Direktvertrieb aus Ungarn Anstehen für Melonen: Süße Erinnerungen an Ferien, Freunde und Schwiegermutters Letscho
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12. August 2024, 14:47 Uhr
Zu DDR-Zeiten standen die Menschen Schlange für Südfrüchte. 35 Jahre nach dem Mauerfall stehen sie bei Dresden an für Obst und Gemüse aus Osteuropa. Das hat der Ortsvorsteher von Kleinnaundorf aus Ungarn importiert. Beim Warten auf die vorbestellten Melonen erinnern sich die Kunden an ihre Kindheit: im Westen, im Osten und in Ungarn.
Sonntagmorgen kurz vor 9 Uhr in Kleinnaundorf bei Dresden: Menschen stehen Schlange in einer Hofeinfahrt. Sie haben große Plastiktaschen über den Schultern oder Waschkörbe dabei. An der Einfahrt verweisen zwei Schilder unter Sonnenschirmen auf den Verkauf von Melonen. "Ja, das erinnert an früher, das Schlangestehen", sagt Mario Magyar und lacht.
"Als kleiner Junge musste ich mich auch Anstellen für Gurken und Bananen. Das muss man ja zum Glück normalerweise nicht mehr." Doch in Kleinnaundorf am Sonntag wartet er wieder geduldig in der Reihe, auch für seine Eltern. Er soll zwei, drei erntefrische Melonen aus Ungarn kaufen, möglichst schön und groß sollen sie sein.
Mit dem Geschmack von frischer Melone verbinde ich immer Urlaub und den Sommer bei meinen Großeltern.
Damit die Kundschaft die Früchte problemlos zu ihren Autos bringen kann, hat der Organisator des Verkaufs, Thomas Käfer, vorsichtshalber drei Schubkarren hingestellt. Damit fährt ein Ehepaar gerade zwei bestimmt sieben Kilogramm schwere Melonen und eine Stiege Pfirsiche vom Hof. Mario Magyars blickt ihnen hinterher. Als Kind ist er mit seiner Familie jeden Sommer in den Ferien zu seinen Großeltern nach Debrecen gefahren, da seien ihm die Früchte immer riesig groß erschienen. "Mit dem Geschmack von frischer Melone verbinde ich immer Urlaub und den Sommer bei meinen Großeltern."
Das erste Melonenfeld vergisst man nie
Sommererinnerungen an Melonen aus Osteuropa hat auch das Ehepaar Friedemann aus Bannewitz. An den "einzigen Urlaub in Ungarn als Kind", erinnert sich die Ehefrau. "Wir sind damals an den Feldern vorbeigefahren, auf denen riesige Melonen lagen. So etwas kannte ich ja gar nicht." Stattdessen kannte die Bannewitzerin auch das Anstehen nach Melonen, wenn es sie mal im DDR-Konsum oder HO gab. "Wie froh war man damals, wenn man welche bekommen hatte." Und dann fällt ihr ein Missgeschick ein, das ihr als Teenie passierte. "Einmal habe ich lange nach Melone angestanden und auch eine bekommen. Vor der Haustür ist sie mir aus der Hand gefallen und zerplatzt, oh je", erzählt sie lachend ihrem Mann.
Sommertage in Nachbars Garten
Herr Friedemann kennt Planwirtschafts-Zeiten nur aus Erzählungen. Als Kind ist er in Hessen groß geworden. Aber auch er freut sich schon auf den Geschmack der soeben gekauften Früchte, weil sie ihn an früher erinnern. "Wir hatten Nachbarn aus Jugoslawien. Bei ihnen im Garten haben wir Kinder oft frische Melone gegessen." Die Wassermelonen aus dem Supermarkt heutzutage würden nicht an den süß-saftigen Geschmack von damals herankommen. Sie seien viel zu wässrig und nicht richtig gereift, findet er.
Angeber-Wissen für den Melonen-Schmaus (zum Ausklappen)
- Für 52 Prozent der Bundesbürger ist die Wassermelone die beliebteste Melonenart, 17 Prozent finden die Honigmelone besser. Rund jeder zehnte Deutsche isst gar keine Melonen (Quelle: Statista/Umfrage im Jahr 2022).
- Im vorigen Jahr kamen laut Statistischem Bundesamt 285.300 Tonnen Wassermelonen und Melonen aus Spanien. Das waren 52 Prozent aller Melonen bundesweit.
- Auch bei Pfirsichen und Nektarinen kommen 67 Prozent aller Früchte (219.100 Tonnen) aus Spanien.
- Die größten Wassermelonenproduzenten weltweit sind China, die Türkei, Indien und Algerien.
Darum hat sich auch der "Melonenverkäufer" Thomas Käfer für den Verkauf entschieden. "Wir fahren seit mehr als 30 Jahren nach Ungarn und wissen, wie dort die Produkte schmecken. Ich habe mich immer gewundert, warum es die hier nicht gibt. Das konnte mir keiner beantworten - bis ich mir sagte, dann mache ich es eben selber." Käfer vermutet, dass die Logistik in Deutschland so kompliziert sei, dass Melonen oder Pfirsiche mehrfach umgeladen und umgepackt würden. Nach zwei Wochen sei die Qualität dahin.
Ich habe mich immer gewundert, warum es die hier nicht gibt. Das konnte mir auch keiner beantworten - bis ich mir sagte, dann mache ich es eben selber.
"Melonen-Mann" im Nebenjob
Die Ware von den Feldern in Ungarn und Bulgarien holt Käfer vom Bauern ohne Zwischenhändler "aus Spaß an der Freude. Ich will etwas für die Region machen und Urlaubsfreude nach Sachsen bringen". Nach der Premiere in diesem Juli will er künftig einmal im Monat jeweils von Juni bis Oktober die Früchte verkaufen und zwar in Kleinnaundorf und in Schmiedeberg. Die Leute müssten vorbestellen und ihre Ware abholen. "Und dann ist es gut, dann gehe ich meiner eigentlichen Arbeit nach." Käfer ist Finanzberater und politisch aktiv als Ortsvorsteher für Kleinnaundorf.
Zutaten für Schwiegermutterns Letscho-Pfanne
Dass er nicht nur Melonen und Pfirsiche aus Ungarn holt, sondern auch weißen Paprika, freut Kerstin Kovacs besonders. Beim Einladen mehrerer Waschkörbe und Stiegen in ihr Auto sagt sie fast entschuldigend: "Das ist nicht alles für mich, es ist auch für meine Arbeitskolleginnen". Und: "Sie hören es ja an meinem Nachnamen, dass er ungarisch klingt. Ich war 15 Jahre lang mit einem Ungarn verheiratet", erzählt die Freitalerin, während sie weiter den Kofferraum füllt. Aus dem weißen Paprika will sie Letscho kochen, wie sie es von der Schwiegermutter einst gelernt hat.
Das Rezept kann Kerstin Kovacs auswendig: "Zwiebeln in Öl anbraten, Paprika klein schneiden und mit anbraten, Eier unterheben, würzen. Wer will, schneidet noch ungarische Salami in Streifen und brät die mit. So isst man in Ungarn Letscho zum Frühstück oder Mittag." Aber jetzt müsse sie los, ihre Tochter warte extra zu Hause, um sich eine große Portion für die neue Woche mitnehmen zu können.
MDR (kk)