Kulturhauptstadt Chemnitz neu entdeckt: Kunstprojekt will Stadtrundgang zum Hören schaffen

27. März 2023, 16:46 Uhr

Warum ist Chemnitz, wie es ist und was ist mit den Menschen hier los? Künstlerin Alica Weirauch vom Fritz Theater versucht auf diese Fragen eine Antwort zu finden. Im Rahmen eines geförderten Projekts des Flausen-Netzwerks führt sie Gespräche in der Stadt.

Auch nach zehn Jahren wohnen, leben und arbeiten in Chemnitz gibt die Stadt Alica Weirauch noch Rätsel auf. "Ich habe das Gefühl, dass Chemnitz anders ist als andere Städte", sagt die Künstlerin, die ursprünglich aus Mülheim/Ruhr in Nordrhein-Westfalen stammt. Sie hat bereits an vielen verschiedenen Orten in Deutschland und auch im Ausland gelebt und kann daher Vergleiche ziehen. "Meine Gefühle für Chemnitz sind sehr diffus", erzählt sie. Einerseits gebe es eine Schwere, andererseits aber auch eine große Wärme der Menschen.

Chemnitz in Gesprächen neu entdecken

Diesen gemischten Gefühlen will Weirauch nun in einem Kunstprojekt auf den Grund gehen. Dafür trifft sie sich mit Chemnitzerinnen und Chemnitzern, die etwas zu ihrer Stadt, einzelnen Gebäuden oder auch ihrem Arbeitsleben erzählen wollen. "Ich ziehe herum mit meinem Aufnahmegerät und entdecke gerade Chemnitz neu, indem ich mit den Menschen rede", sagt Weirauch. Sie möchte sich tief in die Stadt und in die Gefühle der Menschen von Chemnitz graben.

Am Montag trifft sie sich mit dem Musiker Bodo Martin und verkabelt ihn mit einem Mikrofon für ihre Aufnahmen. Er hat sich für den Start seiner Erzählungen die Gewölbekeller am Fuße des Kaßbergs ausgesucht. Anschaulich erzählt er, wie er dort im Veranstaltungssaal regelmäßig mit seiner Rockabilly-Band auftritt. "Die Bühne im Gewölbekeller ist sehr speziell", so Martin. "Es ist sehr feucht, was man beim Aufbau der Technik berücksichtigen muss." Außerdem seien Preise und Publikum ganz anders, als wenn er mit der gleichen Band in der Stadthalle auftrete.

Wie und wo die Band Kraftklub entstand

Beim Verlassen der Keller ist gegenüber auf der anderen Flussseite ein unscheinbares weißes Gebäude zu sehen. "Hier waren früher viele Proberäume", erzählt Martin. Auch Felix und Till Kummer hatten dort laut Martin - damals noch getrennt - Räume. "Till hatte eine Rockband und Felix war Rapper", sagt er. Als eine Band für das Splash-Festival gesucht wurde, habe der Vater der beiden, der Musiker Jan Kummer, vorgeschlagen, dass sie sich zusammentun sollen. "Das Ergebnis war dann eine kleine Musikkapelle namens Kraftklub", erzählt Martin schmunzelnd.

So geht es von der Fabrikstraße über die Hartmannhalle und -fabrik bis hin zur Schlossteichhalle. Zu vielen Orten unterwegs kann der Musiker Anekdoten und amüsante Geschichten erzählen. Weirauch hört meist einfach zu und stellt ab und an eine Zwischenfrage. Sie möchte es nicht "Interviews" nennen sondern lieber "Gespräche".

Fokus auf kleine, private Geschichten

Insgesamt 30 bis 40 Gespräche möchte die Künstlerin aufnehmen und sucht dafür auch noch Mitstreiter. "Die meisten Vorbehalte sind 'Ich habe doch gar nichts zu erzählen'", sagt Weirauch. "Jeder, der hier lebt, hat etwas zu erzählen. Jeder hat eine Geschichte." Für sie seien nicht die großen Geschichten, die dann in der Zeitung stehen, interessant, sondern die kleinen, privaten Geschichten.

Neben Privatpersonen möchte sie auch mit Wissenschaftlern, die zum Thema "Stadt und Trauma" geforscht haben, aber auch mit Historikern und Städtebauplanern sprechen. "Das Kaßberggefängnis ist so ein Ort, wo ich sage: 'Das will ich auch geschichtlich verstehen, was an diesem Ort passiert ist über die Jahre'", sagt Weirauch.

Möglich wurde ihr Projekt durch ein Förderprogramm vom Flausen-plus-Netzwerk, in dem der lokale Verein "Taupunkt" mit der Off-Bühne Komplex Mitglied ist. Gefördert werden in diesem Fall keine Produktionen, sondern es ist ein ergebnisoffenes Stipendium für Forschungsfragen. "Ich fand die Idee interessant, dass man Zeit geschenkt bekommt", sagt Weirauch. "Und Zeit ist ja gerade als Künstlerin das, was man am wenigsten hat." Nun habe sie zwei Monate Zeit, sich mit ihrem Thema zu befassen und könne so in die Tiefe vordringen und auch ungeplanten Sachen nachgehen.

Audio-Stadtrundgang mit QR-Codes zur Kulturhauptstadt 2025

Trotzdem habe sie eine Vision im Kopf, was aus den Audioaufnahmen werden könnte, so Weirauch. Zur Kulturhauptstadt im Jahr 2025, wo Chemnitz viel besucht werden wird, sollen die Menschen die Stadt mit den Stimmen der Chemnitzerinnen und Chemnitzer entdecken können. "Also dass QR-Codes in der ganzen Stadt an verschiedenen Orten sind", so Weirauch. "Und wenn man die entdeckt, kann man sie sich anhören und lässt die Menschen von Chemnitz sprechen."

MDR (ali)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Chemnitz | 28. März 2023 | 17:30 Uhr

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