Daniele Wallwitz steht in der Landbäckerei Schulle in Hohenwarthe neben einer Auslage mit Broten.
Bäckermeisterin Daniela Wallwitz fühlt sich durch die viele Bürokratie belastet. Bildrechte: MDR/Leonard Schubert

Meldeportal "Es gibt Anträge für Anträge für Anträge" – Deshalb will Sachsen-Anhalt Bürokratie abbauen

14. Mai 2024, 09:23 Uhr

Viele Handwerker, Bauern und Unternehmer aus Sachsen-Anhalt klagen über die Belastung durch ausufernde Bürokratie, so auch die Landbäckerei Schulle aus Hohenwarthe. Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt will überflüssige Auflagen abbauen und hat unter anderem eine Hotline geschaltet. "Davon kommt bisher nichts an", meint die Handwerkskammer in Magdeburg.

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Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

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Eine kleine Küche hinter einer Auslage mit Broten, Brötchen und süßem Gebäck. Auf dem Tisch ein kariertes Tischtuch und ein Glas Wasser, in der Luft: jede Menge Frust. Hier in der Landbäckerei Schulle in Hohenwarthe bricht der Ärger aus Inhaber Eberhard Schulle heraus: "Ich will dazu nichts sagen. Das regt mich nur auf!", meint er, und verschwindet, um frische Luft zu schnappen.

Das Thema, das Schulle so ärgert: Bürokratie. "Es ist einfach zu viel geworden in den letzten Jahren", erklärt Tochter und Bäckermeisterin Daniela Wallwitz. "Inzwischen gibt es Anträge für Anträge für Anträge", erzählt sie. "Man fühlt sich ständig misstraut und kontrolliert. Das macht einem das Arbeiten nicht nur teuer, sondern sehr schwer."

Daniela Wallwitz steht neben einem großen Schrank voller Akten.
Daniela Wallwitz empfindet die vielen Vorschriften und Akten als belastend. Bildrechte: MDR/Leonard Schubert

Die Bürokratie nimmt überhand

Eigentlich will man hier in der Bäckerei Schulle einfach nur gute Brötchen backen und davon leben können. Aber das sei zuletzt kaum noch möglich, meint Wallwitz. Beim Backen fange es an. Die Kühlketten der Zutaten müssten minutiös protokolliert werden. Bei neuen Rezepten brauche es ausführliche Etiketten, auf der alle Inhaltsstoffe in exakt vorgeschriebener Weise dokumentiert würden. Und das Messer, das das Brot schneidet, habe zeitweise keinen Griff aus Holz, dann wieder keinen aus Kunststoff haben dürfen – wegen möglicher Schadstoffe.

"Es sind so viele Kleinigkeiten, auf die man permanent achten muss. Man hat ständig Angst, etwas zu vergessen oder falsch zu machen. Man kommt gar nicht mehr richtig runter. Dabei haben wir doch schon immer darauf geachtet, gute Produkte anzubieten und sauber zu arbeiten", meint die Bäckermeisterin. Das permanente Misstrauen der Behörden, dass sie nicht ordentlich arbeiten könnten, sei schlimm.

Ein Teil der Backstube der Landbäckerei Schulle in Hohenwarthe.
Für die Backstube herrschen strenge Auflagen. Bildrechte: MDR/Leonard Schubert

Vorschriften schwer verständlich und umsetzbar

Nach dem Backen gehe es mit den Vorschriften weiter. Die verkauften Waren müssten doppelt- und dreifach registriert werden. In den vergangenen Jahren habe die Bäckerei sich schon viermal neue Kassen kaufen müssen, die die Rechnungen elektronisch speicherten und per W-Lan übermittelten. Trotzdem müssten sie zusätzlich handschriftlich Buch führen. Beim Coffee-To-Go gelte ein anderer Mehrwertsteuersatz als beim Kaffee, der in der Bäckerei getrunken wird. Selbst die Milchportionen im Kaffee müssten genau abgerechnet werden.

Kleine Betriebe träfen die ganzen Regelungen besonders hart. Denn größere Betriebe könnten sich Fachleute einstellen, die sich um die Vorgaben kümmerten. Hier im Vier-Mann-Betrieb der Bäckerei Schulle müsse man sich um alles selbst kümmern. Vieles davon sei schwer verständlich.

