Anschlag auf die Jüdische Synagoge in HalleSaale in der Humboldtstrasse.
Am 21. Dezember 2020 ist der Halle-Attentäter zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Politisch arbeitet seit einem Jahr ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss den Anschlag auf. Bildrechte: imago images/Lutz Winkler

Aussage vor U-Ausschuss Polizei verteidigt Vorgehen bei Halle-Attentat

08. Januar 2021, 14:44 Uhr

Haben die Sicherheitsbehörden in Sachsen-Anhalt rund um das Halle-Attentat korrekt gehandelt? Diese Frage beschäftigt den parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der seit einem Jahr die Geschehnisse um den 9. Oktober 2019 politisch aufarbeitet. In der 12. und damit letzten Sitzung des Ausschusses haben nun Polizeibeamte ausgesagt. Sie bewerten den Polizeieinsatz aus heutiger Sicht als entschlossen und korrekt. Für die Kritik der Betroffenen, sie seien unsensibel behandelt worden, gab es aber Verständnis.

Im Untersuchungsausschuss des Landtags zum Halle-Attentat haben Polizeiverantwortliche die Arbeit der Einsatzkräfte gegen Kritik verteidigt. Einer der Einsatzleiter sagte am Freitag aus, die Polizei sei entschlossen vorgegangen. Bei dem Einsatz habe es sich um "systematische, routinierte Polizei-Arbeit" gehandelt, so der Zeuge wörtlich. Er war nach eigener Aussage allerdings erst ab dem Nachmittag im Einsatzstab, also Stunden nach dem Anschlag an der Synagoge.

Polizisten haben Verständnis für Sicht der Betroffenen – und sehen Reserven

Zur Kritik aus der Jüdischen Gemeinde, die Polizei habe die Menschen in der Synagoge nicht ausreichend über die Lage informiert, erklärte der Zeuge, die Beamten des ersten Streifenwagens hätten zunächst über die Mauer hinweg Kontakt aufgenommen, telefonisch habe sich der Regionalbereichsbeamte gemeldet.

Menschen gedenken nach Anschlag in Halle vor der Synagoge
Nach dem Anschlag wurde auch Kritik am Vorgehen der Polizei laut. Bildrechte: imago images / Steffen Schellhorn

Der Einsatzleiter habe erst durch die spätere Berichterstattung vom Vorwurf erfahren, die Beamten hätten sich den Betroffenen gegenüber unsensibel verhalten. Er erklärte dazu am Freitag, das interne Kriseninterventionsteam habe sich um die Beamten gekümmert. Für die Opferbetreuung habe die Stadt Halle einen Notarzt und ein Notfallbetreuungsteam geschickt. Er könne die Betroffenheit der Überlebenden verstehen, so der Einsatzleiter heute. Diese hätten unter massivem Stress gestanden. Die Frage der innenpolitischen Sprecherin der Linken, Henriette Quade, ob die Opferbetreuung in der polizeilichen Aus- und Weiterbildung eine größere Rolle spielen solle, beantwortete der Einsatzleiter mit einem "ja".

Zur Evakuierung der Synagoge am Tag des Halle-Anschlags ergänzte der zweite Zeuge am Freitag, die Kollegen hätten die Abläufe als ruhig, kooperativ und in Abstimmung mit der Jüdischen Gemeinde beschrieben. Er, ebenfalls seinerzeit als Einsatzleiter im Dienst, verteidigte das Verhalten der Beamten. Sie hätten situationsbedingt stringent und konsequent handeln müssen. Das habe wohl auch dazu beigetragen, dass Betroffene den Eindruck hatten, nicht als Opfer wahrgenommen worden zu sein. "Dass das nicht sehr empathisch wirkt, das weiß ich auch", so der Zeuge am Freitag. Dies bedauere er. Einsatztaktisch sehe er aber keine Fehler.

