Oliver Borrmann, bmp Andrea Helzel, IBG Sachsen-Anhalt
Andrea Helzel, IBG Sachsen-Anhalt, und Oliver Borrmann von bmp wollen die Start-Up-Szene in Sachsen-Anhalt voranbringen. Bildrechte: 2023 Startup LSA UG / Maria Mannek

Interview Start-Up-Investor: "Wir brauchen mehr Start-Up-Ideen aus Sachsen-Anhalts Unis"

04. August 2023, 04:51 Uhr

Energiekrise, Klimakrise, Rezession – die Zeiten sind alles andere als sicher. Was heißt das für die Start-Ups in Sachsen-Anhalt? Finden sich Menschen, die neue Ideen ausprobieren und Unternehmen gründen? Oder wagen es eher weniger, weil feste Jobs überall zu haben sind? Ein Interview über die Start-Ups im Land mit zwei Start-Up-Investoren.

Ein großer Mann mit Locken und Brille steht vor einer Betonwand.
Bildrechte: MDR/Viktoria Schackow

Andrea Helzel ist Geschäftsführerin der IBG Beteiligungsgesellschaft – einer Gesellschaft des Landes Sachsen-Anhalt. Oliver Borrmann leitet die bmp Ventures AG. Beide sind zwei der wichtigsten Menschen in Sachsen-Anhalt, die Start-Ups finanzieren. Im Interview für den Podcast "Digital leben" von MDR SACHSEN-ANHALT sprechen sie über die Lage der Start-Ups im Land.

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MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Borrmann, Sie investieren im Auftrag des Landes in Start-Ups. Aber wirtschaftlich macht uns gerade einiges zu schaffen. Wie wirkt sich das auf Start-Ups in Sachsen-Anhalt aus?

Oliver Borrmann: Es ist mit Sicherheit kein leichtes Marktumfeld. Aber große Krisen bringen immer viele Chancen. Viele Branchen profitieren gerade, zum Beispiel alles rund um Energiesicherheit, Energieversorgung, erneuerbare Energien, Climate Change.

Wir als Investoren in Sachsen-Anhalt sind auf die Frühphase von Start-Ups orientiert. Wir investieren zum Beispiel nicht in hoch bewertete Lieferdienste, die sehr gelitten haben. In unserem Portfolio sieht es ganz gut aus. Aber es ist natürlich schon ein bisschen angespannt.

Andrea Helzel und Oliver Borrmann Dr. Andrea Helzel ist Geschäftsführerin der IBG Beteiligungsgesellschaft – einer Gesellschaft des Landes Sachsen-Anhalt. Ziel der IBG ist es, jungen, technologieorientierten Unternehmen Geld zur Verfügung zu stellen.

Oliver Borrmann leitet bmp Ventures AG – dem Venture Capital Unternehmen, das von der IBG beauftragt wurde, Start-Ups und Ideen ausfindig zu machen, in die investiert werden kann und denen bmp beim Gründen hilft.

Das Geld zum Investieren kommt von der IBG Beteiligungsgesellschaft Sachsen-Anhalt. Frau Helzel, Sie sind dort Geschäftsführerin. Woher nehmen Sie denn das Geld?

Andrea Helzel: Ein Teil des Geldes sind europäische EFRE-Mittel, der andere Teil sind Eigenmittel. Die kommen aus Rückflüssen, weil wir in der Vergangenheit Unternehmen sehr gut verkauft haben. Gerade haben wir einen neuen Fonds aufgelegt. So haben wir in den nächsten Jahren 63 Millionen Euro, um in innovative Unternehmen zu investieren.

Borrmann: Im vergangenen Jahr hatten wir zum Beispiel Rückflüsse von 14 Millionen Euro und haben zwölf Millionen Euro neu investiert. Wir sind also sogar mit einem Überschuss aus der Finanzierung herausgegangen.

Andrea Helzel, IBG Sachsen-Anhalt
Andrea Helzel: "Wir haben 63 Millionen Euro, um in innovative Unternehmen zu investieren." Bildrechte: 2023 Startup LSA UG / Maria Mannek

Was haben Sie denn verkauft?

Borrmann: Wir haben UniNow verkauft. Und wir haben einen kleinen Teil-Exit bei Tesvolt gemacht und damit einen sehr schönen Gewinn erwirtschaftet. Tesvolt arbeitet ja in Wittenberg an Batteriespeichern und UniNow hat eine App für Unis und Studierende entwickelt.

