Neubausiedlung auf der grünen Wiese
Eine Neubausiedlung am Ortsrand verbraucht Naturfläche. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Boris Roessler

Datenanalyse Zu viel bebaute Fläche für zu wenige Menschen

28. Mai 2022, 17:02 Uhr

Autobahnen und Neubausiedlungen – all das geht zu Lasten der Natur. Eine Datenanalyse des MDR zeigt jetzt, dass in Sachsen-Anhalt zu viel Fläche für zu wenige Menschen bebaut ist. Und der Trend zeigt: In vielen Ortschaften nimmt die Bebauung sogar weiter zu. Ein Überblick über den Flächenverbrauch in den Gemeinden Sachsen-Anhalts.

Julia Bartsch
Bildrechte: Susen Heyder

Was Eigenheimsiedlungen, Industriegebiete und Parks auf der einen und Autobahnen, Eisenbahntrassen und Flughäfen auf der anderen Seite gemeinsam haben? Sie alle werden vom Menschen als sogenannte Siedlungs- und Verkehrsflächen genutzt. Rechnet man all diese Flächen zusammen, dann waren im Jahr 2020 laut Statistischem Bundesamt rund 14,5 Prozent der gesamten Fläche Deutschlands als Siedlungs- und Verkehrsfläche ausgewiesen.

In Sachsen-Anhalt sind etwa 11,5 Prozent der Fläche verbraucht, allerdings gibt es große regionale Unterschiede. Vor allem in den kreisfreien Städten Sachsen-Anhalts ist der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche sehr hoch. So gilt etwa die Hälfte der Städte Halle und Magdeburg als Siedlungs- und Verkehrsfläche. In Dessau-Roßlau ist jeder fünfte Quadratmeter verbraucht. Die Altmark hingegen weist die niedrigsten Anteile verbrauchter Fläche auf.

Flächenverbrauch und dessen Folgen

Wird eine neue Straße oder eine neue Wohnsiedlung gebaut, muss in der Regel Vegetationsfläche dafür weichen, also Wiesen, Wälder oder Felder. Das nennt man Flächenverbrauch. Besonders in ländlichen Gebieten führt mehr Bauen nicht nur zu mehr Flächenverbrauch, sondern auch zu mehr Zersiedlung – also dem ungeregelten und/oder unstrukturierten Wachstum von Ortschaften in den unbebauten Raum hinein. Das zieht ökologische, ökonomische und soziale Folgen mit sich.

Der Aufwand steigt, jeden Einwohner und jede Einwohnerin mit Infrastruktur, wie Zugang zu Ärzten, Kanalisation, Telefonanschluss und Verkehrswegen zu versorgen. Wohnen wenige Menschen an einem Ort, wird zudem häufig auf die Erschließung mit öffentlichen Verkehrsmitteln verzichtet. Mehr Leute sind auf ein eigenes Fahrzeug angewiesen, wodurch wiederum mehr Straßen gebaut werden müssen. Darauf folgen Luftverschmutzung und der Verlust der biologischen Vielfalt in unzerschnittenen Landschaftsräumen.

Marcel Otte, Naturreferent des Naturschutzbundes (Nabu) Sachsen-Anhalt erklärt, dass deshalb das Bauen innerhalb geschlossener Ortschaften sinnvoller wäre.

Grundsätzlich gilt es, die Verdichtung in den Städten zu erhöhen, um eine weitere Ausdehnung der Fläche zu verhindern.

Marcel Otte, Naturschutzreferent beim NABU Sachsen-Anhalt

In Sachsen-Anhalt ist die Siedlungs- und Verkehrsfläche in den fünf Jahren von 2016 bis 2020 minimal gesunken. Betrachtet man die einzelnen Regionen, verzeichnet zum Beispiel der Burgenlandkreis die größte Abnahme von gut 2 Prozent. Auch im Salzlandkreis und Dessau-Roßlau ist eine Abnahme zu erkennen. Das bedeutet, dass Siedlungs- und Verkehrsfläche wieder zu natürlicher Fläche zurückgeführt, also zu Vegetationsfläche oder Gewässer renaturiert wurde.

In Magdeburg und Wittenberg nahm sie dagegen um 2,8 Prozent und 1,9 Prozent zu. Eine Zunahme bedeutet, dass Naturfläche weichen muss. Das ist zum Beispiel bei dem Bau von Neubausiedlungen, der Nordverlängerung der A14 oder der geplanten Intel-Ansiedlung in Magdeburg der Fall.

