Wagenknecht weiter präsent Gegen die Geister der Vergangenheit: Die Linke im Europa-Wahlkampf
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06. Juni 2024, 04:50 Uhr
Rund ein halbes Jahr ist es inzwischen her, dass Sahra Wagenknecht aus der Linken ausgetreten ist. Trotzdem schwebt ihr Name weiterhin wie eine dunkle Wolke über der Partei. Das bekommt auch Ines Schwerdtner zu spüren. Als Europa-Kandidatin für Sachsen-Anhalt wird sie regelmäßig auf Wagenknecht angesprochen. Doch auch Parteikollegen arbeiten sich an der ehemaligen Genossin weiterhin ab.
- Ines Schwerdtner kandidiert für die Linken zur Europawahl. Dabei wird sie auch auf Sahra Wagenknecht angesprochen.
- Unterstützung im Wahlkampf kommt von Gregor Gysi. Doch auch er spricht in seiner Rede über die Wagenknecht-Partei.
- Derweil kommt das Bündnis Sahra Wagenknecht in Umfragen auf bessere Ergebnisse als die Linke.
Wenn Ines Schwerdtner in Sachsen-Anhalt unterwegs ist, um für sich und für die Linke Wahlkampf zu machen, wird sie auch immer wieder auf Sahra Wagenknecht angesprochen. Obwohl deren Parteiaustritt bereits ein halbes Jahr zurückliegt, müssen sich die Linken weiterhin mit ihr auseinandersetzen.
Doch auch ohne das sie auf Wagenknecht angesprochen werden, machen sie deren neue Partei zum Thema. In seiner Rede in Bernburg greift der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi (Die Linke) das Ganze auf. Neben Politikern könnten bei der Europawahl am 9. Juni nämlich auch Wähler dem Ruf Wagenknechts folgen. In aktuellen Umfragen liegt das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) vor der Linken.
Über Ines Schwerdtner
Als Journalistin hat Ines Schwerdtner viele Jahre über die Linkspartei geschrieben. Im vergangenen Jahr entschied sie sich schließlich, selbst politisch aktiv zu werden. Die 1989 in Sachsen geborene Schwerdtner tritt als Spitzenkandidatin für die Linken aus Sachsen-Anhalt an – obwohl sie in Berlin lebt.
Auf dem Bundesparteitag im November ist sie von den Genossen auf Listenplatz fünf gewählt worden. Sollten die Linken im Vergleich zur letzten Europawahl 2019 nicht an Wählerstimmen verlieren, hätte Schwerdtner damit eine realistische Chance auf einen Sitz im Europäischen Parlament.
Einstige Zugpferde der Linken
Bepackt mit dutzenden Papiertüten läuft Ines Schwerdtner über den Karlsplatz in Bernburg. Gerade bricht die letzte Woche im Wahlkampf an und die Linken wollen noch mal alles rausholen – auch ehemalige Zugpferde. "Um 18 Uhr spricht hier Gregor Gysi auf der Bühne", erzählt Schwerdtner den Menschen, die an diesem späten Nachmittag in Bernburg unterwegs sind und denen sie eine der roten Papiertüten mit Infomaterial in die Hand drückt.
Der Name Gregor Gysi zieht immer noch, auch wenn die großen Zeiten der Linkspartei schon weiter zurückliegen. Doch noch ein anderer Name taucht immer wieder auf: Sahra Wagenknecht. Ihr Austritt aus der Linken ist rund ein halbes Jahr her, inzwischen führt sie ihre eigene Partei, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Doch wenn die Linken Wahlkampf machen, werden sie immer wieder auf die einstige Genossin angesprochen, wie Ines Schwerdtner selbst bestätigen kann.
"Schade, dass der Gregor nicht bei Sahra ist", wird Schwerdtner an diesem Tag von einem Mann angesprochen. Es wird nicht das einzige Mal bleiben, dass der Name fällt. "Ich kann mir schon vorstellen", vermutet Schwerdtner später im Interview, "dass viele auch ihren Frust ausdrücken wollen und dass sie das auch unter anderem bei der Wagenknecht-Partei suchen."
Vorhaben aus dem Europa-Wahlprogramm der Linken Die Linke möchte kürzere Arbeitszeiten durchsetzen. Die Vier-Tage- beziehungsweise 30-Stunden-Woche soll kommen. Außerdem möchte die Partei den öffentlichen Personennahverkehr in der gesamten Europäischen Unionen nach und nach kostenlos für die Menschen machen. Und Rüstungsexporte wie die Militärhilfen für die Ukraine wollen die Linken gesetzlich verbieten lassen.
Dabei sollte das Kapitel Wagenknecht doch eigentlich abgeschlossen sein für die Linke. Als die Partei ihren Europa-Wahlkampf Anfang Mai auch in Sachsen-Anhalt startete, da zeigte sich Schwerdtner noch erleichtert, "weil dieser Konflikt hinter uns liegt, weil wir uns jetzt wirklich auf den Wahlkampf und auch wieder auf unsere Themen konzentrieren können." Trotzdem sitzt der Stachel bei einigen wohl noch tief – aber dazu später mehr.
