NS-Raubgut Wie die Freimaurer in Stendal ihre Kultgegenstände vor den Nazis retteten
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27. April 2024, 04:00 Uhr
Im Altmärkischen Museum zu Stendal hat man ein völlig neues Kapitel der Provenienzforschung zu NS-Raubgut aufgeschlagen: Man sucht Eigentum der Stendaler Freimaurer. Durch die Nationalsozialisten wurde das geheimnisvolle, humanistische Netzwerk damals zerstört. In Stendal jedoch konnten einige Gegenstände gerettet werden. Eine Historikerin folgt nun ihre Spur.
- Im Zuge von Forschungsarbeiten sind einige wertvolle Objekte der Freimaurer in Stendal aufgetaucht.
- Mit der Zerstörung des Freimaurer-Netzwerks durch die Nationalsozialisten gingen viele Besitztümer verloren.
- In Stendal konnte jedoch einiges gerettet werden, wie wertvolle Bücher und Kultgegenstände.
"Vorsicht! Die ist schon sehr mitgenommen!", warnt Corrie Leitz. Da blättert sie lieber selbst in dem dicken großen Buch mit dem etwas zerfledderten Leder-Einband. "Herausgegeben in Nürnberg 1693!" Die Dilherr-Bibel ist eines der wertvollsten Stücke, die die Historikerin auf ihrer Suche nach Eigentum der Stendaler Freimaurer entdeckt hat. Die Bibel aus dem Tempel der Freimaurerloge in Stendal lag im Altmärkischen Museum. Corrie Leitz hat das alte Buch sogar im Zugangsverzeichnis von 1936 gefunden – "eine kleine Sensation, wenn man als Provenienzforscher unterwegs ist".
Aus dem Depot des Museums in Stendal sind noch andere Stücke wieder aufgetaucht: personalisierte, dickwandige Trinkgläser mit typischen Freimaurer-Gravuren, hunderte Bücher (und etwa Tausend lagern noch in sieben Kisten im Bundesarchiv in Berlin), Freimaurer-Schürzen und -zirkel.
Nationalsozialisten zerstörten Freimaurer-Netzwerk
Wäre es nach den Nationalsozialisten gegangen, wären die Objekte alle vernichtet worden. Die Freimaurer, die seit ihrer Gründung im 18. Jahrhundert überall im Geheimen agierten, sprachen, dachten und lebten nach der französischen Devise "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit". Ihre abgeschiedenen Treffen und ihr Verschwiegenheitsgelübde garantierten über lange Zeit ihre Unanfechtbarkeit.
Zwar waren die Freimaurer im 19. Jahrhundert und in den 1920er-Jahren bereits Attacken ausgesetzt, doch erst die Nazis schafften es, das Freimaurer-Netzwerk zu zerstören. Nach der Machtübernahme 1933 befahlen sie die Auflösung aller Logen in Deutschland und die Vernichtung deren Eigentums. So brannten auch in Salzwedel große Feuer auf einem Wirtschaftshof – die Zeitung feierte das damals in Wort und Bild.
Stendaler Museum "rettete" Freimaurer-Objekte
Auch in Stendal konnte vieles nicht gerettet werden, aber immerhin einiges. Das lag an "personellen Verflechtungen", wie es Corrie Leitz nennt. Museumsverwalter Franz Kuchenbuch sei selbst Logenmitglied gewesen, der Vorsitzende der Stendaler Freimaurer-Loge Wernicke Verwalter der Museumsbibliothek. "Diese personellen Verflechtungen haben sicherlich erheblich beigetragen, dass hier in Stendal einiges gerettet werden konnte, was woanders nicht mehr da ist."
Das Altmärkische Museum spielt für das Schicksal der örtlichen Freimaurer-Loge also eine ambivalente Rolle. Einerseits profitierte es natürlich, weil der Bestand des Museums reicher wurde durch die Aufnahme von Freimaurer-Objekten. Andererseits scheint das – aus heutiger Sicht – die sicherste Möglichkeit gewesen zu sein, überhaupt Freimaurer-Eigentum zu bewahren.
Zentrum Kulturgutverluste unterstützt das Projekt
Bevor Corrie Leitz im vergangenen Oktober im Auftrag des Museumsverbandes Sachsen-Anhalt mit der Freimaurer-Recherche begann, gab es nur eine Ahnung, dass da noch was zu finden sei. Sie hätte pure Grundlagenforschung betrieben in Stendal, lacht sie etwas verzweifelt. Denn ihr Zeitplan ist eng – gerade ist ihr Projekt aufgrund der Fülle der Aufgaben bis Frühjahr 2025 verlängert worden.
Provenienzforschung bedeutet in den meisten Fällen, nach einem Objekt oder Dokument zu suchen und stattdessen drei zu finden, mit denen man gar nicht gerechnet hatte. Das Projekt finanziert sich aus Fördermitteln des "Deutschen Zentrums Kulturgutverluste".
Allerdings arbeitet Corrie Leitz offiziell nur halbtags. Das hält sie aber – aus eigenem Antrieb und eigener Neugier – nicht davon ab, Nachtschichten zu Hause am Computer einzulegen, Wochenenden durchzuarbeiten. "Wir schauen halt, dass wir so viel wie möglich in dieser Zeit schaffen", erzählt Leitz. Überstunden werden nicht gezählt.

Rückgabe des NS-Raubguts noch ungewiss
Neben dem Erkenntnisgewinn ist das oberste Ziel der Provenienzforschung, Objekte und Dokumente an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben. Das ist auch im Fall der Stendaler Freimaurer angedacht. Die Johannes-Loge "Zur Goldenen Krone" ist nach 1945 und auch nach 1990 nicht neu begründet worden. Dafür gibt es die Loge "Drei Türme im Hopfenfeld " in Gardelegen.
Der natürliche Restitutionsberechtigte aber ist vermutlich die Große National-Mutterloge "Zu den drei Weltkugeln" in Berlin. Sie kann die Objekte selbst in Anspruch nehmen oder sie als Dauerleihgabe im Altmärkischen Museum belassen. Die Verhandlungen darüber haben noch nicht begonnen.
Quellen: MDR KULTUR (Katharina Häckl), redaktionelle Bearbeitung: hro, tmk
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 28. April 2024 | 13:10 Uhr