Ein Angeklagter verdeckt sein Gesicht beim Betreten des Saals im Landgericht Stendal vor der Urteilsverkündung um Angriffe auf Klima-Aktivisten in Seehausen vom 18. Juni 2021.
Am Freitag wurden am Landgericht Stendal die Urteile gesprochen. Bildrechte: dpa

Urteil im "Ku-Klux-Klan"-Prozess Haft-, Geld- und Bewährungsstrafen nach Angriff auf Klimaaktivisten

18. August 2023, 17:48 Uhr

Nach dem Angriff auf Klimaaktivisten am Bahnhof Seehausen in der Altmark vor mehr als zwei Jahren sind die Angreifer am Freitag verurteilt worden. Es gab Haft-, Geld- und Bewährungsstrafen.

Im Prozess um einen Angriff auf Klimaaktivisten in der Altmark sind am Freitag am Landgericht Stendal die Urteile gesprochen worden. Das berichtet ein Reporter von MDR SACHSEN-ANHALT aus dem Gerichtssaal. Der Hauptangeklagte hatte in der Kluft des rassistischen Ku-Klux-Klan Klimaaktivisten aus dem Losser Forst, die am Bahnhof Seehausen im Landkreis Stendal einen Infopunkt aufgebaut hatten, im Juni 2021 mit einer Paintball-Waffe angegriffen. Er bekam eine Haftstrafe von einem Jahr und vier Monaten, ausgesetzt zur Bewährung.

Acht Monate ins Gefängnis für die Tat zu filmen

Ein 33 Jahre alter Fluchthelfer bekam eine Geldstrafe von 4.000 Euro. Ein weiterer Mittäter (36), der die Tat filmte, bekam acht Monate Gefängnisstrafe. Diese wurde aufgrund des langen Vorstrafenregisters des Mannes nicht zur Bewährung ausgesetzt. Er muss eine Gesamtstrafe von elf Monaten – zusammen mit bisher nicht verbüßter Haft – absitzen.

Verurteilung trotz dünner Beweislast

Richterin Simone Henze-von Staden folgte bei ihrem Urteil der Forderung der Staatsanwaltschaft. Allerdings war die Beweislage dünn. Die Verurteilung des Trios beruhte vor allem auf dem WhatsApp-Chat eines Bekannten der Tätergruppe. Der Chat wurde nur über ein anderes Strafverfahren überhaupt der Polizei bekannt. Die Angeklagten schwiegen während des gesamten Prozesses. Auch konnte keiner der Zeugen die Angeklagten als Täter identifizieren.

Filmer gesteht vor Gericht

Lediglich der Filmer des Videos gab während des Verfahrens über seinen Rechtsanwalt zu, dass er die Tat mit seinem Handy aufgenommen hatte. Dadurch, dass er während der Filmaufnahmen mit hämischem Lachen dies kommentierte und den Paintball-Schützen auch vor Verfolger warnte, konnte er seine Anwesenheit auf dem Bahnhof Seehausen an besagtem Tat-Abend im Juni 2021 nicht leugnen. Er lies über seinen Anwalt mitteilen, dass er sich nur rein zufällig auf dem Bahnsteig befunden habe.

Diese Aussage wollte die Richterin allerdings nicht gelten lassen. Allein die Tatsache, dass der Film bereits einsetzte, bevor der Schütze in der Ku-Klux-Klan-Kutte überhaupt auf dem Bahnsteig erschienen war, widerlege dies, so die Richterin.

Was ist der Ku-Klux-Klan? Der Ku-Klux-Klan wurde 1865 in den USA gegründet. Damals hatten die Südstaaten den amerikanischen Bürgerkrieg gegen die Nordstaaten verloren, die Sklaverei wurde in ganz Amerika abgeschafft. Die Anhänger des Ku-Klux-Klan vertreten bis heute die Ideologie von der Überlegenheit der weißen Rasse und schrecken auch vor Anschlägen und Morden nicht zurück. Zu den Erkennungszeichen des rassistischen und antisemitischen Geheimbundes gehören weiße Kutten mit Kapuzen vor dem Gesicht und brennende Holzkreuze.