Flächenverbrauch steigt weiter

Obwohl die Siedlungs- und Verkehrsfläche stellenweise abnimmt, hat sich die Fläche, die Menschen in Deutschland zum Leben brauchen, in den vergangenen 60 Jahren mehr als verdoppelt. Und sie wächst weiter. Die verbrauchte Fläche schließt aber auch Stadtparks, Gärten und Sportplätze ein. Dort wird der Boden allerdings nicht luft- und wasserdicht abgedeckt. Die sogenannte Versiegelung entsteht nur, wenn bebaut, asphaltiert, gepflastert oder anderweitig befestigt wird, wie zum Beispiel bei Straßen.

Flächenverbrauch ist also nicht gleich Bodenversiegelung, dennoch sind laut Umweltbundesamt 45 Prozent der Siedlungs- und Verkehrsfläche versiegelt. Dadurch verliert der Boden einen Großteil seiner wichtigen Funktionen wie seine Wasserdurchlässigkeit, Speicherfähigkeit und Bodenfruchtbarkeit. Rückgängig machen lässt sich eine Versiegelung nur schwer. Außerdem ist das teuer. Die Bundesregierung verspricht daher in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie, den Flächenverbrauch zu reduzieren, Flächen zu sparen und effizienter zu bauen.

Aber, obwohl sich der Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verlangsamt hat, wurden 2017 immer noch pro Tag 58 Hektar neu zur Bebauung freigegeben. In der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie wird das Ziel festgehalten, bis 2030 pro Tag unter 30 Hektar neue Fläche in Anspruch zu nehmen. Marcel Otte vom Naturschutzbund bezweifelt, dass die Ziele in Sachsen-Anhalt erreicht werden können.

Gerade bei Infrastrukturprojekten ist in Sachsen-Anhalt relativ viel geplant oder bereits im Bau. Dabei geht es insbesondere um Straßen wie die A 14 und A 143 oder auch sehr viele Umgehungsstraßen.

Marcel Otte, Naturschutzreferent beim NABU Sachsen-Anhalt

Sachsen-Anhalt unter Top 3 beim Flächenverbrauch pro Kopf

Auch wenn in Sachsen-Anhalt weniger Fläche verbraucht wird als im bundesweiten Durchschnitt, wird die Fläche hierzulande oft nicht effizient genutzt. Denn wenn man die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Relation zur jeweiligen Einwohnerzahl setzt, ergibt sich deutschlandweit ein Wert von 622 Quadratmetern pro Kopf im Jahr 2020. Diese Zahl kann als Maß dafür gelten, wie viel Platz die Menschen durchschnittlich zum Wohnen und sich bewegen brauchen.

Dieser Wert lässt sich auch für die Bundesländer berechnen. Während Berlin, Hamburg und Bremen als Stadtstaaten durch ihre dichte Besiedlung deutlich unter den bundesweiten Wert fallen, sind Brandenburg (1.249 Quadratmeter/Kopf), Mecklenburg-Vorpommern (1.240 Quadratmeter/Kopf) und Sachsen-Anhalt (1.082 Quadratmeter/Kopf) an der Spitze des Flächenverbrauchs pro Kopf in Deutschland.

Einzig Sachsen-Anhalts kreisfreie Städte und der Landkreis Harz liegen unter dem landesweiten Durchschnitt von 1.082 Quadratmeter/Kopf. In der dünn besiedelten Altmark hingegen sind die Werte deutlich höher.

Ländlicher geprägte Gemeinden mit einer Vielzahl an Einfamilienhäusern kommen kaum an die Siedlungseffizienz von größeren Städten heran, aufgrund der dort vorliegenden dichteren und höheren Bebauung.

Sprecher des Statistischen Bundesamts, Land- und Forstwirtschaft, Fischerei

Je ländlicher eine Region also ist, desto höher ist der Flächenverbrauch pro Kopf. Laut der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Bodenschutz bedeutet das auch, dass ländliche Regionen mehr zum Flächensparen beitragen können als Ballungsräume, indem sie effizient und bedacht bauen.

