Demonstration zum Internationalen Frauentag 8. März für Frauenrechte, Gleichberechtigung und Gleichstellung in Berlin.
Am 8. März ist internationaler Frauentag – Aktivistinnen sprechen vom Frauenkampftag. Bildrechte: imago images/snapshot

Kommentar Kampf um Frauenrechte: Alles muss man alleine machen

08. März 2023, 11:03 Uhr

Wer gleichgestellt sein will, muss sich selbst drum kümmern – diese Logik funktioniert nicht: Denn es geht beim Thema Gleichstellung eben darum, dass Frauen in vielen Bereichen stärker belastet sind. Helfen könnte die Politik. Doch beim Land Sachsen-Anhalt steht das Thema offenbar ganz unten auf der Prioritätenliste, meint unsere Autorin. Ein Kommentar.

MDR San Mitarbeiterin Julia Heundorf
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

Frauen müssen besser verhandeln, Frauen müssen sagen, wenn sie Hilfe bei der Sorgearbeit brauchen. Frauen müssen sexuelle Belästigung anzeigen. Wenn man über Frauenrechte sowie über Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes spricht, hört man sehr oft "Frauen müssen einfach …". Das funktioniert nicht.

Kampf um Rechte kostet Zeit und Energie

Nehmen wir das Beispiel der Frau aus Sachsen, die sich kürzlich erfolgreich dagegen gewehrt hat, dass sie weniger als ihre männlichen Kollegen verdient: Die Frau hat sich ihre Rechte erkämpft. Aber war das einfach? Sie musste erst vor Gericht ziehen, um gerecht bezahlt zu werden.

Und ja, Frauen können für ihre Rechte kämpfen und alles Mögliche erreichen, aber der Weg dorthin ist weit: Anstatt gleichberechtigt bezahlt zu werden, musste die Frau aus Sachsen den weiten Weg über Klage und Gerichtsverhandlung gehen. Und dafür Zeit und Kosten aufbringen.

Wo Privilegien fehlen, fehlen auch Zeit und Geld

Andere Frauen vor ihr haben für Wahlrecht gekämpft, für die Abschaffung von Paragraph 219a und zahlreiche andere Rechte und Privilegien. Aber die Krux ist oft: Wo Rechte und Privilegien fehlen, fehlen auch die Zeit, das Geld und oft auch Standing, um sie durchzusetzen.

Dass Frauen stärker belastet werden, liegt eben an mangelnden Vorteilen, insbesondere daran, dass sie den größeren Anteil an der Sorge- und Erziehungsarbeit leisten: die Kindererziehung, den Haushalt und die Organisation des Familienlebens. Das übernehmen Frauen weiterhin zum großen Teil.

Land muss keine "Frauenpolitik" machen (sollte es aber)

Entlasten könnten politische Maßnahmen: Die Landesregierung kann die Gender Pay Gap auf die Agenda setzen, die Frauenquote, Maßnahmen gegen Nachteile, die Frauen bei der Rente haben. Die Politik muss nicht mal "Frauenpolitik" machen, um Gleichstellung voranzutreiben.

Sie kann etwa den Pflegenotstand zur Priorität machen, wovon alle Menschen profitieren würden, nämlich die Gepflegten, die Angehörigen. Aber vor allem auch die Pflegekräfte, die zum großen Teil weiblich sind – und seit Jahren über schlechte Arbeitsbedingungen klagen.

Landesprogramm für Geschlechtergerechtigkeit: Bisher nichts passiert

Gleichstellungspolitik im engeren Sinn macht das Land offenbar schon lange nicht mehr: Ein "Landesprogramm für geschlechtergerechtes Sachsen-Anhalt 2020" wurde bisher gar nicht umgesetzt. Das Landesprogramm war auf eine Laufzeit von zwei Jahren angesetzt. Im Juli 2022 wurde gerade mal der Fachbeirat aus Vereinen und Verbänden aufgestellt, der bei den Maßnahmen beraten und bewerten soll.

Ein Sprecher des Sozialministeriums teilte zur Begründung mit, dass es wegen der Corona-Pandemie Verzögerungen gegeben habe und dass die Gleichstellungspolitik in Folge der Landtagswahl 2021 aus dem Justizministerium in das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung wechselte.

