Schadensersatz 750 Millionen Dollar: Bosnischer Clan verklagt VW

21. November 2019, 15:32 Uhr

Eine Millionenklage in den USA facht den Streit zwischen Volkswagen und dem Zulieferer Prevent erneut an. Hinter der Firmengruppe steckt die bosnische Familie Hastor: in Deutschland gefürchtet, in der Heimat geliebt.

Seit Jahren liegen Volkswagen und die bosnische Investorenfamilie Hastor im Clinch. Jetzt ist der Dauerstreit zwischen dem Branchenriesen und der Hastor-Gruppe Prevent endgültig eskaliert: Die Firmengruppe wirft dem Wolfsburger Autobauer vor, in den USA größere Zulieferer wie Prevent mit unfairen Mitteln an der Übernahme kleinerer Wettbewerber gehindert zu haben. Prevent verlangt nach eigenen Angaben 750 Millionen Dollar Schadensersatz, umgerechnet rund 678 Mio Euro. Kleinere Lieferanten hätten dem deutschen Konzern zusichern müssen, sich von Prevent nicht aufkaufen zu lassen. Mit dieser Praxis habe VW die Kosten senken wollen. Die Firmen hätten sich dem Druck beugen müssen, andernfalls habe ihnen die Insolvenz gedroht, teilte Prevent mit.

Volkswagen weist die Vorwürfe zurück. "Wir werden uns mit allen gerichtlichen Mitteln dagegen zur Wehr setzen. Aus unserer Sicht haben nicht wir Prevent Schäden zugefügt, sondern Prevent uns", erklärte das Wolfsburger Unternehmen.

Feindliche Übernahmen und Stellenabbau

Die Gruppe, hinter dem die bosnisch-stämmige Unternehmerfamilie Hastor steht, hat sich in Deutschland einen zweifelhaften Namen gemacht. Zuletzt scheiterte die umstrittene Übernahme des Autozulieferers Grammer, mit Zweigwerk in Zwickau. Der Milliardär versuchte den drei Mal größeren Mittelständler aus der Oberpfalz zu übernehmen. Allerdings gab Hastor kein Gebot für das Unternehmen ab, sondern ließ über ein Tochterunternehmen seiner beiden Söhne verdeckt über zwanzig Prozent der Anteile aufkaufen und versuchte, den Vorstand auszutauschen. Das Vorgehen löste öffentliche Empörung bei Grammer-Mitarbeitern, Gewerkschaftern und Politikern aus.

Viele Mitarbeiter fürchteten um ihren Job. Bei ähnlichen Übernahmen in den Vorjahren hatte Hastor immer Stellen abbauen und Arbeitsplätze nach Bosnien-Herzegowina verlegen lassen. Gewerkschafter sprachen von einer "feindlichen Übernahme", die an die Finanzindustrie erinnere. Es folgte bei Grammer eine Kampfabstimmung auf der Hauptversammlung im Mai, Hastors Leute verloren.

Hastor legte Weltkonzern VW lahm

In die Schlagzeilen geriet die Hastor-Gruppe auch im Sommer 2016. Es war der Auftakt des Dauerkrachs mit VW. Mit einem Lieferboykott legte Prevent damals die Produktion von Volkswagen zeitweise lahm. Auch die Mitteldeutschen Prevent-Töchter Neue Halberg Guss in Leipzig und ES Automobilguss GmbH aus dem sächsischen Schönheide waren in den Streit verwickelt.

Der Wolfsburger Autohersteller reagierte: Prevent habe Volkswagen durch unrechtmäßige Lieferstopps mehrfach in Zwangslagen gebracht und schweren Schaden zugefügt. "Daraufhin haben wir uns entschieden, die Zusammenarbeit mit der Prevent-Gruppe zu beenden und die entsprechenden Schritte eingeleitet." Dabei hatte VW selbst die Hastors erst groß gemacht.

Wurzeln in Sattlerei

Prevent hat seine Wurzeln 1952 in einer Sattlerei in Sloveni Grad im ehemaligen Jugoslawien. 1976 wurde VW dort Kunde für Sitzbezüge. 1992 zog das Unternehmen nach Wolfsburg um. Inzwischen gehören etwa drei Dutzend Firmen mit annähernd 12.000 Mitarbeitern rund um den Globus zum Firmengeflecht des Ingenieurs Nijaz Hastor und seiner Söhne Kenan und Damir. Die Firmengruppe baut Sitze, Getriebeteile und andere Komponenten für VW, Mercedes, BMW und andere Hersteller. In Bosnien-Herzegowina ist die Prevent Group heute eines der größten privaten Unternehmen. Umsatz und Gewinn der Firmengruppe sind nicht bekannt.

In Deutschland gefürchtet - in Bosnien geliebt

In Deutschland gilt er so manchem als "Hastorenschreck", wie ein Gewerkschafter im April 2018 auf ein Protestplakat pinselte. Hastor scheint sich davon nicht beeindrucken zu lassen. In seiner Heimat Bosnien-Herzegowina gilt er als Vorzeigeunternehmer und Philanthrop.

Prevent ist der größte Arbeitgeber des Landes. 6.500 Mitarbeiter beschäftigt die Firma dort. Alleine 1.500 davon in ihrem modernsten Werk in Goražde, nahe der Grenze zu Serbien und Montenegro. Die Arbeitsbedingungen gelten als gut, der Lohn liegt über dem bosnischen Durchschnitt.

"Ich bin zufrieden. Ich habe Arbeit. Und das in einer Firma, in der die verschiedenen Volksgruppen wieder zusammen kommen", sagt Mitarbeiter Mario. Letzteres ist in Bosnien-Herzegowina eine Besonderheit. In der Prevent-Fabrik in Goražde arbeiten auch hunderte Menschen aus der "Republika Srpska", dem serbischen Teil Bosniens, mit dem ehemals verfeindeten bosnischen Muslimen friedlich zusammen, wie die Fabrikleiterin Leila unterstreicht:

Jeder Mensch will eine Chance und bei uns gibt es sie, zu arbeiten und davon leben zu können. Egal, ob aus der Republika Srpska oder anderswo. Egal, ob Mann oder Frau oder welche Hautfarbe. Bei uns spielt das keine Rolle.

Soziales Engagement bringt Ansehen

Hastor zeigt und äußert sich zwar kaum in der Öffentlichkeit, sein Einsatz gegen Nationalismus und für eine Versöhnung der ehemals verfeindeten Volksgruppen bringt ihm jedoch große Anerkennung ein. Neben Jobs sorgt der Unternehmer auch mit seiner "Nijaz Hastor-Foundation" für seinen ausgesprochen guten Ruf in Bosnien-Herzegowina.

Die Stiftung ermöglicht mehr als 1.500 jungen Bosniern per Stipendium ein Hochschulstudium. So soll der massiven Abwanderung aus dem Land etwas entgegengesetzt werden, in dem 60 Prozent der jungen Menschen arbeitslos sind. Jobs, Perspektiven, Versöhnung: In Bosnien-Herzegowina gilt Nijaz Hastor dank seines Engagements als Hoffnungsträger.

me

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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 19. Oktober 2018 | 14:30 Uhr

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