Eine junge Frau mit Hund auf dem Arm an einem See
Arunika Senerath und Hund Kasimir verbringen in Mittweida gern Zeit am Schwanenteich. Bildrechte: MDR/Anett Linke

Mittweida Sommer der Pioniere: Leben in der Kleinstadt auf Probe

24. Juni 2023, 07:00 Uhr

Leben in der Kleinstadt. Passt das zum eigenen Leben und den Bedürfnissen? Rund 20 Frauen und Männer testen das derzeit in Mittweida. Beim "Summer of Pioneers" verlagern sie ihren Lebensmittelpunkt ein bis sechs Monate in die mittelsächsische Kleinstadt und engagieren sich auch in Projekten vor Ort. MDR SACHSEN hat mit drei Teilnehmerinnen des Projekts über ihre Erfahrungen gesprochen.

Ein bis sechs Monate in Mittweida leben, das Landleben abseits der Großstadt neu entdecken und die Zukunft der Region mitgestalten. Damit wirbt die Beschreibung des Projekts "Summer of Pioneers" in Mittweida. Dafür bekommen alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer kostengünstig eine möblierte Wohnung und Zugang zu einem Co-Working-Space gestellt.

Arunika Senarath ist eher durch Zufall in das Projekt gestolpert. "Meine Miete in Berlin war mir einfach zu teuer und so habe ich meine Wohnung gekündigt, ohne zu wissen, wie es weitergeht", erzählt sie lachend. Die Wohnungssuche in und um die Hauptstadt gestaltete sich dann schwierig. "Wenn man überhaupt eine Wohnung findet, kann man sie nicht bezahlen", so Senarath. Durch Zufall habe sie eine Dokumentation über den ersten "Summer of Pioneers" auf Youtube gesehen und sich kurzentschlossen beworben, obwohl die Frist eigentlich schon abgelaufen war.

"Ich musste erstmal googeln, wo Mittweida liegt", sagt sie. Sie habe zwar in Dresden studiert, von der Kleinstadt vorher aber nie etwas gehört. Seit Anfang Mai ist sie nun aber mit Sack und Pack und Hund Kasimir nach Mittelsachsen gezogen. "Mein erster Eindruck war sehr positiv", sagt Senarath. "Ich wusste ja nicht, was mich erwartet, aber die Leute sind alle sehr nett und meine Mitbewohnerin ist toll."

Offene Tür zwischen zwei Schaufenstern
In diesem Geschäft auf der Rochlitzer Straße können die Mittweidaer mit den Pionieren ins Gespräch kommen. Oft sitzen sie abends auch gemütlich vor der Tür. Bildrechte: MDR/Anett Linke

Kleinstadt gibt Lebenszeit zurück

Senarath schätzt bereits jetzt viele Dinge an der Kleinstadt. "Alles ist sehr schnell erreichbar", sagt sie. "Ich unternehme viel mehr als in Berlin, weil da immer schon die Anfahrt so lange dauert." Außerdem sei es schön Bekannten über den Weg zu laufen. "In Berlin begegnet man sich nicht einfach so", sagt sie. "Außerdem bekommt man hier viel Lebenszeit zurück." Gerade sei sie eine Woche in Berlin gewesen und davon sehr gestresst.

Da sie als Texterin bei einem Startup-Unternehmen ortsunabhängig arbeiten kann, überlegt Senarath auch nach Ende des Projekts in Mittweida oder auch Chemnitz zu bleiben. "Noch habe ich mich nicht entschieden, aber ich kann es mir vorstellen", sagt sie.

Eine Frau mit Fahrrad steht vor einem Haus
Der Lieblingsort von Bettina Böhnisch ist die Filmbühne Mittweida. Sie hofft in ihrer Zeit in der Stadt auch eine Zusammenarbeit organisieren zu können. Bildrechte: MDR/Anett Linke

Sehnsucht nach Trubel in der Großstadt

Bettina Böhnisch ist sich dagegen sicher, dass sie im Oktober nach Berlin zurückkehren wird. "Ich kann nicht dauerhaft in einer Kleinstadt leben", sagt sie. "Ich habe Sehnsucht nach der großen Stadt und dem Trubel." Unwohl fühlt sich die studierte Soziologin in Mittweida aber nicht. "Mein Vater hat hier vor über 50 Jahren studiert und deswegen ist mir alles aus Erzählungen bekannt", sagt sie. Außerdem sei es landschaftlich sehr schön.

