Danneil-Museum Erinnern
Der Teller in der Sonderausstellung im Dannelei-Museum erinnert an ein Dorf, das zu DDR-Zeiten der Grenze weichen musste. Bildrechte: Ulrich Kalmbach

Zwischen Nationalsozialismus und Sesamöl Ausstellung im Danneil-Museum beschäftigt sich mit dem Erinnern

06. Oktober 2023, 10:44 Uhr

Was ist Geschichte – so im persönlichen Sinne? Es sind Erinnerungen. Die Gedanken an vergangene Begegnungen, Erlebnisse, Krisen, Glücksmomente beeinflussen unser Tun in der Gegenwart, lassen künftige Generationen möglicherweise sogar Fehler vermeiden. Die neue Sonderausstellung im Danneil-Museum in Salzwedel zeigt Erinnerungen in unterschiedlichster Form: freundliche, kuriose, traurige, betroffen machende. Dabei spielen ein Einkaufszettel und ein Teller mit Rostlöchern eine wichtige Rolle.

Für Erinnerungen zu sorgen und sie zu bewahren, das ist sein Job: Ulrich Kalmbach, der Leiter des Danneil-Museums in Salzwedel, widmet seine letzte Sonderausstellung vor dem Rentengang deshalb diesem für ihn wichtigsten Thema: dem Erinnern.

Da gibt es in der West-Altmark die großen Themen: den Nationalsozialismus und seine Verbrechen natürlich, die innerdeutsche Grenze, den Todesstreifen, die Wiedervereinigung. Aber es gibt auch die kleinen anrührenden Erinnerungen, um die sich Ulrich Kalmbach 30 Jahre lang gesorgt hat. Dafür hat er sogar einen Einkaufszettel aufgehoben. "Sesamöl" steht drauf und "Zahnpasta für Katharina".

Kalmbach hat den Zettel in einem Buch auf dem Flohmarkt gefunden, in der Biografie eines in die USA ausgewanderten Brandenburgers. "Das fand ich so in dieser Konstellation – ein Buch mit Erinnerungsinhalt, mit Buchvermerken, die hinten drin sind, die wieder die Geschichte des Buches widerspiegeln, und dann ein Einkaufszettel, der ja auch fürs Kurzzeitgedächtnis zur Erinnerung dient und dann als Lesezeichen da drin – das fand ich irgendwie sehr klasse. Das hat mir großen Spaß bereitet."

Danneil-Museum Erinnern
Die Sonderausstellung im Danneil-Museum in Salzwedel beschäftigt sich mit dem Thema Erinnern. Bildrechte: Ulrich Kalmbach

Das fand ich so in dieser Konstellation – ein Buch mit Erinnerungsinhalt, mit Buchvermerken, die hinten drin sind, die wieder die Geschichte des Buches widerspiegeln, und dann ein Einkaufszettel, der ja auch fürs Kurzzeitgedächtnis zur Erinnerung dient und dann als Lesezeichen da drin – das fand ich irgendwie sehr klasse. Das hat mir großen Spaß bereitet.

Ulrich Kalmbach Danneil-Museum Salzwedel

Einkaufszettel als Quelle

Ulrich Kalmbach hat sogar die Verfasser des Einkaufszettels gefunden, ein Ehepaar in Neulingen bei Arendsee. Die beiden waren überrascht – und haben sich erinnert. Solche Einkaufszettel seien als Quelle spannend, sagt der Museumsleiter. Zeigen sie doch, wer sich was wann leisten konnte, oder was es wann wo gab oder eben nicht. Allerdings eben nicht weit in der Vergangenheit, bedauert der Historiker. Einkaufszettel seien Zeugnisse der Konsum-Moderne. Sie heute aufzuheben, könnte für später wichtig sein. Gleiches gelte für Quittungen oder Rechnungen. Sie seien eine gute Quelle für spätere Geschichtsforschung.

Danneil-Museum Erinnern
Die Tasse wurde über Generationen weitervererbt. Bildrechte: Ulrich Kalmbach

Porzellantasse als Kalenderblatt

Die Geschenkidee der Amme Elise aus Salzwedel ist eine andere Art von Erinnerung – und sorgte noch Jahrzehnte lang für neue. Die kleine weiße Porzellantasse mit Untertasse, Goldrand und goldener Aufschrift steht in einer Vitrine in der neuen Sonderausstellung. Elise schenkte sie ihrem Zögling Walter Schreiber zum ersten Geburtstag.

'Dem Vater zur Freude, der Mutter zum Glück legt Walter Schreiber heute sein erstes Jahr zurück.' Das muss immer gut aufbewahrt gestanden haben bei den Nachfahren, denn in der Tasse waren so ein paar moderne Kalenderblätter, so ein Abreißkalender. Und das ist immer der 26. Juli, also der Geburtstag. Da steht zum Beispiel drauf 'Heute wäre mein Vater 125 Jahre alt geworden' oder 'Diese Tasse ist heute soundso alt'.

Ulrich Kalmbach Danneil-Museum Salzwedel

Ein Teller aus einem verschwundenen Dorf

Erinnerungen zu tilgen, das war das Ziel der DDR-Regierung, was die Vertreibungen aus dem damaligen Grenzstreifen betrifft. Zwischen den 1950er- und 1970er-Jahren waren tausende Menschen aus ihren Häusern geholt und per Lkw und Bahn an andere Orte in der DDR verbracht worden. Ihre Dörfer wurden meist dem Erdboden gleichgemacht. Salzwedel lag nur wenige Kilometer vor dem Todesstreifen; die Erinnerungen sind wiedererwacht, als die 1989 gewonnene Freiheit es zuließ. Ulrich Kalmbach zeigt auf einen Suppenteller aus Email. Er ist von Rost zerfressen und hat große Löcher.

Dannelei-Museum Erinnern
Die Sonderausstellung ist noch bis 19. Mai geöffnet. Bildrechte: Ulrich Kalmbach

Das ist ein Teller, der von dem geschleiften Dorf Jahrsau stammt. Da gibt es ja immer noch einen Haufen Kulturreste, die aus der Siedlung stammen. Zumindest ist das hier so ein Objekt, an dem Geschichte, ein Ereignis und Erinnerung hängt, aber man muss es wissen.

Ulrich Kalmbach Danneil-Museum Salzwedel

Sonst bleibt der Teller einfach ein löchriges Stück aus früheren Zeiten. Gegenstände sind nur Mittel zum Zweck. Zu dem Zweck, sich erinnern zu können. Das betrifft Museen und Denkmäler genauso wie die privaten Schubladen mit vermeintlichem Krimskrams. Ulrich Kalmbach empfiehlt, die wichtigsten Stücke – auch Fotos – zu beschriften, damit auch nachfolgende Generationen mit der Geschichte und den Geschichten etwas anfangen können.

Die Sonderausstellung "Einkaufszettel – Denkmal – Souvenir" ist am Donnerstag im Danneil-Museum zu Salzwedel eröffnet worden und bis zum 19. Mai 2024 zu sehen.

MDR (Katharina Häckl, Moritz Arand)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 05. Oktober 2023 | 15:30 Uhr

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