Viel Fläche pro Person in den Gemeinden

Ein noch intensiverer Blick auf die Zahlen in Sachsen-Anhalt macht auch auf Gemeindeebene unterschiedlich hohe Werte sichtbar. Loitsche-Heinrichsberg im Landkreis Börde hat etwa mit 5.313 Quadratmetern Siedlungs- und Verkehrsfläche pro Einwohner mit Abstand den höchsten Wert landesweit, gefolgt von Zehrental (4.178 Quadratmeter/Kopf) und der Stadt Arneburg (4.035 Quadratmeter/Kopf) im Landkreis Stendal. 6,88 Prozent der Gemeinden Sachsen-Anhalts übertreten einen 3.000-Loitsche-Heinrichsberg/Kopf-Wert.

Diese Werte bedeuten aber nicht automatisch, dass dort verschwenderisch mit Fläche umgegangen wird. Laut Statistischen Bundesamt können Autobahnen, Flughäfen, Bahnhöfe, Stadien oder Schwimmbäder zu den Werten führen – Infrastruktur also, die von vielen Menschen genutzt wird und viel Platz braucht. Rein rechnerisch wird all das zu einer bestimmten Region gezählt – obwohl die Autobahn, der Bahnhof oder das Schwimmbad natürlich auch von vielen Menschen aus anderen Regionen genutzt werden.

Aber auch Leerstand und damit Flächenineffizienz können eine Rolle spielen. Häufig werden Neubau- oder Gewerbegebiete neu ausgewiesen, während im Ortskern Häuser leer stehen.

In einigen Gemeinden Sachsen-Anhalts steigt der Flächenverbrauch weiter, beispielsweise durch Verkehrsflächen, wie der Nordverlängerung der A 14, oder Siedlungsflächen, wie dem Bau der Intel-Fabrik. In anderen Gemeinden gibt es Ansätze und Lösungsstrategien für zu hohen Flächenverbrauch. Renaturierung, also das Zurückführen von Siedlungs- und Verkehrsfläche zu Naturfläche, wird zum Beispiel von der Gemeinde Harbke betrieben. Hier wird ein ehemaliger Tagebau zum Lappwaldsee.

Julia Bartsch
Bildrechte: Susen Heyder

Über die Autorin Julia Bartsch arbeitet seit November 2021 als Datenjournalistin bei MDR SACHSEN-ANHALT in Magdeburg. Seit 2020 studiert sie an der Universität Leipzig Journalismus.

Bei MDR SACHSEN-ANHALT recherchiert und analysiert sie Daten, aus denen Geschichten für Online, Radio und Fernsehen entstehen.

MDR (Julia Bartsch)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 28. Mai 2022 | 17:00 Uhr

19 Kommentare

geradeaus am 29.05.2022

Es wird auch darauf hingewiesen das diese Statistiken für den ländlichen Raum nicht zwingend schlecht zu interpretieren sind wegen Bahnhöfe, Autobahnen, Schwimmbäder etc. Also welche von vielen Menschen genutzt wird. Es muss hier wirklich nicht der schwarze Peter an die Wand gemalt werden. Es ist ein reiner Vergleich um vielleicht auch einfach zum Nachdenken anzuregen. Die Welt wird nicht größer, die Menschheit jedoch schon. Grüße und einen schönen Sonntag noch allen hier ^^

Bernd_wb am 29.05.2022

der Bericht zeigt das Problem von Statistiken. Sachsen-Anhalt hat hat ganze zwei Großstädte aber sehr viel ländlichen Raum. Das bedeutet schon mal dass zum Wohnen mehr Fläche genutzt wird. Was soll es nun sollen alle im Norden nach Magdeburg und im Süden nach Halle ziehen? Und wer einen Garten etc hat macht eventuell mehr für die Umwelt wenn da Bäume stehen. Und die Wohneigentumsrate ist in Deutschland eine der niedrigsten. Warum solche Aussagen gönnt man den Menschen hier rein gar nichts?

hansfriederleistner am 29.05.2022

Ich habe einige Länder in Mitteleuropa kennengelernt. Ob in Italien, Niederlanden oder Frankreich, um nur drei zu nennen, strebt der Bürger nach einem eigenen Haus auf dem Lande bzw. im Außenbereich einer Stadt. Da regt sich kein Mensch über Vernichtung der Natur auf. Nur in Deutschland wird da ein Riesenthema daraus gemacht. Ist es der Neid auf den Hausbesitzer? Oder steckt die Unfähigkeit selbst zu bauen dahinter ? Warum wohl sind die Urmenschen aus den Höhlen ausgezogen und haben Unterkünfte gebaut?

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