Sommer zu Hause Nächste Abfahrt Stille statt Reisestress: In der Autobahnkirche Uhyst

30. Juli 2022, 10:00 Uhr

44 Autobahnkirchen gibt es in Deutschland. Haben Sie auf dem Weg in die Ferien oder zu einem Ausflug dort schon einmal angehalten? MDR SACHSEN-Reporterin Kathrin König ist von der Autobahn 4 in der Lausitz abgebogen und hat sich die älteste Autobahnkirche in Sachsen genauer angesehen.

Ich weiß nicht, wie oft ich schon auf der Autobahn 4 an den Info-Schildern vorbei gefahren bin, die auf eine Autobahnkirche hinweisen. Bei Wilsdruff und bei Burkau stehen die Hinweise auch. Denn dort sind zwei Autobahnkirchen in Sachsen zu finden. Bundesweit gibt es 44.

Heute fahre ich von der A4 ab. Beim Blinken und Abbremsen stelle ich mir vor, wie ich auf eine moderne Kirche treffen werde, irgendwie im 1970er-Jahre-Stil mit viel Beton und einem Kirchturm, den man als solchen gar nicht erkennt. Keine Ahnung, warum mir das Bild vorschwebt. Vielleicht, weil Autobahnen auch aus Beton sind?

Sommerhitze bleibt draußen

Gleich hinter der Abfahrt Uhyst taucht links auf einem Hügel ein Kirchturm auf, klassische Form, 40 Meter hoch und dreigeteilt, Bäume rings um den Kirchenbau. Vom Friedhof aus winkt mir der evangelische Pfarrer Marko Mitscherling entgegen. Er erzählt, dass das Gotteshaus viel älter ist, als es die Infos im Internet vermuten lassen: Sachsens älteste Autobahnkirche seit 1996. Wir betreten die Kirche, in der uns stille Kühle und Licht umgeben. Die Sommerhitze bleibt auf dem Friedhof zurück.

Lieber Gott, ich war ewig nicht mehr in dieser wunderschönen Kirche! Heute bitte ich um den Segen für meine Familie (…), die gerade mit dem Schiff nach Korsika fährt.

Besucherin Fürbitte vom 20. April 2022

Imposantes Licht und Ruhe

Schon 1412 hatte Uhyst ein Kirchlein aus Feldsteinen. 1801 wurde die Kirche St. Peter und Paul in ihrer heutigen Form geweiht. Ein klassizistischer Bau, der innen mit klaren Formen, drei Emporen, einem Kronleuchter und der Anordnung der Kirchenbänke beeindruckt, die im Halbrund Taufstein, Altar und Kanzel umschließen.

Holz und Wände strahlen hell, das Sonnenlicht tanzt in Schattierungen über die Bodenplatten aus Stein. Wäre ich jetzt allein, würde ich mich in eine Bank setzen und die Lichtreflexe betrachten. "Die Lichtverhältnisse sind ganz phantastisch", freut sich Pfarrer Mitscherling über die neuen Holzfenster aus Antikglas.

Die letzten Kriegstage setzten der Kirche schwer zu

In mehreren Bauabschnitten ist die Kirche saniert worden. Architektin Ulrike Hartmann habe mit der Auswahl dieses Glases und ihrem Gespür dem Kirchenraum eine tolle Atmosphäre gegeben, findet der Geistliche. Dabei hatte die Kirche zum Ende des Zweiten Weltkrieg einen schweren Schlag hinnehmen müssen.

In den letzten Kriegstagen sei eine nahe gelegene Autobahnbrücke gesprengt worden, was die Grundmauern des Kirchenbaus aus dem Jahr 1801 erschütterte. Schäden seien zu DDR-Zeiten nur provisorisch ausgebessert worden. Nach 1990 halfen ABM-Kräfte, das Bauwerk zu erhalten. Nun also die Renovierung in mehreren Bauabschnitten, die mit Hilfe von Fördergeld der Europäischen Union gelang.

Spontane und gezielte Besucher

Etwa 50 Menschen kämen jeden Tag in die Autobahnkirche. Mal seien es mehr, mal weniger, darunter aber meistens viele Polen und Osteuropäer. "Die ökumenische Kirche ist für alle Konfessionen offen", sagt Pfarrer Mitscherling, der sich ehrenamtlich kümmert. Hauptberuflich ist er Pfarrer für die Kirchen in Demitz, Pohla, Uhyst am Taucher und Burkau mit rund 2.000 Gemeindegliedern. Oft würden Geschäftsreisende gezielt in Uhyst anhalten und eine Kerze anzünden, manche kämen auch spontan vorbei.

Danke, daß ich auch noch mit über 80 Auto fahren kann und Du mich beschützt.

Autofahrer Eintrag vom 28. Mai 2022

Jeden Mittwochabend um 18:30 Uhr lädt Pfarrer Mitscherling zu einer Andacht ein. Dann betet er für die Menschen, die spezielle Fürbitten in ein Buch geschrieben haben, das in der Kirche ausliegt. Vorsichtig blättere ich in dem Wälzer und lese die Wünsche. Ich komme mir vor, als würde ich anderer Leute Tagebücher lesen. Die Leute schreiben, was ihnen auf der Seele liegt. Das hat nicht immer mit Reisen oder dem Unterwegssein zu tun. An der Stelle muss ich schmunzeln:

Vater, bitte lass‘ mich kleinen Bauern die Motorsäge gewinnen beim Preisausschreiben. P.S.: Hab‘ auch nur eine Karte ausgefüllt.

