49-Euro-Ticket So sicher fühlen sich Sachsen-Anhalter im öffentlichen Nahverkehr
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23. April 2023, 17:50 Uhr
Die Grünen fordern mehr Sicherheit im ÖPNV. MDR SACHSEN-ANHALT hat am Hauptbahnhof Magdeburg bei Reisenden nachgefragt. Das Ergebnis: Viele fühlen sich unwohl in Bus und Bahn – vor allem nachts. Nicht alle sind überzeugt, dass mehr Kontrollen und Kameras die Lösung sind.
- Die Grünen in Sachsen-Anhalt fordern mehr Sicherheit im ÖPNV, um die Mobilitätswende stärker voranzutreiben.
- Vorwiegend nachts fühlen sich Reisende im ÖPNV unwohl.
- Manche ÖPNV-Nutzer fordern mehr Kontrollen, andere glauben, das bringt nichts.
Durch den Hauptbahnhof von Magdeburg wuseln Menschen, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Während die einen ruhig mit ihrem Essen auf den Zug warten, sprinten die anderen, als müssten sie ein Rennen gewinnen.
Beim Laufen zu den Gleisen fallen allerhand Schilder an der Decke auf: Bahnhofsmission da lang, zum Parkplatz geradeaus und zur Polizei dort entlang. Gut zu wissen. Am Gleis angekommen, fällt der erste Blick auf die Tafeln, die die Züge und Uhrzeiten anzeigen. Darunter hängen tellergroße Kameras. Darin sind drei Linsen mit bloßem Auge zu erkennen.
Aktuell ist es Tag und es sind viele Menschen hier. Doch was, wenn in der Nacht fast keiner mehr am Bahnhof, im Zug oder im Bus ist? Wie sicher fühlen sich die Sachsen-Anhalter im ÖPNV?
Die Grünen fordern mehr Sicherheit im ÖPNV
Diese Frage hat sich auch die Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen in einer sogenannten "Kleinen Anfrage" gestellt. Denn die Grünen sehen vor allem im Zuge der Mobilitätswende und dem damit zusammenhängenden 49-Euro-Ticket bei bestimmten Personengruppen eine Hemmschwelle, sodass diese nicht in den ÖPNV umsteigen.
Was bei der Kleinen Anfrage herausgekommen ist: Laut Landtagsabgeordneter Cornelia Lüddemann (Die Grünen) sind nicht nur günstige Ticketpreise für einen Umstieg auf den Nahverkehr wichtig. "Ein weiterer Grund ist, dass sich gerade Gruppen, die anfälliger für Beleidigungen und für Tätlichkeiten sind wie Frauen, Menschen mit Behinderungen oder Menschen, die einen Migrationshintergrund haben, den ÖPNV nicht nutzen, weil sie sich unsicher fühlen", sagt sie MDR SACHSEN-ANHALT.
Nun fordern die Grünen die Landesregierung auf, sogenannte "Angsträume" zu beseitigen. Laut Lüddemann braucht Sachsen-Anhalt mehr Haltestellen, die besser beleuchtet sind – das gilt auch für Endhaltestellen. Des Weiteren braucht es mehr und gut sichtbare Notrufsäulen, akustische Überwachung und Videoüberwachung in Bus und Bahn, so die Politikerin. Lüddemann will so den Tätern signalisieren: "Ihr habt keine Chance."
Am Tag okay, abends Angst
Am Hauptbahnhof Magdeburg sind Kameras in hoher Stückzahl zu erkennen. Nach kurzem Umsehen sind auf Anhieb keine Notrufsäulen oder ein Schild mit einem SOS-Piktogramm zu erkennen.
Durch den Bahnhof läuft Mareike, eine Frau Mitte Zwanzig. Sie sagt MDR SACHSEN-ANHALT, dass sie sich im ÖPNV prinzipiell sicher fühlt. "Außer abends! Abends ist es für mich immer ein bisschen kritisch. Da sitze ich dann gerne bei einer anderen Gruppe oder einer Gruppe von Frauen. Oder man achtet zumindest darauf, dass man irgendwie im Blickfeld von einer anderen Person ist." Bis jetzt ist ihr in Bus und Bahn noch nichts passiert – zum Glück. Sie fühlt sich zumindest sicherer mit den installierten Kameras im Zug und am Bahnhof.
Abends ist es für mich immer ein bisschen kritisch. Da sitze ich dann gerne bei einer anderen Gruppe oder einer Gruppe von Frauen.
