Fachkräftegewinnung in Usbekistan Landtagspräsident Schellenberger: Ein Erklärungsversuch, der viele Fragen aufwirft

03. Mai 2023, 20:05 Uhr

Was darf eigentlich ein Landtagspräsident? Diese Frage schwebt seit letzter Woche durch das politische Sachsen-Anhalt. Gunnar Schellenberger (CDU) hatte sich offenbar eigenmächtig auf den Weg gemacht, 5.000 usbekische Fachkräfte nach Deutschland zu holen. Seit Tagen keine Reaktion aus dem Büro des Landtagspräsidenten. Heute: Ein Erklärungsversuch, der jedoch noch mehr Fragen aufwirft.

MDR San Mitarbeiter Lars Frohmüller
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

5.000 Fachkräfte aus Usbekistan wollte Landtagspräsident Gunnar Schellenberger (CDU) im Alleingang organisieren. Zunächst war eine hallesche Baufirma im Gespräch, die nach Angaben der Landesregierung bereits seit 2020 Stellen für usbekische Azubis angeboten hat. Der Landtagspräsident macht nun in seiner Stellungnahme eine andere Richtung auf: "Ausgangspunkt meiner politischen Bemühungen, die Anwerbung usbekischer Arbeitskräfte für Sachsen-Anhalt zu unterstützen, war eine Schirmherrschaft, die ich [...] an der SKY Pflegeakademie gGmbH Sangerhausen der GfM-Gruppe Berlin übernommen hatte." Fachkräfte aus der Pflege also.

Unklar bleibt bei dieser Aussage jedoch, warum Wirtschaftsminister Sven Schulze und nicht Sozialministerin Petra Grimm-Benne über das Vorhaben informiert wurde. Deren Sprecherin äußert sich auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT so: "Absprachen zwischen dem Sozialministerium und dem Landtagspräsidenten gab es nicht. Das Sozialministerium wurde Anfang vergangener Woche in der Staatssekretärs-Konferenz über die Überlegungen informiert. Über die inhaltlichen, auf Branchen bezogenen oder regionalen Schwerpunkte sowie die für die Begleitung erforderlichen Integrations-Angebote und -Ressourcen liegen bislang keine Informationen vor."

Landesregierung und Regierungsfraktionen schmallippig

Schellenberger gibt an, die Landesregierung – in persona den Ministerpräsidenten und den Wirtschaftsminister – informiert zu haben: "Dabei bestand Einvernehmen, dass ich für diese Gespräche weiter zur Verfügung stehen könne und solle," so der Landtagspräsident. Die Erwiderung von Wirtschaftsminister Sven Schulze auf MDR SACHSEN-ANHALT-Nachfrage fällt jedoch sehr knapp aus: "Wir wurden informiert, mehr nicht."

Auch die Regierungsfraktionen wollen sich nicht zu Schellenbergers Alleingang äußern. Katja Pähle (SPD) sagt am Mittwoch nur so viel: "Das muss bei der nächsten Sitzung im Ältestenrat Thema sein." Die CDU lehnt eine Stellungnahme bei MDR SACHSEN-ANHALT ab. Eine Reaktion der FDP steht noch aus. Aus der Staatskanzlei heißt es knapp: "Die Bekämpfung des Fachkräftemangels ist ein erklärtes Ziel der Landesregierung. Alle Initiativen, die dazu beitragen können, sind willkommen. Die Staatskanzlei wurde im April über das Vorhaben informiert und hat die Initiative an die entsprechenden Stellen in Land und Bund weitergeleitet."

Landtagspräsident legt Details seiner Gespräche offen

Die Stellungnahme des Landtagspräsidenten, die auch MDR SACHSEN-ANHALT vorliegt, gibt Details über Schellenbergers Vorgehen preis: "Nachdem am 23. März 2023 in einem Arbeitsgespräch die Einschätzungen zum Projekt durch die IHK Magdeburg, den Medizinischen Dienst Sachsen-Anhalts, die Ärztekammer Sachsen-Anhalts sowie durch die GfM-Gruppe vorgetragen worden sind, habe ich an diesem Tage am Rande der Sitzung des Landtages darüber Herrn Ministerpräsident Dr. Haseloff informiert, dass zum Thema Fachkräfte-Werbung etwas auf ihn zulaufen werde."