Ein Cafébereich in der Landbäckerei Schulle in Hohenwarthe.
Im Café gilt ein anderer Mehrwertsteuersatz für Kaffee als beim Kaffee zum Mitnehmen. Bildrechte: MDR/Leonard Schubert

"Irgendwie haben wir gar keine Chance mehr, uns richtig auf unseren Job zu konzentrieren, weil wir ständig am Computer sitzen, irgendwelche Bücher und Formulare ausfüllen oder Anträge stellen müssen", meint Wallwitz. Bürokratie an sich sei nicht verkehrt, aber der aktuelle Stand sei einfach zu viel. Der ganze Aufwand mache sich am Ende auch bei den Preisen bemerkbar – dabei wolle man gute Produkte zu fairen Preisen anbieten.

Handwerkskammer fordert mutigen Bürokratie-Abbau

In der Handwerkskammer von Magdeburg kennt man Probleme wie die der Bäckerei Schulle genau. Die Schwierigkeiten seien letztlich überall gleich, aber je kleiner der Betrieb sei, desto größer sei die Betroffenheit, meint Hauptgeschäftsführer Burghard Grupe. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hat deshalb gefordert, überflüssige Bürokratie abzubauen.

Burghard Grupe
Burghard Grupe von der Handwerkskammer Magdeburg fordert einen konsequenten Bürokratieabbau. (Archivbild) Bildrechte: Handwerkskammer Magdeburg

Im Maßnahmenpapier "Bürokratie neu denken. Freiräume schaffen" fordert der Zentralverband unter anderem praxisnähere und verständlichere bürokratische Vorgaben, mehr Vertrauen in die Betriebe, die Streichung von Vorschriften und eine einfachere, digitalere und einheitliche Möglichkeit zur Verwaltung.

Grupe erklärt, die Politik trete bislang aber auf der Stelle. "Spürbare Entlastungen brauchen mehr politischen Mut, ein konsequenteres Handeln und eine ambitionierte Entlastungsstrategie." Es sei an der Zeit, die Vorschläge des Zentralverbands umzusetzen.

Wirtschaftsminister Schulze will Bürokratie-Abbau fördern

Der Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, Sven Schulze (CDU), erkennt die Probleme der Betriebe an. Er antwortete auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT, er sehe ebenfalls, dass Bürokratie an einigen Stellen ein Übermaß angenommen habe, das nicht mehr akzeptabel sei. Es sei Aufgabe der Politik, dieses Problem zu lösen und für Entlastung zu sorgen.

Sven Schulze (CDU), Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten von Sachsen-​Anhalt, sitzt in einer Pressekonferenz zum Abschluss der dreitägigen Agrarministerkonferenz im Dorint Hotel am Dom. 1 min
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Laut Schulze müssen vor allem kleine Betriebe entlastet werden. Es gebe viel Verbesserungspotenzial. Das betreffe insbesondere Dokumentations- und Nachweispflichten, den Fortschritt bei der Digitalisierung und die Abschaffung überflüssiger Maßnahmen. "Wir müssen schauen: Sind kleine Betriebe überhaupt in der Lage, Dinge umzusetzen, die auf den Weg gebracht werden? Und muss es unbedingt sein, dass jedes kleine Unternehmen die gleichen Vorgaben bekommt, wie ein Großunternehmen?"

Die Landesregierung habe deshalb im Rahmen der Koalitionsverhandlungen festgelegt, nicht noch mehr Bürokratie zu erzeugen, sondern idealerweise Bürokratie abzubauen. Dabei wolle man auch Bürgerinnen und Bürger involvieren – denn die wüssten häufig am besten, wo zu viel Bürokratie vorhanden sei und was man ändern müsse. Deshalb habe die Landesregierung eine Kampagne gestartet und eine Hotline ins Leben gerufen, bei der man problematische Bürokratie melden könne.

Bäckerei Schulle: Aufgeben keine Option

In der Küche der Landbäckerei Schulle muss Daniela Wallwitz schmunzeln, wenn sie von dem "Bürokratiemelder" hört. Sie sagt, sie wünsche sich weniger Bürokratie und mehr Vertrauen – natürlich. "Dass die Vorgänge alle wieder etwas einfacher werden." Aber daran, dass die Landesregierung oder der Bürokratiemelder die Situation verbessern, glaubt sie nicht. "Es ist in den letzten Jahren ja immer mehr geworden. Das funktioniert nicht", meint sie.

