In Wittenberg gegründet Mit Suchmaschine "Ecosia" gegen den Klimawandel

13. August 2019, 13:42 Uhr

Christian Kroll aus Wittenberg will mit seiner Suchmaschine Ecosia gegen den Klimawandel vorgehen. Und ganz nebenbei stellt sein Unternehmen eine grundsätzliche Frage: Ist unser Wirtschaftssystem angesichts des Klimawandels das richtige?

Bescheiden ist das Adjektiv, das einem bei Christian Kroll einfällt. Er ist 35 Jahre alt, in Wittenberg geboren, trägt als Chef eines Millionen-Unternehmens praktisch nur T-Shirts und fährt nur Fahrrad oder Bahn. Selbst ob seine Suchmaschine Ecosia auf dem O oder auf dem I betont wird, ist ihm egal: "Hauptsache, die Menschen benutzen es."

Das Besondere an Ecosia: Sie ist die erste ökologische Suchmaschine und spendet 80 Prozent der Einnahmen an Baumpflanz-Projekte weltweit. "Diese Bäume helfen dabei, dass es den Menschen vor Ort besser geht und sie helfen auch gegen den Klimawandel", sagt Christian Kroll. Gegründet hat er Ecosia 2010 in Wittenberg, seit 2015 hat die Firma ihren Sitz in Berlin und beschäftigt heute fast 50 Menschen.

Das Geschäftsmodell

Die Suchergebnisse von Ecosia werden von Microsofts Suchmaschine Bing geliefert. Und Ecosias Geschäftsmodell funktioniert wie bei jeder anderen Suchmaschine: Firmen buchen bei Bing Suchbegriffe, damit die Firmenseite als Werbung oben auf der Ergebnisseite angezeigt wird. Für jeden Klick zahlen die Firmen Geld. Ein Riesenmarkt, wenn allein Ecosia - mit einem verschwindend kleinen weltweiten Marktanteil - fast anderthalb Millionen Euro monatlich einnimmt.

Und so hat Ecosia mittlerweile fast 65 Millionen Bäume gepflanzt. In mehr als 17 Ländern, vor allem in Entwicklungsländern. "Dort bekommt man quasi mehr Baum fürs Geld", sagt Christian. "Unser Tree Planting Officer überprüft vor Ort, ob die Bäume auch angepflanzt werden und dass sie stehen bleiben. Er hat den besten Job der Welt." Ecosia schaut nicht nur auf die Zahl der Bäume, auch andere Kriterien spielen eine Rolle: Zum Beispiel, dass das Projekt, das die Bäume pflanzt, auch faire Gehälter zahlt, keine Kinder arbeiten lässt und keine Monokultur anpflanzt.

CO2-neutral ist nicht genug

Und auch bei Ecosia selbst wird ganzheitlich gedacht, sagt Christian. "Wir beziehen den Strom für unsere Server aus erneuerbaren Energien." Ecosia hat selbst Solaranlagen gebaut; allein in den nächsten drei Jahren sollen acht Millionen Euro in neue Solaranlagen investiert werden.

Unser Ziel ist es nicht, ein bisschen weniger schlecht zu sein, sondern massiv Gutes zu tun.

Christian Kroll

Deshalb neutralisiert Ecosia auch den CO2-Ausstoß, der von den Servern von Microsoft verursacht wird. Und auch beim Programmieren achtet Ecosia auf die Umwelt. Christian drängt auf schlanken Code: "Denn schlechter Code verursacht mehr Rechenleistung. Damit würden unsere Serverkosten steigen. Das Geld stecken wir aber lieber in Bäume als in Server." So würde jede Suche mit Ecosia der Atmosphäre ein Kilogramm Kohlendioxid entziehen, hat Christian ausgerechnet.

Die Arbeit als Non-Profit-Unternehmen ohne Aktionäre, ohne Gewinnausschüttung – all das ist für Christian selbstverständlich: "Jedes Internetunternehmen kann CO2-neutral arbeiten." Das Internet sei die Zukunft, und auch die Lösung des Klimawandels sei die Zukunft: "Beides darf nicht in gegensätzliche Richtung gehen."

Allerdings ist nicht jedes Internetunternehmen so organisiert wie Ecosia: Auch wenn Christian Ecosia gegründet hat und Geschäftsführer ist, gehören 99 Prozent des Kapitals der GmbH mittlerweile der Purpose Stiftung. Außerdem gehört der Stiftung ein Prozent der Stimmrechte. So ist sichergestellt, dass Ecosia nicht von einer anderen Firma gekauft werden kann und seinen Unternehmenszweck – das Pflanzen von Bäumen mithilfe von Geld, das die Suchmaschine abwirft – nicht verändert werden kann.