Am 29. März habe ihm dann der zuständige leitende Angestellte der GfM-Gruppe einen Vertragsentwurf zum "Projekt 5.000" geschickt, so Schellenberger. Sein Büro habe den Entwurf in seinem Auftrag per E-Mail am 4. April an das Büro des Ministerpräsidenten übermittelt "und darauf hingewiesen, dass ich in dieser Angelegenheit vermittelnd wirke und die Staatskanzlei nunmehr um Übernahme bitte."

Opposition fehlen Antworten auf wichtige Fragen

Einen Fragenkatalog mit elf Fragen hat Grünen-Chefin Cornelia Lüddemann im Auftrag ihrer Fraktion an den Landtagspräsidenten geschickt. Im MDR SACHSEN-ANHALT-Interview sieht Lüddemann weiterhin Gesprächsbedarf: "Diese Pressemitteilung beantwortet einige Fragen, aber nicht alle. Warum beispielsweise hat der Landtagspräsident seine Kontakte nicht den für Arbeits-Migration zuständigen Stellen zur Verfügung gestellt? Warum ist neben der Staatskanzlei nicht parallel der Landtag informiert worden? Wir Grüne erwarten weiterhin eine direkte Information im Ältestenrat."

Und das sieht auch Stefan Gebhardt von den Linken so: "Der Landtagspräsident steht unter enormen Rechtfertigungs-Druck. [...] Offen bleibt weiterhin, warum Herr Schellenberger seine Kompetenzen weit überschritten hat und an den Fach-Ministerien vorbei agierte. Wir bleiben bei unserer Forderung nach Sondersitzung des Ältestenrates und vollständiger Aufklärung der Vorgänge."

Der Ältestenrat würde jedoch erst wieder zur nächsten Landtagssitzung Anfang Juni zusammenkommen. Das ist beiden Parteien zu spät, um die noch offenen Fragen zu klären. Die AfD-Fraktion hatte Schellenbergers Vorgehen am Montag in einer Mitteilung dahingehend verteidigt, dass sie keine Kompetenz-Überschreitung des Landtagspräsidenten erkennen könne.

MDR (Lars Frohmüler, Fabienne von der Eltz)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 03. Mai 2023 | 16:00 Uhr

9 Kommentare

Tim Taler am 04.05.2023

Warum kann man wichtigere Themen nicht mehr kommentieren? https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/halle/halle/dhl-klage-protest-aktivisten-100.html

Erichs Rache am 04.05.2023

@Elbuffo

Ich weiß nicht, was Sie an Demographie und deutscher "Familienpolitik" nicht verstehen. Zumindest die CDU Sachsen hat die Herausforderung stetig sinkender Geburtenraten bei stetig steigender Vergreisung erkannt

„Seit 1972 sind, gemessen an der Zahl der gestorbenen, rund 3,2 Millionen Kinder zu wenig geboren worden. Berücksichtigt man auch die gestiegene Lebenserwartung dann erreicht das Geburtendefizit gar 300.000 Kinder pro Jahr. Auf die letzten 30 Jahre bezogen fehlen also etwa 8 bis 9 Millionen Kinder, somit zukünftige Eltern. Die bisherige Familienpolitik in Deutschland muss in weiten Teilen als nicht erfolgreich angesehen werden.“ (Beschlussantrag des 20. Landesparteitages der CDU Sachsen aus dem Jahr 2006)

Und falls Sie glauben sollten, Sie geht das Ganze nichts an: Irrtum, mein Lieber.
Die sozialen Sicherungssysteme wie die Rentenversicherung sind als Umlagesysteme konzipiert, d.h. nur wenn es genug Einzahler gibt kann das Rentenniveau gehalten werden.

Shantuma am 04.05.2023

Das Abwerben von Fachkräften aus jenen Ländern ist unethisch, da man die Lage vor Ort eben verschlechtert.
Deutschland sollte besser die eigene Bevölkerung in sinnvolle Berufe bringen.
Boten-Jobs sind meines Erachtens nicht sonderlich förderlich, es bringt nur mehr Dekadenz zum Vorschein!
Bildet jene, die ihr aufgenommen habt aus und weiter. Dann sollte es mit Fachkräften absolut kein Problem mehr geben.

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