Auf der Website des Landes wird betont, dass Gleichstellung eine Querschnittsaufgabe sei. Das heißt alle Ministerien müssen ran. Nach Aussagen des Sozialministeriums haben auch alle Ressorts Maßnahmen vorgeschlagen, mit denen die Ziele des Landesprogramms umgesetzt werden sollen. Was das genau für Maßnahmen sind, will man aber noch nicht sagen. Erst soll eine Arbeitsgruppe aus mehreren Ministerien ein Bündel aus konkreten Vorschlägen ausarbeiten.

Gleichstellungsbeauftragte: Amt zwei Jahre lang unbesetzt

Vorantreiben könnte und sollte die Arbeit an einem solchen Landesprogramm die Gleichstellungsbeauftragte des Landes. 2020 war das noch Andrea Blumtritt, die sich nach Angaben des Sozialministeriums im November 2020 beruflich nach Sachsen orientierte habe. "Vor der Landtagswahl ist die Stelle dann nicht mehr besetzt worden", heißt es vom Ministerium. Die Stelle war somit zwei Jahre lang unbesetzt. Seit November 2022 ist Sarah Schulze, eine Juristin, neue Gleichstellungsbeauftragte.

Zudem gilt auch im Parlament: Wer in der Mehrheit ist, hat ein Privileg. Von 97 Abgeordneten, sind 27 Frauen. Schwierig sind der niedrige Frauenanteil und die fehlende Diversität im Parlament, weil man nicht für die Lösung von Problemen kämpfen kann, die man nicht sieht. Wer erlebt hat, wie belastend es ist, wenn bestimmte Privilegien fehlen, setzt sich eher dafür ein, den Missstand aufzuheben. Und zu diesen Privilegien gehört, wenn jemand anders das Familienleben organisiert, wenn man nicht regelmäßig Entwürdigung durch sexuelle Belästigung erfährt oder wenn man selbstverständlich besser bezahlt wird.

"Frauen müssen einfach" – ja. Sie müssen besser politisch unterstützt werden. Sie "müssen einfach" im Parlament besser repräsentiert sein. Und sie "müssen auch einfach" für die Arbeit im Familienleben anerkannt und dabei entlastet werden.

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MDR (Julia Heundorf,Julia Bartsch)

Dieses Thema im Programm: "FAKT IST" aus Magdeburg | 06. März 2023 | 22:10 Uhr

189 Kommentare

Anita L. am 10.03.2023

"@Erichs Rache:
Nennt sich Krieg."

Nein, in einem Krieg sterben Menschen nicht, weil sie ein bestimmtes Geschlecht haben, sondern weil es Menschen (meist Männer und im aktuellen Fall in Europ definitiv ein Mann) mit Größenwahn gibt, die meinen, anderen Menschen das Existenzrecht absprechen zu dürfen. In einem Krieg sterben Menschen jedes Geschlechts und jedes Alters.

Anita L. am 10.03.2023

"Nur ist die Liste der Männernamen wohl um einiges länger ..."

Warum dem so ist, können Sie unter anderem an der Biografie von Rosalind Franklin nachvollziehen. Zum Beispiel in der Zeit Campus vom 18.04.2015 nachzulesen, dort beschrieben von Amadeus Ulrich.

THOMAS H am 09.03.2023

Sozialberuflerin: Laut MDR-Artikel "Wenn Eltern zu Fremden werden: Eine Kindheit in der Wochenkrippe in der DDR" geht nach Forscherangaben um 100.000 Kinder zwischen 1950 und 1990.

Bei rund 1 Million Geburten/Jahr in der DDR, also rund 40 Millionen zw. 1950 und 1990 und meiner angenommenen Zahl von 120.000 = 39.880.000 Nichtwochenkrippen-Kinder.

Nun ist von meiner Seite aus alles geschrieben, da ich diese Diskussion, ohne das ich eventuelle Folgeschäden herunterspielen möchte, nicht mehr nachvollziehen kann, denn, so wie Sie die Verteufelung der Wochenkrippen hier betreiben, müsste es um Millionen geschädigter Wochenkrippen-Kinder gehen.

Ich wünsche eine gute Nacht! 09.03. 22:35

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