Besucher Fürbitten-Eintrag Mitte Mai 2022

Manche Reisenden wüssten auch, dass neben der Autobahnkirche die Toiletten zu finden sind, erzählt der Pfarrer unterdessen. Andere würden auf dem Parkplatz neben Kirche auch klassisch stranden. "Sie haben kein Benzin mehr oder andere technische Probleme. Na, dann versuche ich, zu helfen", sagt er.

Auch andere Leute aus der Gegend guckten immer mal am Parkplatz vorbei, ob jemand Hilfe benötige. So sei das eben noch auf dem Dorf und in der Lausitz, freut sich Marko Mitscherling.

Gestrandet mit "Ölschaden"

Und tatsächlich: Vor dem Friedhof auf dem Parkplatz sehe ich später ein Auto mit Camper. Im Schatten des Gefährts kauert ein Rentner auf einem Stühlchen. "Wir haben einen Ölschaden", sagt er und blickt auf Taschen, Tüten, Koffer und Kartons, die um ihn herum ausgebreitet wurden.

In dem Moment tritt seine Ehefrau in die Tür des Campers und lacht. "Nicht, was Sie denken! Mir ist Sonnenblumenöl ausgelaufen. Jetzt muss ich alles abwischen", sagt Laima Kranz. Ihr Mann schimpft derweil leise in süddeutschem Dialekt über seine Frau, die aus Angst vor Speiseöl-Knappheit "ja unbedingt mehrere Flaschen mitnehmen musste".

Nach neun Stunden Fahrt aus Baden-Württemberg hatten sie in der Nacht zuvor an der Autobahnkirche gehalten und erst einmal geschlafen. Die Kirche wollen sich die beiden aus Ludwigsburg auch noch ansehen - wenn ihre Sachen wieder ölfrei verstaut sind.

So läuft das auf dem Dorf

"Was ist Ihnen denn passiert?", ruft ein Mann und kommt zum Camper gelaufen. Rüdiger Zur aus Crostwitz hält immer mal am Parkplatz an. "Oft stehen hier Menschen, die ein Problem haben. Da helfe ich beim Reparieren mit."

Über den "Ölschaden" schmunzelt Rüdiger Zur beim kurzen Plausch mit den beiden mit. "Hinsehen und kleine Hilfen anbieten sind wichtig. Das ist uns in Deutschland ein bisschen abhanden gekommen", meint der Crostwitzer. Dabei wisse er, wie das ist "wenn man auf Reisen oder unterwegs selber in Not gerät. Da freue ich mich über jede Hilfe." Auch Rüdiger Zur empfiehlt den beiden einen Besuch der Autobahnkirche und verweist auch gleich auf die nahen Sehenswürdgkeiten.

In der Kirche liegen auch Info-Blätter zu Rundwegen und Spaziergängen aus. Reisende können sich eine Viertelstunde oder bis zu 4,5 Stunden lang bewegen und beim Kennenlernen des Taucherwaldes, des Dorfes Uhyst oder des Klosters St. Marienstern die Füße vertreten.

Fazit: Nur Mut

Ein Halt an der Autobahnkirche lohnt sich für alle zum Durchatmen, für die, die sich Reisesegen wünschen, eine vernünftige Pause ohne Raststättentrubel suchen und/oder die an Baukunst interessiert sind. Die geradlinige klassizistische Ausgestaltung der Kirche als Predigerkirche ist typisch lutherisch-protestantisch, aber so toll renoviert eine Augenweide. Einen Moment innehalten, sich auf dem Friedhof und in der Natur ringsum die Füße zu vertreten, entspannt Körper und Seele. Pfarrer Mitscherling hatte bei der Begrüßung darauf hingewiesen, dass man die Autobahn in der Nähe kaum höre. Recht hat er.

Adresse und Anreise

  • Taucherwaldstraße 73, 01906 Burkau OT Uhyst am Taucher
  • Mit dem Auto von der Autobahn A4, Abfahrt Uhyst am Taucher, ca. 300 Meter entfernt auf einer Anhöhe.
  • Der Bus Nr. 795 fährt ab Elstra Markt, vom Halt Uhyst Erbgericht sind es ca. 400 Meter bis zur Kirche.

Öffnungszeiten während der Ferien

  • Ganzjährig täglich geöffnet.

Kosten

  • Eintritt jederzeit frei.
  • Wer möchte, kann Spenden zum Erhalt und Unterhalt der Kirchen geben.

Geeignet für

  • Gruppen, Familien, Einzelpersonen.
  • Aber: auf dem Parkplatz keine Stellplätze für Busse und Lkw.

Barrierefreiheit

  • Barrierefreiheit gegeben für Rollstuhlfahrende, Gehbehinderte und Kinderwagen über ebenerdige Zuwege und Eingänge.

Verpflegung

  • Keine Verpflegung an der Kirche.
  • Toiletten vorhanden.

Daran sollte man denken

  • Zeit und Ruhe mitbringen.
  • Die Kirche steht allen Menschen offen. Es gelten die grundsätzlichen Anstands- und Ordnungsregeln für Gotteshäuser und Friedhöfe - auch in den Sanitäranlagen.

Wenn man schon mal da ist ...

  • ...kann man den Taucherwald besuchen oder die knapp sechs Kilometer entspannt bis zum Kloster St. Marienstern wandern. Dort gibt es auch Einkehrmöglichkeiten.

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Geheimtipp

  • Der imposante Kronleuchter in der ev.-luth. Gemeinde- und Autobahnkirche ist aus böhmischem Glas. Darunter kann man auch heiraten oder sich taufen lassen. Einfach im Pfarramt nachfragen: Tel.: 035953-83 10.

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