Man kann hier in Sachsen-Anhalt tolle Unternehmen aufbauen und damit Geld verdienen. Aktuell halten wir 50 Beteiligungen und haben 100 Millionen Euro investiert. Dazu kommen die neuen 63 Millionen Euro und wir haben noch Geld auf dem Konto. Also wir sind investitionsfreudig und suchen tolle, spannende Start-Ups in Sachsen-Anhalt oder Start-Ups, die wir hier ansiedeln können.

Nach dem Start-Up-Monitor des Start-up-Verbandes für 2022 sind nur 1,1 Prozent der deutschen Start-Ups in Sachsen-Anhalt. In Thüringen sind es 1,7 Prozent und in Sachsen 3,1 Prozent. Wenn Geld nicht das Problem ist, woran liegt es dann, dass hier weniger Start-Ups als in anderen Bundesländern sind?

Borrmann: Ich glaube, es ist problematisch, dass aus den Universitäten sehr wenig echte Gründer herauskommen. Das liegt vielleicht daran, dass in den Universitäten nicht so viel Entrepreneurship gelehrt wird. Studierende – potenzielle Gründer – werden in Projekten nicht aufgefordert, eine Firma zu bauen. Andere Bundesländer sind da besser. Das Paradebeispiel ist die Technische Universität München, dort entstehen jedes Jahr über 200 Start-ups. Das schaffen wir in Sachsen-Anhalt in zehn oder 20 Jahren nicht. Da muss mehr passieren.

Helzel: Aber wenn es uns wie in der Vergangenheit gelingt, Unternehmen nach Sachsen-Anhalt zu locken, dann fühlen sie sich hier wirklich auch wohl und finden Arbeitskräfte.

Oliver Borrmann, bmp
Oliver Borrmann, bmp: "Wir brauchen mehr Ideen aus den Unis in Sachsen-Anhalt." Bildrechte: 2023 Startup LSA UG / Maria Mannek

Angesichts des Fachkräftemangels und der Krisen ist es aber auch verständlich, wenn junge Menschen das Wagnis Start-Up nicht eingehen und sich lieber anstellen lassen.

Borrmann: Unternehmertum ist ein anstrengender Job. Man muss dafür brennen und man hat keine geregelten Arbeitszeiten. Also es ist wirklich hart. Es gibt ja hier wahnsinnig viele Forschungsinstitute, wo tolle Ideen und auch Patente entstehen. Aber keiner unternimmt etwas damit. Wir versuchen, die da heraus zu ziehen, dass sie ein Unternehmen erfolgreich aufbauen können.

Herr Borrmann, Sie haben schon von Exits gesprochen, also vom Verkauf der Anteile an Start-Ups. Wie häufig lohnt sich das denn und wie häufig nicht?

Borrmann: Wir als bmp ventures arbeiten so, dass wir Geld verdienen. In unserer Branche gilt: Wenn man investiert und merkt, dass ein Projekt oder Team nicht so vorankommt, dann zieht man relativ schnell die Reißleine. Von zehn Beteiligungen scheitern meistens zwei, drei. Zwei, drei entwickeln sich nicht richtig. Zwei, drei entwickeln sich gut. Und zwei reißen es richtig raus. Mit einem anderen Risikokapitalfonds haben wir zum Beispiel etwas mehr 60 Millionen investiert. Den Wert haben wir verdreifacht. Wenn das so weitergeht, dann wird die IBG sehr gutes Geld mit dem verdienen, was wir machen.

Helzel: Und so ist es genau richtig. Denn wir wollen uns mit dem Geld auch in der Zukunft in diesem Feld tummeln. Und wir wissen nicht, wie die zukünftige EU-Förderpolitik ist.

Wenn es so gut läuft, kommt nicht der Finanzminister und sagt, er könnte noch Geld gebrauchen?

Helzel: Das ist grundsätzlich möglich. Aber in der Vergangenheit war das gut angelegtes Geld und das Land weiß, dass dieses Instrumentarium eine Möglichkeit ist, Unternehmen in einer ganz frühen Phase zu helfen. Und auch Arbeitsplätze zu schaffen.

Borrmann: Die Struktur der IBG-Fonds ist in Deutschland fast einmalig. Auf die Größe des Landes gerechnet gibt es nirgendwo sonst so viele Mittel für junge, innovative Wachstumsunternehmen. Wir können von 350.000 bis zu zehn Millionen Euro pro Projekt investieren. Das ist auch bei den meisten öffentlich getragenen Venture-Capital-Gesellschaften nicht möglich. Das ist eine Sondersituation, die ich glaube, für das Land toll ist und die auch mehr genutzt werden sollte.