Mittweida auf einen Blick Struktur:
Große Kreis- und Hochschulstadt, Sitz der Verwaltungsgemeinschaft Mittweida

Einwohnerzahl:
14.286

Fläche:
41,24 Quadratkilometer

Ortsteile:
Falkenhain, Frankenau, Lauenhain, Ringethal, Tanneberg, Thalheim, Zschöppichen

Hochschule:
5.890 Studierende (Stand 2022)
5 Fakultäten

Böhnisch wurde vor allem von Neugier nach Mittweida getrieben. Sie habe das Projekt "Summer of Pioneers" schon einige Zeit aus der Ferne beobachtet und wollte schon vergangenes Jahr teilnehmen. "Es war keine Entscheidung für einen Ort sondern für einen Zeitabschnitt", sagt sie. Es würde aktuell gut passen, da sie sich beruflich neu orientiert. Bislang hat sie sich bei einem Umweltverein mit Beteiligungsverfahren an der Energiewende beschäftigt. "Deshalb war ich auch neugierig auf Sachsen, weil hier ein schwieriges Feld für Bürgerbeteiligungen zu sein scheint."

Zettel an einer Wand
Alle Pioniere und Pionierinnen bringen sich ehrenamtlich ins Stadtgeschehen von Mittweida ein. Sie haben bereits viele Ideen. Bildrechte: MDR/Anett Linke

Engagement vor der eigenen Haustür

In Mittweida will sie gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern im Projekt die Einheimischen dazu bringen sich in und für ihre Stadt zu engagieren. So soll es zum Beispiel einen Abend geben, an dem alle Interessierten über die Möglichkeit einer "Mitmach-Werkstatt" in der Stadt diskutieren können. "Wir wollen die Rahmenbedingungen stellen und den Prozess begleiten", sagt Böhnisch. "Wir wollen alles auf langfristige Füße stellen, damit etwas bleibt, auch wenn wir die Stadt wieder verlassen."

Eine junge Frau an einem See
Sarah Oppenländer will am Schwanenteich eine "Achtsamkeitsreihe" anbieten. Bildrechte: MDR/Anett Linke

Das ehrenamtliche Engagement für Mittweida stemmen die Pioniere und Pionierinnen neben ihrer normalen Arbeit. So auch Sarah Oppenländer aus Ingolstadt. Sie plant in Mittweida unter anderem eine "Achtsamkeitsreihe", bei der zum Beispiel Yoga und eine Klangreise öffentlich und kostenfrei im Schwanenteichpark angeboten werden sollen. Und auch eine Brachfläche in der Rochlitzer Straße soll im Sommer mit einem bunten Programm bespielt werden, bei dem sich auch Bettina Böhnisch und Arunika Senarath aktiv einbringen. "Städte leben vom Ehrenamt und das muss geschätzt werden", sagt Oppenländer.

Zugewachsene Baulücke
Diese Brachfläche in der Rochlitzer Straße soll im Sommer mit verschiedenen Aktionen zum Leben erweckt werden. Bildrechte: MDR/Anett Linke

"Das Wichtigste ist, dass man seine Liebsten um sich hat"

Die Designerin und Unternehmerin hat sich bereits gut in Mittweida eingelebt. "Es wird nie langweilig", erzählt sie. "Aber es liegt auch an einem persönlich, ob man neugierig ist und offen auf die Menschen zugeht." Außerdem spiele die Jahreszeit eine Rolle, in der man sowieso viel draußen unterwegs sei.

Dass eine Kleinstadt womöglich nicht genauso viele Möglichkeiten wie eine Großstadt bietet, sei kein Ausschlusskriterium für ein Leben in Mittweida. "Man kann ja auch hin und wieder einen Ausflug in umliegende Regionen machen. Mittweida liegt dafür sehr günstig", sagt Oppenländer. "Das Wichtigste ist, dass man seine Liebsten um sich hat. Das ist mir hier wieder einmal mehr bewusst geworden." Deswegen will sie nach Ende des Projekts nach Ingolstadt zu Familie und Freunden zurückkehren.

Termine der Pioniere in Mittweida 3. Juli, 15:30 bis 19:30 Uhr
Workshop: Klimaschutz Mittweida weiterdenken
Werkbank32, Bahnhofstraße 32 in Mittweida

6. Juli, 17 bis 22 Uhr
Aperitif Abend mit Spezialitäten aus Mittweidaer Geschäften
Rochlitzer Straße 33

7. Juli, 16 bis 20 Uhr
Kreative Orte
Stadtbibliothek in Mittweida

10. Juli, 18:30 Uhr
Kulturabend: Gesellschaftsspiele aus aller Welt
Rochlitzer Straße 33

MDR (ali)

Mehr aus Flöha und Hainichen

Mehr aus Sachsen