzustellen.

In zentralen Punkten der Energiewende hat die Große Koalition ihre selbst gesteckten Ziele jedoch verfehlt: Beim Bau von Stromleitungen gibt es erhebliche Verzögerungen. Auch der Ausbau der Windkraft kommt nicht schnell genug voran. Bei Beratungen von Bund und Ländern Anfang Juni sagte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke: Wenn es so weitergehe, werde die Energiewende scheitern. Und das, obwohl die Große Koalition in diesen Bereichen bereits mehrfach Nachbesserungen vorgenommen hat.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | artour – Sommertour Oberlausitz – "Region im Wandel" | 29. Juli 2021 | 22:10 Uhr

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