Schusswechsel der Beamten im Fokus

Polizei vor einem Döner Imbiss in Halle.
In der Ludwig-Wucherer-Straße in Halle erschoss der Attentäter einen Gast – anschließend gab es auf der Straße einen Schusswechsel mit der Polizei. Bildrechte: imago images/Felix Abraham

Als dritte Zeugin sagte am Freitag eine Beamtin aus jenem Streifenwagen aus, der in den Schusswechsel mit dem Attentäter auf der Ludwig-Wucher-Straße in Halle verwickelt war. Der mittlerweile verurteilte Rechtsterrorist wurde damals  am Hals verletzt, konnte entkommen und auf seiner Flucht weiter Menschen verletzen. Nach Aussage der Zeugin hatten mindestens zwei der drei Beamten des Wagens eine Grundausbildung für lebensbedrohliche Einsatzlagen und waren auch an der Maschinenpistole ausgebildet. Damit werde ein Mal pro Jahr in der Aus- beziehungsweise Fortbildung geschossen, so die Zeugin auf Nachfrage.

Eine Betreuerin des Kriseninterventionsteams der Polizei habe sich nach dem Einsatz um die Beamten gekümmert, erklärte die Polizistin weiter. Auf die Frage, wie es ihr heute gehe, sagte die Beamtin, der Einsatz beschäftige sie nach wie vor. Sie könne sich aber trotzdem vorstellen, im Streifendienst tätig zu sein.

Bei allen drei Polizisten des Streifenwagens war seinerzeit eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden.

Gefahr soll nicht vorhersehbar gewesen sein

Die bisherigen Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss lassen rekonstruieren, wie unvorbereitet der Anschlag die Sicherheitsbehörden offenbar getroffen hatte: Der damalige Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) erklärte, es habe keine Hinweise auf eine konkrete Gefährdungslage gegeben. Auch Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) sagte aus, dass es keinerlei Anhaltspunkte für eine Gefahr der Synagoge gegeben habe – und auch keine Hinweise aus der Jüdischen Gemeinde. Er sowie der Sicherheitschef der Stadt Halle und auch die frühere Innenstaatssekretärin bekannten vor dem Ausschuss sogar, von dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur nicht gewusst zu haben. Selbst der Präsident des Landesverfassungsschutzes, Jochen Hollmann, räumte als Zeuge ein, der Anschlag sei weder vorhersagbar noch vorhersehbar gewesen.

Der parlamentarische Untersuchungsausschuss arbeitet seit einem Jahr und war von der AfD beantragt worden.

Quelle: MDR/ap

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 08. Januar 2021 | 19:00 Uhr

8 Kommentare

Mikro am 10.01.2021

Guenti02 Für mich erscheint der Polizeieinsatz sehr professionell.Die Beamten haben korrekt gehandelt.Der Vorgang ist völlig akzeptabel und nicht nachträglich schlecht zu reden.Danke den Beamten für Ihren umsichtigen Einsatz mit Sachverstand und Kompetenz.

WT auf E100 am 09.01.2021

Wie der Name schon sagt ... MP = MaschinenPISTOLE. Nach 50m Distanz Ende Gelände. Diese Waffe ist etwas für Amoklagen in Schulen oder vergleichbare Objekte.

Eine Waffe mit einer Reichweite über 100m haben nur die Spezialeinheiten, aber das sollte Herr Striegel wissen, denn immerhin hatten die Grünen dazu vor Jahren eine Anfrage im Landtag gestellt, um so hoffe ich, festzustellen wie schlecht die Polizei zum Thema Bewaffnung ausgestattet ist.

guenti02 am 09.01.2021

Für mich erscheint der Polizeieinsatz sehr unprofessionell. Unter den Umständen erwarte ich, dass ein solcher Täter gezielt ausgeschaltet wird und nicht noch weiter durch die Gegend fahren kann. Dieser Vorgang ist völlig inakzeptabel und auch nachträglich nicht schön zu reden.

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