Mittelsachsen Landrat Neubauer tritt vorzeitig zurück
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23. Juli 2024, 18:05 Uhr
Als Bürgermeister von Augustusburg hat sich Dirk Neubauer bundesweit einen Namen gemacht, gilt als Mann der klaren Worte. 2022 strebte er ein höheres Amt an und wurde Landrat im Landkreis Mittelsachsen. Nach nur zwei Jahren wirft er nun das Handtuch und macht dafür insbesondere die politische und gesellschaftliche Stimmung im Land verantwortlich.
Der Landrat von Mittelsachsen, Dirk Neubauer, tritt zum nächstmöglichen Zeitpunkt von seinem Amt zurück. Das erklärte der Kommunalpolitiker am Dienstagnachmittag auf Youtube. Neubauer begründete den Schritt unter anderem mit persönlichen Anfeindungen, zu wenig Rückhalt in der Gesellschaft sowie schwierigen politischen Bedingungen. "Ich bin in den letzten Monaten zu der Erkenntnis gekommen, dass das für mich hier keinen Sinn mehr macht."
Neuwahl noch in diesem Jahr
Neubauer kündigte an, auf der Kreistagssitzung am 14. August einen entsprechenden Beschluss für die Neuwahl des Landrates zur Abstimmung zu geben. Die Neuwahl werde dann wohl noch in diesem Jahr stattfinden. Die reguläre Amtszeit beträgt sieben Jahre und wäre bis 2029 gegangen.
"Mandatsträger sind zum Freiwild geworden"
Rund 20 Minuten führte der parteilose Landrat aus, warum er das Amt nicht länger ausüben möchte. Treibender Punkt seien die persönlichen Anfeindungen gegen ihn. "Man kann mich beschimpfen, aber nicht bedrohen und Lügen verbreiten. Man ist als Mandatsträger zum Freiwild geworden."
Neubauer kritisierte zugleich die schweigende Mehrheit. "Ich gebe auf, weil zu viele den Mund halten. Wo ist diese Mehrheit, die es braucht? Wo sind die Menschen, die auf die Straße gehen?" Er forderte die Menschen auf, darüber nachzudenken, ob der aktuelle Weg zwischen Hass, Hetze und Gewalt der richtige Weg ist. Neubauer sagte weiter, nur über Migration und eine weltoffene Gemeinschaft könne das Land den Fachkräftemangel stemmen.
Ich gebe auf, weil zu viele den Mund halten. Wo ist diese Mehrheit, die es braucht? Wo sind die Menschen, die auf die Straße gehen?
Neubauer: Energiewende so nicht zu schaffen
Dirk Neubauer forderte zudem eine andere politische Kultur. "Landes- und Bundespolitik sind momentan nicht sehr hilfreich." Die kommunale Ebene könne kaum mehr handeln, sei finanziell am Ende. Persönlich ärgere er sich auch über zu lange Verfahrenswege und die Verhinderung von neuen Technologien. "Wenn wir weiter so hantieren, werden wir die Energiewende nicht schaffen und laufen weiter hinterher." Neubauer nannte in diesem Zusammenhang das Gigawattprojekt in seinem Landkreis, das nicht vorwärts komme.
Rücktritt hatte sich schon abgezeichnet
Der Rücktritt Neubauers hatte sich schon zuvor angedeutet. Der Landrat war vom MDR-Magazin "Fakt" zum Thema Bürokratie und Überregulierung befragt worden. Der parteilose Neubauer sagte wörtlich: "Ich denke, ich höre auf, ja", sagt er auf die Frage des Reporters. Von außen einzuwirken, sei "tatsächlich effizienter". Anders als später in seiner Erklärung auf Youtube machte er dabei insbesondere Papierflut und Überregulierung verantwortlich.
Ich würde jetzt gerne sagen, weil es die Begründung so schön einfach machen würde, ich gehe, weil ich persönlich bedroht bin. Aber so einfach ist es eben nicht. Weil, das kann ich aushalten. Was ich nicht aushalten kann, ist der Irrsinn, den wir im politischen System abbilden. Täglich gegen Sachverstand, gegen Logik zu arbeiten.
Neubauer: "Das ist das Gegenteil von Fortschritt"
Neubauer kritisiert in der MDR-Doku "Papierflut" unter anderem die jahrelangen Bearbeitungszeiten bei der Genehmigung von Windkraftanlagen. Diese gingen mit Unmengen an Papier einher. "Für uns bedeutet das, dass hier oben jemand zehn Leitz-Ordner reinstopft. Und diese zehn Leitz-Ordner, die müssen wir drei oder vier Mal kopieren und im Haus verteilen, durch die Gegend fahren. Die liegen auf Schreibtischen rum. Dann ist derjenige im Urlaub, ist krank oder keine Ahnung, was. Das ist das Gegenteil von Fortschritt, das ist das Gegenteil von Modernität, das ist das Gegenteil von Geschwindigkeit."