Oliver Borrmann, Anreas Helzel und Marcel Roth
Oliver Borrmann und Andrea Helzel sind zu Gast in der August-Folge des MDR SACHSEN-ANHALT Podcasts "Digital leben". Bildrechte: 2023 Startup LSA UG / Maria Mannek

Wie kriegen wir dann mehr Start-Ups in Sachsen-Anhalt?

Helzel: Wir wollen, dass die Zahl steigt. Wir wollen qualitativ gute innovative Ideen fördern. Wir haben Geld, mit bmp ein gutes Team und sind offen für neue Ideen.

Borrmann: Wir können es nicht so stark beeinflussen, wie sich diese 1,1 Prozent entwickeln. Was uns wichtiger ist, sind tolle, innovative Wachstumsunternehmen hier im Land zu haben oder und ins Land zu holen. Sie müssen hier erfolgreich aufgebaut werden und Arbeitsplätze schaffen und mehr Sex-Appeal ins Land bringen.

Welche Start-Up-Idee hat Sie zuletzt umgehauen?

Borrmann: NorcSci, ein Unternehmen aus Halle, das eine Technologie entwickelt hat, um eine Annode und eine Batterie zu 100 Prozent aus Silizium zu bauen. Die wollten etwas vollkommen anderes machen. Aber wir haben gesagt, ihr habt den Stein des Weisen gefunden, bitte fokussiert euch darauf. Das kann ein Game-Changer werden. Silizium kann nämlich 13 Mal mehr Energie aufnehmen als heutige Werkstoffe. Wir sind da bei Faktor zwei bis drei. Wenn das gelingt, dann fahren Elektro-Autos 2.000 Kilometer oder brauchen nur die Hälfte der Batterien. Das kann die ganze Branche umkrempeln und Rohstoffe einsparen!

Helzel: Mich fasziniert die Kreislaufwirtschaft. Wir haben Solar Materials in Magdeburg und saperatec aus Dessau-Roßlau. Da wird es auch zukünftig tolle Ideen und Sachen geben, die diesen Gedanken weitertragen.

MDR (Marcel Roth)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 04. August 2023 | 10:40 Uhr

9 Kommentare

pwsksk vor 39 Wochen

Jonas C@ Ich glaube, sie haben da etwas bei ihrem Kritiker falsch verstanden. Die von ihnen gemeinten StartUps entsprechen in keinster Weise denen von Daniel SBK genannten. Um es noch einmal kurz zu fassen, wir brauchen den kleinen fleißigen Handwerker, Landwirt, Krankenschwester und Lehrer, die in ihrem Beruf etwas bewegen, ein Produkt, ein Ergebnis hervorbringen. In der Forschung sollten Technologien zur Energiesicherung, zum verbesserten Transportwesen und für das Gesundheitswesen etc. entwickelt werden.
Im heutigen Deutschland wird "das Fahrrad das zweite Mal erfunden" und eine Deindustrialisierung findet statt. Und das ist nicht zukunftsweisend.

Shantuma vor 39 Wochen

Zum Thema Mitarbeiter im Gesundheitswesen verweise ich gerne auf die Entwicklung im DIVI (Intensivbetten-Register).
Müsste man die Arbeit des Gesundheitsministers daran messen, dann wäre eine 6 noch zu gut.

Shantuma vor 39 Wochen

@Jonas C.

Die Dynamik an der TUM beträgt also 15,4 Start-ups/10.000 Studierende.
Die Dynamik an der OvG Uni beträgt 12,1 Start-ups/10.000 Studierende.

Unterschied also 3,3 Start-up/10.000 Studierende, oder eben knapp 25% mehr ggü Magdeburg, bzw knapp 20% weniger ggü. TUM.

Und nun noch der Vergleich mit den Zahlen aus dem Artikel:
TUM schafft 200 Start-Ups pro Jahr.
Nach Ihren Zahlen hat die TUM somit knapp 130.000 Studenten, lt. Internet-Recherche aber nur 50.000.

Ich breche somit die Rechnung hier ab und sage, dass hier die Zahlen irgendwo nicht stimmen. Entweder bei dem Herren oben im Artikel, oder bei Ihnen. Entscheiden darf die Moderation.

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