Der 33-jährige Video-Filmer, der ein äußerst langes Vorstrafenregister mit zahlreichen Haftstrafen vorzuweisen hat, hatte das Video unmittelbar nach der Tat an einen Freund geschickt. Dieser verbreitete es weiter. Es wurde tausendfach in den sozialen Medien geklickt.

Täter-Trio via WhatsApp aufgespürt

Nur über diesen Freund des Täter-Trios war die Polizei später überhaupt auf die Angreifer gekommen. Über ein anderes Strafverfahren bekam die Polizei Einblick in dessen WhatsApp-Chats. Dort tauchten die drei Angeklagten auf, allerdings immer nur mit den Spitznamen "Watzi", "Ratzi" und "Ekli". Die Polizei hatte dagegen vom Angeklagten-Trio keine Handys beschlagnahmt, dies wurde im Prozess von einem Nebenklage-Vertreter bemängelt.

Verteidigung forderte Freispruch

Aufgrund der dünnen Beweislage hatten die Rechtsanwälte der Angeklagten jeweils einen Freispruch für ihre Mandanten gefordert. Für Richterin Henze-von Staden ist die Täterschaft des Trios jedoch sicher, auch wenn es durch die zahlreichen Zeugen im Prozess keine Bestätigung für deren Anwesenheit am Tatort gegeben hat. Einer der angegriffenen Autobahn-Gegner hatte darüber hinaus zwar ein "blaues Auto" als Fluchtfahrzeug erkannt, so wie es der 33-jährige Fluchthelfer tatsächlich besitzt. Jedoch hatte der Zeuge von einem "SAW"-Kennzeichen gesprochen. Das Auto des Angeklagten hat jedoch ein "SDL"-Kennzeichen. 

Rechtsextremer Hintergrund nicht nachgewiesen

Im Übrigen spielte die Ku-Klux-Klan-Kutte des Paintball-Schützen im Prozess keine wesentliche Rolle. Die Kutte konnte ohnehin auch bei Hausdurchsuchungen des Angeklagten-Trios nicht aufgefunden werden. Ein rechtsextremer Hintergrund der Angeklagten konnte nicht festgestellt werden, obgleich der Nebenklage-Vertreter, Rechtsanwalt Peer Stolle, die politische Dimension des Angriffes vom Gericht gewürdigt haben wollte.

Es habe sich bei dem Überfall um einen "menschenverachtenden Angriff" gehandelt, zumal in Kauf genommen worden sei, dass unbeteiligte Personen verletzt werden. Letztlich wurden drei angegriffende Personen leicht verletzt, darunter ein 12-jähriger Junge. "Es war ein gefährlicher Angriff", hatte Stolle dargelegt. Letztlich wertete die Richterin Simone Henze-von Staden dies auch so. "Das hätte anders ausgehen können", sagte sie.

Den Angeklagten sei es darum gegangen, die Aktivisten aus der Region zu vertreiben, begründete die Richterin das Urteil, "wenn nötig auch mit Gewalt".

Mobile Opferberatung: "Massive Häufung von Übergriffen"

Dabei gehe es um mehr als nur um diese eine Tat, sagt die Mobile Opferberatung im Norden Sachsen-Anhalts, die sich um Opfer rechter Gewalt kümmert. Denn der Vorfall hat eine Vor- und eine Nachgeschichte: Im Sommer 2021 besetzen Aktivisten aus ganz Deutschland Bäume im Losser Forst, unweit von Seehausen. Sie protestieren gegen den Weiterbau der A14. Im verlassenen Bahnhof von Seehausen richten Unterstützer aus der Gegend einen Info-Punkt ein. "Dann gab es eine massive Häufung von Übergriffen", sagt die Sprecherin der Opferberatung. Einbrüche, Brandangriffe, Verwüstungen, Körperverletzungen, Drohungen.

"Vorher hatten wir über Jahre in Seehausen keine rechten Vorfälle", so die Opferberatung. "Schlagartig änderte sich das und da wurde uns klar: Da hat das Feindbild gefehlt." Im Verlauf des Prozesses habe sich durch vorgetragene Chatnachrichten von einem sichergestellten Handy herausgestellt, dass viel mehr Leute beteiligt gewesen seien, die Unterstützung vor Ort gegen die Klima-Aktivisten deutlich größer gewesen sei – und auch radikaler.

