Ein braunhaariges Mädchen spielt Schach und hält einen Plüschdino.
Bildrechte: MDR/ Sabrina Bramowski

Geflüchtet aus der Ukraine Schachspielen ist für Zweitklässlerin in Stendal der beste Integrationskurs

von Sabrina Bramowski, MDR SACHSEN-ANHALT

31. Januar 2024, 05:41 Uhr

Stellen Sie sich vor, es ist Ihr erstes Turnier in einer neuen Sportart. Und Sie werden Letzter. Was würden Sie machen? Aufgeben oder dranbleiben? Für Letzteres hat sich Ahata Hleizer entschieden, ein Schachtalent aus Stendal. Anfangs ohne jegliche Deutschkenntnisse hat sich die Zweitklässlerin kometenhaft nach oben gekämpft. Die Geschichte der Ukrainerin ist noch längst nicht zu Ende erzählt – trotz eines geteilten ersten Platzes bei den Deutschen Meisterschaften.

  • Ahata Hleizer ist mit ihrer Mama Nataliia aus der Ukraine nach Stendal geflüchtet. Der Sport hat sie willkommen geheißen.
  • Zu Beginn sprach das Mädchen kein Deutsch. Doch zusammen mit ihrem Trainer fand sie eine gemeinsame Sprache: Schach.
  • Mittlerweile spricht sie nahezu perfekt deutsch. Und kann sich über einen geteilten ersten Platz bei den Deutschen Meisterschaften freuen.

Ein stachliger Begleiter im plüschigen Gewand: Das ist der Dino namens Dame. Mehr als nur ein Glücksbringer für Ahata Hleizer. Aus der Hand gibt die Zweitklässlerin ihn nicht – auch beim Schachspielen nicht. "Weil er mein Freund ist", erklärt sie einfach. Mama Nataliia ergänzt: "Sie ist den ganzen Tag mit dem Dino unterwegs. Sie schläft mit dem Dino. Sie isst mit dem Dino. Sie liest mit dem Dino. Und natürlich spielt sie auch Schach mit dem Dino." Der Dino Dame und Ahata sind ein Team. Ein Team, das sich in anderthalb Jahren unfassbar viel erarbeitet hat. Ein Team, das unzertrennlich ist.

Ahata und ihre Mama Nataliia kommen aus Charkiv in der Ukraine. Nach Kriegsbeginn sind sie nach Stendal geflüchtet. Auf der Flucht hatte das Mädchen, das mit ihren glänzend rosafarbenen Schuhen sofort auffällt, nur ein Spielzeug dabei: ein Stück Draht.

Schach Mädchen
Torsten Hansch und Ahata haben eine gemeinsame Sprache gesprochen: die Sprache des Schachspiels. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Schach als gemeinsame Sprache

Im August 2022 klopften die beiden an die Tür des Stendaler Schachklubs. Ohne ein Wort zu sprechen, mit nur rudimentären Schachkenntnissen. Ahata landete beim ersten Training am Tisch von Torsten Hansch, dem Vorsitzenden. Von Anfang an hatte sie "dieses Funkeln in den Augen, wenn sie Schachfiguren gesehen hat", erzählt Torsten. Ahata liebt alle Figuren. Nicht nur die Dame, wie man vielleicht bei der Namensgebung des Dinos denken könnte. Sondern einfach alle: "Ich liebe auch die Dame, den Läufer, den Springer, den König und Turm und Bauer."

Die Liebe zu den Schachfiguren und dem Schachspiel hat ihr beim Ankommen in Deutschland geholfen. Mama Nataliia war anfangs ganz erstaunt, wie Torsten Hansch und Ahata miteinander kommunizieren können. Sie hielt es für ein Wunder, denn Torsten spricht kein Russisch. Aber selbst die Regelkunde hat reibungslos funktioniert.

Torsten und Ahata haben eben doch eine gemeinsame Sprache gesprochen: die Sprache des Schachspiels, die Sprache des Sports. Und mittlerweile spricht Ahata nahezu perfekt deutsch. Mama Nataliia erzählt, ebenfalls auf Deutsch, dass ohne die Unterstützung des Schachklubs Ahata keinen Erfolg hätte – im Schach nicht und auch bei der Integration nicht.

Ein braunhaariges Mädchen spielt mit zahlreichen Erwachsenen Schach.
Über das Schachspiel hat Ahata auch schnell Deutsch gelernt. Bildrechte: MDR/ Sabrina Bramowski

Nach der Niederlage nicht zu stoppen

Ahata gibt nicht nur beim Deutschlernen alles. Am Schachbrett zeigt sie sich unverwüstlich. Bis zu sechs Stunden trainiert sie pro Tag. Das zahlt sich aus. Im Alter von sechs Jahren hat sie ihr erstes Turnier gespielt, in Staßfurt. Als Anfängerin wurde sie damals Letzte. Das war im Oktober 2022. Andere hätten danach ans Aufhören gedacht, Ahata aber nicht. Sie kämpft sich kometenhaft nach oben: Im Januar 2023 wird sie Bezirksmeisterin. Im Februar 2023 krönt sie sich zur Landesmeisterin in Osterburg. Der Verein um Finanzchefin Kathrin Ehrecke fertigt dafür extra von Hand diverse Shirts für Ahata an.

Im Mai 2023 dann der bisherige Höhepunkt: ein geteilter erster Platz bei den Deutschen Meisterschaften. Von der Niederlage in Staßfurt bis zur Deutschen Meisterschaft sind es gerade mal sieben Monate. Die Wege nach oben sind alle offen. Ahata ist in diesem Jahr in den Landeskader aufgestiegen. Sie trainiert wöchentlich nicht nur in ihrem Verein, sondern auch mit der Landestrainerin. 

Eine besondere Ehre: Im Februar letzten Jahres hat Großmeister Artur Jussupow ihr Spiel ausgewertet. Früher war er ein mehrfacher WM-Kandidat und lange Zeit die Nummer 3 der Weltrangliste. Heute ist er weltweit einer der besten Trainer. Und vielleicht wird Ahata Hleizer ihm folgen und einst zur Grand Dame des Schachs (in Sachsen-Anhalt) aufsteigen. Gemeinsam – na klar – mit ihrem Dino Dame.

Ahata, ein braunhaariges Mädchen präsentiert stolz eine Urkunde und ihren Meisterpokal.
Im Mai 2023 teilt sich Ahata den ersten Platz bei den Deutschen Meisterschaften. Bildrechte: MDR/ Sabrina Bramowski

MDR (Sabrina Bramowski, Oliver Leiste)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 30. Januar 2024 | 19:00 Uhr

3 Kommentare

Tom0815 vor 12 Wochen

@Maria A.
Einerseits ist (zumindest mir) absolut nicht klar, was Sie mit Ihrem Kommentar sagen wollen. Andererseits stehen Ihre beiden Sätze vielleicht gar nicht im Zusammenhang?

Maria A. vor 12 Wochen

Interessant einerseits. Andererseits - "Ausnahmen bestätigen die Regel".

randdresdner vor 12 Wochen

Ein sehr schöner Beitrag

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