Einer Zeitschrift sagt Christian sogar, Ecosia hätte sich dem Kapitalismus erfolgreich entzogen. "Wir zahlen marktübliche Gehälter, aber wir sind und waren nie ein exit-getriebenes Start-Up, das so viel Gewinn wie möglich abwerfen sollte. Den Druck machen bei uns keine Investoren, sondern wir. Weil wir den Klimawandel lösen wollen", sagt Christian. Dabei setzt er auf maximale Transparenz: Jeden Monat veröffentlicht Ecosia seine Finanzkennzahlen.

Immer mehr?

Ecosia versteht sich als gemeinwohlorientiertes Unternehmen. Christian stellt damit eine der großen Fragen: Müssen Unternehmen grundsätzlich immer wachsen? "Wir müssen als Gesellschaft von der Idee wegkommen, jedes Jahr ein neues Smartphone zu haben. Es bringt nichts, in einer wachsenden Wirtschaft zu sein, die den Planeten ruiniert." Sein Smartphone sei sechs Jahre alt und er sei nach wie vor glücklich damit. Der Politik und dem Staat falle die Aufgabe zu, gewisse Dinge zu verbieten oder bestimmte Anreize zu setzen. Am Beispiel Smartphone sagt Christian: "Das Reparieren kann man steuerlich vergünstigen – den Neukauf teurer machen."

Entrepreneurs for future

Und so ist es für Christian selbstverständlich, die "Fridays for future" Bewegung zu unterstützen - als Teil von "Entrepreneurs for future". Und Christian hat sogar dem Energiekonzern RWE eine Million Euro für den umstrittenen Hambacher Forst geboten – öffentlichkeitswirksam aber ernstgemeint. Seit es "Fridays for future" gibt, seien die Zugriffszahlen bei Ecosia gestiegen.

Natürlich merken auch wir etwas von der Welle. Aber wir sind vor allem dankbar, dass es die Bewegung gibt. Die jungen Menschen haben erkannt, was da auf uns zukommt.

Christian Kroll

Die Zukunft

Eines der nächsten Ziele von Ecosia: Wenn jemand nach einer Reise sucht, will die Suchmaschine die nachhaltige Art bevorzugt anzeigen. "Wir wollen Leuten helfen, nachhaltig zu handeln. In Europa kommt man mit dem Zug fast überall hin. Man muss ein bisschen umdenken, aber es ist kein tiefer Einschnitt in die Lebensqualität", sagt Christian. Was für ihn in Zukunft allerdings nicht auf dem Plan steht: die Rückkehr nach Wittenberg: "Berlin hat eine andere Energie, wenn man ein Startup gründen möchte. Wittenberg ist eine schöne Stadt, vielleicht ziehe ich auch mal zurück. Aber je nach dem, was man für sein eigenes Leben gerade sucht, wird eine Stadt relevant. Und das ist für mich gerade Berlin und sein Startup-Ökosystem."

Über Christian Kroll

Christian Kroll wird 1984 in Wittenberg geboren, ist dort zur Schule gegangen. Schon mit 16 handelt er am Computer Zuhause mit Aktien – ohne ein ökologisches oder soziales Gewissen. Christian studiert in Nürnberg BWL und merkt dort, dass seine Kommilitonen nicht wirklich glücklich und reflektiert sind. Auf Reisen sieht er, wie der Regenwald wegen Soja und Palmöl abgeholzt oder abgebrannt wird. Er zieht sein Studium durch, scheitert daran, in Nepal eine Suchmaschine zu gründen. Forestle und auch Znout – der Vorgänger von Ecosia – muss nach ein paar Wochen wieder schließen, weil Suchanbieter Google die Zusammenarbeit aufkündigt. 2009 gründet Christian dann ecosia. Ecosia hat mittlerweile fast 65 Millionen Bäume gepflanzt, im Juni fast 1,5 Millionen Euro eingenommen und veröffentlicht jeden Monat seine Finanzen.

Der Autor Marcel Roth Marcel Roth arbeitet seit 2008 als Redakteur und Reporter bei MDR SACHSEN-ANHALT - Das Radio wie wir. Nach seinem Abitur hat der gebürtige Magdeburger Zivildienst im Behindertenwohnheim gemacht, in Bochum studiert, in England unterrichtet und in München die Deutsche Journalistenschule absolviert. Anschließend arbeitete er für den Westdeutschen Rundfunk in Köln. Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er über Sprachassistenten und Virtual Reality, über Künstliche Intelligenz, Breitbandausbau, Fake News und IT-Angriffe. Außerdem ist er Gastgeber des MDR SACHSEN-ANHALT-Podcasts "Digital leben".

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Quelle: MDR/agz

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 06. Juli 2019 | 10:40 Uhr

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