Tat vom Innenministerium als rechte politische Straftat eingeordnet

In den Chatnachrichten geht es um "Zecken", um Munition mit Stahlkern, um Gewaltfantasien. Bei einem der Angeklagten wird eine "Bombenwerkstatt" gefunden, wie ein Polizist während des Prozesses darstellt. Es soll nach Informationen der Ermittlungsbehörden auch eine "Verbindungsperson zwischen AfD-Funktionären und den gewaltbereiten Rechtsextremen" geben. Die Nebenklage sprach daher explizit von einer "rechtsextremen Gruppierung", die Tat wird auch vom Innenministerium als rechte politische Straftat bewertet. Verhandelt wurden jetzt nur die Schüsse mit der Paintball-Waffe. Um eine Bombenexplosion, bei der niemand verletzt wurde, geht es demnächst noch in einem weiteren Verfahren.

Der Soziologie Matthias Quent von der FH Magdeburg-Stendal beschäftigt sich seit Jahren mit Rechtsextremismus und erkennt im Kampf der Rechten gegen Klima-Aktivisten tieferliegende Muster. Es gehe um eine Bewahrung von Privilegien, sagte Quent vor einiger Zeit in einem Vortrag. "Der Kampf gegen die ökologische Wende ist letztlich ein Kampf für ein Weiter so."

Das Innenministerium Sachsen-Anhalt teilte auf Anfrage mit, dass in den vergangenen zwei Jahren mindestens sieben Angriffe auf Klima-Aktivisten festgestellt wurden. Drei dieser Taten rechnet das Ministerium explizit dem rechten Spektrum zu.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Eine Revision ist möglich.

"Losser Forst" Der alte Bahnhof von Seehausen war zum Tatzeitpunkt Treffpunkt von Klima-Aktivisten, die unter anderem Bäume im Losser Forst besetzt hatten, um gegen den Ausbau der Autobahn 14 zu protestieren. Vor gut einem Jahr hatten die Aktivisten den Wald verlassen. Im Sommer 2021 war es mehrfach zu Auseinandersetzungen rund um den Bahnhof gekommen. Unter anderem hatte es im Bahnhof einen Sprengstoffanschlag gegeben. Später war das Gebäude abgebrannt.

Hinweis: Der ursprüngliche Text wurde mit der ausführlichen Darstellung der Nebenklage über Hintergründe des Angriffes ergänzt.

MDR (Mario Köhne, Bernd-Volker Brahms); dpa (Simon Kremer)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 18. August 2023 | 10:00 Uhr

34 Kommentare

dieja vor 36 Wochen

Es wird immer deutlicher, dass einige Glauben gegen Andersdenkende Gewalt anwenden zu müssen. Hier muss der Staat mit Null-Tolleranz durchgreifen. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Ob die Täter aus dem rechten, linken oder grünen Milieu kommen, darf
Keine Rolle spielen. Es gibt in einem Rechtsstaat keine guten Straftaten.

hilflos vor 36 Wochen

Der Beobachter, stimmt, Sie haben Recht. Mehr muss man hier nicht sagen, denn in Ihrer Wahrnehmung kommt kritisches Denken und Welterkennen nicht vor

Anita L. vor 36 Wochen

"Absolut richtig und Kriminelle, Räuber, Vergewaltiger oder Messertäter müssen und SOLLEN auch verurteilt werden - aber wie will man hier den mutmaßlichen Täter finden und verurteilen???"

Öhm, aufgrund von Indizien, wenn der "sinnliche Beweis" dem Gericht nicht vorliegt. Beschäftigen Sie sich doch erst einmal überhaupt mit den Grundlagen unseres Rechtssystems, bevor Sie so einen halbseidenen Unsinn schreiben.

Ach herrje, und da hat also das MDR Fernsehen nicht darauf hingewiesen... Menschenskind. Hauptsache ist ja, dass es in der Urteilsbegründung steht. Und als allgemein gebildeter Mensch weiß man ohnehin, dass nach jedem Urteil Zeit besteht, um Rechtsmittel einzulegen, und dass ein Urteil erst mit ungenutztem Verstreichen der Frist rechtskräftig wird.

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