Reaktionen aus Sachsen auf den Rücktritt
Der erklärte Rücktritt Neubauers löste in den politischen Lagern unterschiedliche Reaktionen aus. Der grüne Spitzenkandidat für die Landtagswahl Wolfram Günther sagte MDR SACHSEN, es müsse ein Weckruf für die Gesellschaft sein. Hass und Hetze seien bis in Stadt- und Gemeinderäte auf der Tagesordnung und führe dazu, dass demokratisch eingestellte Politikerinnen und Politiker nicht mehr antreten. Die Grünen hatten Neubauer bei seiner Kandidatur zum Landrat unterstützt.
Sozialministerin und SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping erklärte auf der Plattform X, es mache sie fassungslos, wie hier ein Landrat zermürbt worden sei. "Wir alle sind Menschen. Wir alle ertragen den Hass und die Spaltung nur bis zu einem gewissen Grad. Wir sind hier wieder an einem Punkt, wo allen Demokraten dringend klar sein muss, was hier auf dem Spiel steht."
Die Linken sprachen von einem Armutszeugnis der Demokratie, "wenn ein Landrat zum Schluss kommt, dass er außerhalb seines Amtes mehr bewirken könne". Landesvorsitzender Stefan Hartmann und Kreisvorsitzende Marika Tändler-Walenta forderten wieder mehr konstruktive und faktenbasierte Debatten. Bedrohungen von Politikern dürfe die Gesellschaft nicht hinnehmen.
CDU-/RBV-Kreisrat: "Er wirft hin wie ein bockiges Kind"
Der Vorsitzende der CDU-/RBV-Fraktion im Kreistag von Mittelsachsen, Jörg Woidniok, kritisierte dagegen das Vorgehen des parteilosen Landrates scharf: "Ich bin entsetzt, wie jemand so gewissenlos mit diesem Amt umgehen kann", sagte Woidniok dem MDR. Das stelle den Landkreis, die Behörde und die Menschen vor eine schwierige Situation in den kommenden Monaten. "Er wirft es weg, wie ein bockiges Kind."
Er habe anfangs hohe Erwartungen an Neubauer gehabt, so Woidniok. Neubauer habe die Probleme mit Digitalisierung, Bürokratie und Politikverdrossenheit gut erkannt. Doch es sei nichts umgesetzt worden. Aus Sicht von Woidniok sei Neubauer mit dem Amt überfordert gewesen. Nun stehe der Landkreis vor einer ganz schwierigen Situation. "Wird Mittelsachsen der erste Landkreis in Sachsen mit einem AfD-Landrat?", äußert Woidniok eine Befürchtung.
Vergangene Woche Rückzug von Yvonne Magwas
Neubauer wurde bei den Kommunalwahlen 2022 zum neuen Landrat Mittelsachsen gewählt. Er setzte sich mit 55,6 Prozent gegen zwei Mitbewerber durch und ist der einzige Landrat in Sachsen, der nicht der CDU angehört oder für sie im Amt ist. Zuvor war Neubauer Bürgermeister von Augustusburg. Er trat 2017 in die SPD ein und 2021 aus Protest wieder aus.
Mittelsachsens Landrat ist nicht der einzige, der sich aus der Politik zurückzieht. Bereits in der vergangenen Woche die Bundestags-Vizepräsidentin Yvonne Magwas aus dem Vogtland erklärt, im kommenden Jahr nicht wieder für den Bundestag zu kandidieren. Wie Landrat Neubauer machte auch sie persönliche Anfeindungen und Bedrohungen, vor allem aus dem rechten Spektrum, dafür verantwortlich.
MDR (smi/dkö)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 23. Juli 2024 | 19:00 Uhr
Britta.Weber vor 19 Wochen
Wenning, haben Sie den Text wirklich gelesen? Herr Neubauer hat mit seinen linksgrünen Ideen keine Mehrheit im Kreisrat, weil eben Grüne + Spd in Sachsen nirgend eine Mehrheit haben. Deshalb gibt er auf. Das nennt man Demokratie.
Britta.Weber vor 19 Wochen
In einem Parallelartikel äußert Herr Stahl das, was ich als Motiv schon geschrieben hatte: Nach den Wahlen zum Kreistag hatte Herr Neubauer keine Mehrheit mehr für seine linksgrünen Pläne - daher der Rückzug.
So ist eben die Demokratie.
Man sieht es auch daran, dass gerade Grüne und SPD sich besonders über den Rückzug echauffieren.
Sachse14442 vor 19 Wochen
Politik ist ein Wettstreit, zumindest sollte er es sein. Dies hat Neubauer nie begriffen und haut jedesmal ab, einem trotzigem Kind gleich, wenn es ihm nicht passt.