Sie kommen für Gregor Gysi
Als am frühen Abend der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi (Die Linke) in Bernburg eintrifft, sind die Bänke vor der vergleichsweise großen Bühne schon gut gefüllt. Knapp 100 Menschen dürften da sein. Es werden Selfies gemacht und Autogramme geschrieben. Gysi ist beliebt. Ein Ehepaar erzählt, dass sie nur für ihn hier sind. "Den haben wir '89 das letzte Mal gesehen", berichtet der Mann. Jetzt wollten sie ihn mal wiedersehen.
Und die Linke? Die hat das Ehepaar in diesem Jahr erstmals nicht gewählt – nach 32 Jahren, wie sie sagen, "weil die Linke viele Themen besetzt, mit denen wir uns nicht anfreunden können." Die Gender-Debatte sei ein Beispiel. Auch der Osten sei vernachlässigt worden.
Wagenknecht ist weiterhin präsent
Gysi hingegen spricht an diesem Abend unter anderem über Frieden in Europa, der nur mit Russland möglich sei, über die Aufarbeitung der Corona-Pandemie – und über Sahra Wagenknecht. "Und lassen Sie mich auch was zum BSW sagen", leitet Gysi den Teil seiner Rede ein.
Dann führt er fort, jeder habe das Recht, die Partei zu verlassen. Doch er nehme es den zehn ehemaligen Mitgliedern der linken Bundestagsfraktion, die jetzt beim BSW sind, übel, dass sie ihre Bundestagsmandate behalten haben. "Die stehen ihnen nicht zu", wird Gysi energisch, "es war die Linke, die den Wahlkampf bezahlt hat." Da spürt man ihn, den erwähnten Stachel.
Die Bundestagsmandate stehen ihnen nicht zu.
In Anspielung auf die Wahlplakate, auf denen überall Sahra Wagenknecht abgebildet ist, fügt er erkennbar ironisch an: "In einem Punkt tut mir Sahra wirklich leid. Also sie kandidiert ja für Ihren Stadtrat, sie kandidiert für Ihren Kreistag, sie kandidiert fürs Europaparlament, sie kandidiert für jeden Landtag und sie kandidiert auch für den Bundestag. Ich weiß gar nicht, wie sie das schaffen will. Oder ist das eine Täuschung?"
Linke könnte Wählerstimmen verlieren
Wagenknecht beschäftigt die Linke offensichtlich noch immer. Denn laut aktueller Umfrage des ARD-DeutschlandTrends würden bei der Europawahl am 9. Juni sechs Prozent der Wähler ihr Kreuz beim BSW setzen, nur drei Prozent bei der Linken. Zum Vergleich: Bei der Europawahl 2019 waren es noch 5,5 Prozent – das reichte für fünf EU-Abgeordnete. "Ich glaube, es wird ziemlich knapp", blickt Schwerdtner voraus, "aber ich bin immer noch optimistisch, dass es klappen kann."
Sie selbst kandidiert für die Linke auf ebenjenem Listenplatz fünf. Da zählt jede Stimme – gerade die Stimme, die noch unentschlossen sind. Die möchte sie bis zur Wahl am Sonntag noch von sich und von der Linken überzeugen.
MDR (Engin Haupt)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 04. Juni 2024 | 19:00 Uhr
NeuerHeip vor 21 Wochen
Wie wäre es, wenn man mal aufhöern würde, mit der Vergangenheit Politik zu machen? Ich verstehe dabei langsam keinen Spaß mehr, wenn ich für Dinge, mit denen ich und meine Vorfahren nichts zu tun haben, belästigt werde.
Britta.Weber vor 21 Wochen
BSW hat für mich nahezu alles an Glaubwürdigkeit verloren:
Heute im Bundestag keine Zustimmung für den Antrag zur Bekämpfung des politischen Islam. Es ist wie immer, vorher immer medienwirksam posaunen, aber wenn es drauf ankommt, Rückzieher. Das war auch bei Abstimmung zur Coronaaufarbeitung so.
Die Linke hat ein strategisches Problem: Sie hat ihr eigentliches Stammklientel, die "normalen" Arbeitnehmer, längst verraten und hechelt dem grünen Zeitgeist und Minoritäten hinterher. Das betrifft die meisten grundlegende Themen, von Migration, Klimawandelpolitik, Energie etc.
Da keine Änderung in Sicht ist und die Partei es nicht einmal zu merken scheint, wird sie weiter fallen und verdientermaßen zukünftig aus dem Bundestagt verschwinden.
J Mueller vor 21 Wochen
Habe ich es richtig verstanden? Lebt in Berlin, stammt aus Sachsen und kandidiert für Sachsen-Anhalt? Unglaublich. Meine Wahl steht eh fest. Und jeder der klar denkt, weiß, wo das Kreuz gemacht werden muss.