Nebenan, auf einer Bank am Bahnsteig, sitzt Max. In seiner grünen Latzhose sieht es so aus, als würde er gerade von der Arbeit auf dem Heimweg sein. Er erklärt: "In der Bahn ist mein Sicherheitsgefühl ganz in Ordnung. Man kann sich nicht immer zu hundert Prozent sicher fühlen, aber man muss sich darauf einlassen." Eine unangenehme Begegnung hatte auch er im ÖPNV noch nicht.
Und was ist mit dem von Lüddemann angesprochenen 49-Euro-Ticket und die Angst, dass weniger Frauen und junge Menschen damit fahren? Das Ticket würden die beiden trotzdem kaufen, weil der Preis unschlagbar ist. Die beiden zumindest lassen sich also nicht abschrecken.
In der Bahn ist mein Sicherheitsgefühl ganz in Ordnung. Man kann sich nicht immer zu hundert Prozent sicher fühlen, aber man muss sich darauf einlassen.
Gerade erlebt: Prügelei im Zug
Bei Lina, die gerade aus der Bahn gegenüber ausgestiegen ist, sieht das ganz anders aus. Ihr Sicherheitsgefühl wurde gerade getrübt, denn sie hat im Zug eine Prügelei beobachtet. "Man fühlt sich unwohl – besonders abends. Aber was mir aufgefallen ist: Es sind jetzt vermehrt Sicherheitsleute dabei." Sie erklärt, dass auch auf der gestrigen Fahrt mit der S-Bahn Sicherheitspersonal an Bord war, die dann pöbelnde oder betrunkene Menschen aus dem Zug holten.
Das 49-Euro-Ticket kauft sie nicht, denn das sei ihr zu teuer. Doch sie ergänzt: "Aber wenn es wieder neun Euro kostet, dann auf jeden Fall, weil anders komme ich nirgendwohin. Auch, wenn es nicht sicher ist mit der Bahn: Es ist halt immer noch am besten."
Der Wunsch nach mehr Kontrollen?!
Mit ihrem Mittagessen in der Hand steht Katja an der Treppe zum Bahnsteig. Auch sie hatte unschöne Erfahrungen im ÖPNV gemacht. Sie erklärt, dass sie in der Straßenbahn sexuell belästigt wurde. "Gottseidank war mein Freund mit dabei, damit er mir helfen konnte", sagt Katja. "Es wäre schön, wenn es mehr Sicherheit im ÖPNV geben könnte." Sie wünscht sich vor allem mehr Kontrollen. Das 49-Euro-Ticket würde sie trotzdem kaufen. Der Preis ist einfach unschlagbar. Sie will dann mit ihren Kindern nach Leipzig oder Berlin fahren, denn die Städte kennt sie bisher nur aus dem Fernsehen.
Anja, eine weitere Zugreisende, sagt: "Selbst wenn mehr Personal da ist, können die nicht an der Stelle sein, wo es passiert." Sie findet, dass auch mehr Überwachung und Kameras nicht viel bringen würde.
Selbst wenn mehr Personal da ist, können die nicht an der Stelle sein, wo es passiert.
Sie selbst fühlt sich im ÖPNV unterschiedlich wohl. Sie erklärt MDR SACHSEN-ANHALT, dass es drauf ankommt, wer im Abteil sitzt. "Manchmal ist Begleitpersonal da, das offensichtlich zum Schutz dabei ist und manchmal nicht. Davon hängt es auch ein bisschen ab", sagt die junge Frau mit dem beigen Rucksack. Das 49-Euro-Ticket hat sie trotzdem schon gekauft. Für sie sei es die günstigste Variante zu reisen.
Fazit: Unwohlsein wird von Zugreisenden in Kauf genommen
Viele der Befragten fühlen sich unwohl im ÖPNV. Dennoch fahren sie damit und kaufen – anders als von den Grünen befürchtet – das 49-Euro-Ticket. Letztlich überwiegt der günstige Preis ein Unwohlsein auf der Fahrt zum Ziel.
MDR (Maximilian Fürstenberg)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 23. April 2023 | 19:00 Uhr
DanielSBK am 25.04.2023
Wenn ich eine Tochter hätte, würde die auch NUR AUTO fahren!! Alles andere könnte ich als Vater im "besten Deutschland aller Zeiten" nicht verantworten!
Denkschnecke am 24.04.2023
Meine eigenen unangenehmen Begegnungen im Nahverkehr gingen in der weit überwiegenden Zahl von Leuten aus, die offenbar keinen Migrationshintergrund hatten.
Thomas S. am 23.04.2023
Die Grünen fordern mehr Sicherheit im Zug? Ich Fall vom Stuhl. Meine Tochter hatte früher keine Angst im Zug. Bis 2015. Seit dem fährt sie Auto und wird dies auch weiterhin tun. Schöne Grüße aus Brockstedt an die lieben Grünen.