21. Verhandlungstag Halle-Attentäter: Generalbundesanwalt fordert die Höchststrafe

18. November 2020, 20:12 Uhr

Im Prozess gegen den Halle-Attentäter plädiert der Generalbundesanwalt für eine lebenslängliche Freiheitsstrafe: Der Anschlag sei einer der "widerwärtigsten antisemitischen Akte" seit dem Zweiten Weltkrieg. Beim Angeklagten sei eine besondere Schwere der Schuld festzustellen, argumentiert der Bundesanwalt.

Der Generalbundesanwalt fordert eine lebenslängliche Freiheitsstrafe für den Attentäter von Halle. Das hat Oberstaatsanwalt Kai Lohse am Mittwoch am Ende eines mehrstündigen Plädoyers vor Gericht erklärt. Lohse sagte, beim Angeklagten sei einer besondere Schwere der Schuld festzustellen. Für ihn sei anschließende Sicherungsverwahrung anzuordnen, sagte Lohse. Damit forderte der Oberstaatsanwalt die Höchststrafe.

Der Attentäter sei verantwortlich für einen der "widerwärtigsten antisemitischen Akte" seit dem Zweiten Weltkrieg. Der versuchte Anschlag auf die mit 51 Gläubigen besetzte Synagoge stelle einen versuchten Mord in "51 tateinheitlichen Fällen dar", argumentierte Lohse. Die tödlichen Schüsse auf Jana L. und Kevin S. werden demnach als heimtückischer Mord aus niederen Beweggründen gewertet.

Der Angeklagte sei des Mordes in zwei Fällen, das versuchten Mordes in vier zusammentreffenden Fällen sowie des versuchten Mordes in 51 Fällen schuldig. Hinzu kommen laut Generalbundesanwalt versuchter Mord in zwei weiteren Fällen, schwere räuberische Erpressung, fahrlässige Körperverletzung und Körperverletzung.

Zu Gunsten des Angeklagten ist zu bewerten, dass er nicht vorbestraft ist und mehrheitlich geständig ist. Die Wertigkeit wird jedoch davon behindert, dass sein Geständnis nicht von Reue und Einsicht geprägt war.

Kai Lohse Oberstaatsanwalt

Im juristischen Sinne sei Stephan B. ein Einzeltäter, sagte Lohse. Es gebe keine Hinweise darauf, dass es bei der Planung und Umsetzung seiner Tat Mitwisser und Mittäter gegeben habe. In einem nicht-juristischen Sinne fühle sich der Angeklagte aber offenbar als Teil eines Netzwerks. Durch das Filmen seiner Tat habe er sich in eine Liste von Anschlägen einreihen und Nachahmer ansprechen wollen. Das habe die Hauptverhandlung gezeigt, sagte der Oberstaatsanwalt.

Bundesanwalt: "Das war eine Tat auf uns alle"

In seinem Schlussvortrag sprach Lohse nicht nur von den zwei Todesopfern des Attentats. Er sprach auch von denen, denen der Attentäter mit seiner Tat psychische Wunden zugefügt habe. Die Tat sei eine Tat "auf uns alle" gewesen. Die hier lebenden jüdischen Menschen seien ein Teil von uns, sagte Lohse. Das zeige die Welle der Solidarität, die es nach dem Anschlag gegeben habe.

Bevor voraussichtlich im Dezember ein Urteil gegen den Halle-Attentäter gesprochen wird, werden noch die Verteidigung und die 21 Nebenklage-Anwälte Plädoyers halten. Das Gericht geht davon aus, dass dafür mehrere Tage nötig sein werden.

Extremismusforscher: Attentat in einer Reihe mit Christchurch und Utøya

Zuvor war am Mittwochmittag die Beweisaufnahme in dem Verfahren geschlossen worden. Am Vormittag hatte das Gericht noch den Soziologen Matthias Quent vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena als Sachverständigen gehört. Quent forscht nach eigenen Worten seit 15 Jahren zu Extremismus. Vor Gericht sagte er, der Anschlag von Halle sei in einer Reihe mit denen aus der norwegischen Insel Utøya und im neuseeländischen Christchurch zu sehen.

Der Attentäter von Christchurch habe sich auf den Norwegen-Attentäter Breivik bezogen, Stephan B. wiederum habe sich auf den Attentäter von Christchurch bezogen. Diese weltweiten Attentate hätten viel mit der Vernetzung der Attentäter über soziale Netzwerke zu tun, sagte Quent.

Beim 20. Verhandlungstag am Dienstag war die Verteidigung mit zwei Anträgen gescheitert: Das Oberlandesgericht in Naumburg hatte einen Befangenheitsantrag gegen den psychiatrischen Gutachter abgelehnt. Auch hatten die Richter den Antrag der Verteidigung abgewiesen, das Verfahren auszusetzen.

Hintergrund: Das Gerichtsverfahren

Seit Juli läuft vor dem Oberlandesgericht Naumburg der Prozess um den Anschlag auf die Synagoge von Halle. Aus Platzgründen wird der Prozess aber in den Räumen des Landgerichts in Magdeburg geführt. Dort steht der größte Gerichtssaal Sachsen-Anhalts zur Verfügung.

Der 28-jährige Stephan B. hatte gestanden, am 9. Oktober 2019 schwer bewaffnet versucht zu haben, die Synagoge von Halle zu stürmen und ein Massaker anzurichten. Darin feierten gerade 52 Menschen den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Der Attentäter scheiterte jedoch an der Tür, erschoss daraufhin eine Passantin, die zufällig an der Synagoge vorbei kam, und später einen jungen Mann in einem Döner-Imbiss.

Stephan B. ist wegen zweifachen Mordes, versuchten Mordes in 68 Fällen, versuchter räuberische Erpressung mit Todesfolge, gefährlicher Körperverletzung, fahrlässiger Körperverletzung und Volksverhetzung angeklagt.

Quelle: MDR/ld

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 18. November 2020 | 17:00 Uhr

9 Kommentare

Magdeburg1963 am 19.11.2020

Die Bühne sehe ich nicht. Richtig ist, dass die Hintergründe der Tat zu ermitteln waren. Das ist unter anderem Inhalt eines Gerichtsverfahrens. Ob die Anzahl der Verhandlungstage notwendig war, sei dahin gestellt.
Das gestrige Plädoyier war das folgerichtige "Finale" der Vielzahl von Verhandlungstagen. Wünschenswert wäre, wenn sich die Nebenkläger der Bundestaatsanwaltschaft kurz und knapp anschließen.

MDR-Team am 19.11.2020

Die Verantwortung bei der Berichterstattung ist uns bewusst. Lesen Sie hier mehr dazu: https://www.mdr.de/sachsen-anhalt/magdeburg/magdeburg/reportage-erster-prozesstag-gegen-mutmasslichen-halle-attentaeter-stephan-b-100.html

Haller am 18.11.2020

"sollte ausschließlich der juristische Sinn eine Rolle spielen und nicht irgendwelche nichtjuristischen Konstruktionen" ... im aktuellen war es aber so, dass viele Sachverhalte sich materiell nicht in der Beweiserhebung wiederfinden.

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