Eine Kundin kauft in der Landbäckerei Schulle in Hohenwarthe bei Daniela Wallwitz ein.
Aufhören kommt für Daniela Wallwitz nicht in Frage – schon wegen der Kunden nicht. Bildrechte: MDR/Leonard Schubert

Trotz des Frustes kommt für sie und ihren Bruder Aufhören überhaupt nicht in Frage. Dazu liebt sie ihren Beruf zu sehr. Das Backen, den Kontakt zu den Kundinnen und Kunden, ihr Beitrag zur Gemeinschaft. Klar sei es gerade nicht immer einfach. Aber verbittert zu werden helfe auch nicht weiter. "Die Bäckerei gibt es schon seit über 100 Jahren", meint sie. Auch jetzt werde es weitergehen. Hoffentlich mit weniger Bürokratie.

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MDR (Leonard Schubert) | Erstmals veröffentlicht am 13.05.2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 13. Mai 2024 | 08:30 Uhr

29 Kommentare

Georg11 vor 2 Wochen

Bürokratieabbau wird nicht gelingen. Es gibt Menschen, die davon leben, neue Regeln zu erfinden, diese auzugestalten, zu überwachen, zu evaluieren, wieder zu ändern, neu zu evaluieren, wieder anzupassen und so weiter und so fort. Diese sind oft recht nahe an der Politik beschäftigt. Würde man Bürokratie abschaffen wollen, müsste man hier Einschnitte vornehmen. Es ist mittlerweile ein sich selbst perpetuierendes System geworden. Ein weiterer Grund ist Politik selber. Politik ist davon geprägt, dass „irgendjemand“ „irgendein“ Problem an Politik heranträgt und Politik dies mit einem gesetz, einer Verordnung etc. regeln möchte. Hier kommt noch dazu, dass es in der Politik viel zu wenig Sachverstand an sich gibt, d.h., Menschen, die vor dem Eintritt in die Politik ein oder zwei Jahrzehnte politikfern berufstätig waren. Die Experten, die sachfremde Politiker dann oft befragen, profitieren aber selber wieder von den Regeln, da sie diese ausarbeiten, evaluieren, anpassen etc.

goffman vor 2 Wochen

Wenn man mal die konkreten Gesetze anschaut, sind es aber eher die konservativen und wirtschafts-„liberalen“, die für Bürokratie sorgen.
Beispiele?
1. Bezahlkarte für Asylbewerber. Nicht nur, dass bei jeder Transaktion Gebühren an den Zahlungsdienstleister fällig werden (oftmals im Ausland), die Ausgabe von Bargeld ist ja trotzdem noch wichtig. Doppelstrukturen, die man sich hätte sparen können.
2. Verbrennungsmotoren, Gasheizungen. Klimaneutralität 2045 ist damit nicht erreichbar. D.h., eine Gasheizung, die wir jetzt neu einbauen, wird vor ihrem Lebensende ersetzt werden müssen. Ein simples Verbot, z.B. ab 2030, hätte Planungssicherheit für die Unternehmen und Bürger geschaffen und die heimische Produktion und Entwicklung, zukunftsfähiger Technologien gefördert. Stattdessen gibt es jetzt, vor allem durch die FDP im Bund und die Union in der EU enorme bürokratische Vorgaben.
3. Vorgaben für den Bau von Windkraftanlagen - die sind durch die Union explodiert.

goffman vor 2 Wochen

Warum gibt es Bürokratie?
Gute Frage. Von Nutzen ist Bürokratie vor allem für heimische, sehr große Unternehmen.

Für kleine Unternehmen ist der Aufwand anteilig größer, oft kaum zu bewältigen und ausländischen Unternehmen sind die Regularien entweder nicht bekannt, oder sie können sie nicht erfüllen.

Bürokratie verzerrt damit den Markt zugunsten der sehr großen, heimischen Unternehmen. Einen gewissen Einfluss durch deren Lobby würde ich erwarten.

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